Was wird aus der Tonhalle Maag? Die Zürcher lieben ihr provisorisches Konzerthaus

Zürich/Bonn · Wegen der notwendigen Sanierung der Zürcher Tonhalle findet das Konzertleben der Schweizer Metropole derzeit in einem ehemaligen Industrieareal statt. Viele wollen die als Interim gedachte Spielstätte nicht aufgeben.

 Die Tonhalle Maag wurde in eine vorhandene Industriehalle hineingebaut.

Die Tonhalle Maag wurde in eine vorhandene Industriehalle hineingebaut.

Foto: Hannes Henz

In Zürich passieren gerade Dinge, die sich selbst mit lebhaftester Fantasie nicht auf Bonner Verhältnisse übertragen ließen. In der Schweizer Metropole bangen sie allen Ernstes um den Fortbestand ihrer provisorischen Ausweichkonzerthalle, der das Aus droht, wenn die Sanierungsarbeiten an der historischen Tonhalle im kommenden Jahr abgeschlossen sein werden.

Tonhalle Maag heißt der Ort, wo sich Musiker und Publikum so pudelwohl fühlen. Bei dem Gebäude handelt es sich um eine frühere Zahnradfabrik mitten in einem ehemaligen Industriegebiet, das sich in den vergangen Jahren sehr gewandelt hat. Längst hat die Kultur in diesem Areal das Ruder übernommen. Nur einen Katzensprung entfernt befindet sich, ebenfalls in einer alten, in diesem Fall sogar denkmalgeschützten Industriehalle das Theater Schiffbau des Zürcher Schauspielhauses mit drei Bühnen, atmosphärischem Restaurant, Bar und Jazz-Club.

Ein anderer Grund für die Beliebtheit der Ausweichspielstätte ist der Konzertsaal selbst. Bei dessen Entwurf bedienten sich die Zürcher eines ebenso einfachen wie genialen Kniffs: Sie kleideten die Halle der Zahnradfabrik mit hellem Fichtenholz aus, um einen Konzertsaal mit einer Kapazität von 1224 Plätzen und allen akustischen Vorteilen des Schuhschachtelprinzips zu erhalten. In enger Abstimmung zwischen den Büros der Zürcher Architekten Spillmann Echsle und des Münchner Akustikers Karl-Heinz Müller optimierten sie den Saal unter anderem mit teils beweglichen Deckenelementen, die den Klang immer perfekt verteilen oder fokussieren. Im Foyer herrscht in hübschem Kontrast zum hölzernen Saal Industrieatmosphäre mit in den Raum hineinragenden Stahlträgern und großen, runden Heizstrahlern über den Köpfen des Publikums.

Rund zwölf Millionen Euro hat der Umbau gekostet, daran musste sich die Stadt mit weniger als zwei Millionen Franken beteiligen. Der Rest kam zu einem großen Teil von privaten Spendern und Sponsoren.

Wie gut der seit September 2017 bespielte Saal funktioniert, bemerkte auch Sir Simon Rattle, der einem Journalisten der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) anvertraute: „ Ich würde diesen Saal am liebsten gleich mit einem Lastwagen mit nach London nehmen.“ Ein ähnliches Lob ist über den Konzertsaal im Bonner WCCB nicht überliefert...

Da den Zürchern ihr Interim in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen ist, hat die Stadt eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnis besagt, dass genügend Nachfragepotenzial für einen zweiten großen Konzertsaal bestehe. Einziger Knackpunkt – er ließe sich nicht profitabel betreiben. „Wir sind an einem Punkt, an dem niemand diesen Saal aufgeben, aber auch niemand dafür bezahlen will“, sagte Tonhalle-Präsident Martin Vollenwy der NZZ. Die Studie geht laut der Zeitung von einem strukturellen Defizit von jährlich rund 600 000 Franken aus.

Sollte sich niemand finden, der die Summe ausgleicht, wird der Schuhkarton wohl wieder aus der Halle entfernt. Möglicherweise sogar verkauft. Im fernen Osten soll es bereits Interessenten geben. Für Bonn käme das raffiniert schlichte Konzertmodul eh zu spät: Die Beethovenhalle wird ja wie die Tonhalle im nächsten Jahr fertig sein. Wenn alles nach Plan verläuft.

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