Anglist Dieter Mehl Ein Bonner zwischen Ost und West

Bonn · Er war mittendrin, als Geschichte geschrieben wurde. Der Bonner Anglist Dieter Mehl, Jahrgang 1932, war in den Jahren 1993 bis 2002 erster Präsident der wiedervereinigten Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.

 Dieter Mehls Werk "Shakespeare's Tragedies: An Introduction" ist nach wie vor im englischen Buchhandel erhältlich.

Dieter Mehls Werk "Shakespeare's Tragedies: An Introduction" ist nach wie vor im englischen Buchhandel erhältlich.

Foto: Kanthak

Die 1864 in Weimar gegründete Gesellschaft ist eine der bedeutendsten literarischen Vereinigungen des Landes. Sie war Opfer der Teilung Deutschlands und Nutznießer ihrer Überwindung 1990. Die Shakespeare-Gesellschaft hatte sich 1963 aus ideologischen Gründen in West (Sitz Bochum) und Ost (Weimar) aufgespalten.

Im April 1993 kamen die verfeindeten Schwestern wieder zusammen, seit 1994 ist der einzige Sitz der Shakespeare-Gesellschaft Weimar, die Bochumer Geschäftsstelle wurde aufgelöst. Dieter Mehl hat sich jetzt öffentlich der Vergangenheit erinnert. In Weimar hielt er einen viel beachteten Vortrag zum Thema "Die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft nach ihrer Wiedervereinigung".

Eine rund 200-seitige Publikation ist in Vorbereitung: "Eine historische Episode. Die Wiedervereinigung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft 1993. Persönliche Erinnerungen 1960-2002" soll in diesem Jahr in der Reihe Studien zur englischen Literatur im Lit Verlag erscheinen. Wenn man mit Mehl spricht, wird spürbar, wie gegenwärtig dem international geschätzten, auch auf Englisch publizierenden Anglisten die Vergangenheit ist.

Er will mit Inhalt füllen, was für manche "eher eine historische Episode als ein wichtiger Teil deutscher Geschichte oder der persönlichen Biografie" ist. Wie gesagt, Dieter Mehl war mittendrin, als deutsch-deutsche Kulturgeschichte geschrieben wurde. Mehr noch: Er war maßgeblich am Prozess der raschen Annäherung der Gesellschaften beteiligt. Es erscheint in der Rückschau nur konsequent, dass Mehl als Präsident den Aufbruch in die neue gemeinsame Zukunft mitgestaltete. Er war 1993 der perfekte Wessi in Weimar.

Mit der Wiedervereinigung der Gesellschaften war für ihn eine "herbeigesehnte Situation" Wirklichkeit geworden. Mehl war in der DDR kein Unbekannter, er nahm von 1980 an regelmäßig an den Weimarer Treffen teil. Dort wurde er als "Gast aus dem nichtsozialistischen Ausland" begrüßt, war von der philologischen Debatte aber nicht ausgeschlossen. Im Hotel Elephant in Weimar hörte er einmal den Satz: "Der Klassenfeind kann ruhig zuhören." Sie haben ihn akzeptiert in der DDR. Das liegt gewiss auch am ausgleichenden, toleranten Wesen des Literaturwissenschaftlers.

Die ostdeutsche Shakespeare-Gesellschaft war eine Institution, die sich in den Dienst des totalitären DDR-Staates stellte. Zu den Ritualen der Weimarer Jahrestreffen gehörte es, dass, wie beispielsweise 1986, das Bedürfnis artikuliert wurde, "allen Organen der SED, die mit uns zusammenarbeiten, herzlichen Dank zu sagen, besonders der Abteilung Kultur des ZK der SED".

Mehl gelang es, dergleichen zu überhören. Ihm ging es um Substanz. Die fand er unter anderem in den Werken seines ostdeutschen Kollegen Robert Weimann. Enthusiastisch besprach er 1967 das bahnbrechende Buch Weimanns "Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters". 1993, als Weimann in Mehls Vorstandskollegium gewählt wurde, schloss sich für ihn ein Kreis.

Jetzt arbeitet er daran, die Geschichte lebendig zu erhalten. Denn Mehl hat festgestellt: "Mit der Angleichung der Lebensverhältnisse und dem auch in Weimar ins Auge fallenden Einzug der 'westlichen' Konsumgesellschaft verwischten sich bald viele der noch 1993 auffälligen Gegensätze, und die vergangene DDR verlor für viele Bundesbürger immer mehr von dem Reiz oder auch dem Grusel des Unbekannten oder des schwer Zugänglichen."

Weitere Informationen im Internet unter www.lit-verlag.de

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