Interview mit Dianne Reeves Die Macht der Musik

BONN · Sängerin Dianne Reeves ist längst eine Ikone des Jazz. Im Interview erklärt sie, wie sie mit Schicksalsschlägen umgeht, warum sie letztlich immer ein lebensfroher Mensch bleibt und wie das ihren Gesang prägt.

 Dianne Reeves gilt als größte lebende Jazzsängerin. Im Mai kommt sie zu einem exklusiven Konzert nach Bonn.

Dianne Reeves gilt als größte lebende Jazzsängerin. Im Mai kommt sie zu einem exklusiven Konzert nach Bonn.

Foto: Agentur

Von Diva-Verhalten keine Spur. Dabei könnte sie es sich leisten. Dianne Reeves gewann vier Grammys, bekam etliche Auszeichnungen, unter anderem wurde sie 2007 von der internationalen Jury des renommierten amerikanischen Magazins Down Beat zur besten Jazzsängerin gewählt. Damit gilt sie als ungekrönte Königin unter den Vokalistinnen des Jazz.

Als wir sie kurz vor ihrem Auftritt in der Kölner Philharmonie in ihrer Künstlergarderobe treffen, ist sie die Ruhe selbst. Wasser, Cola, Tee mit Honig und eine Obstschale stehen bereit. Sie sitzt in lässiger knallgelber Bluse und mit schwarzen Lederhosen auf dem Sofa.

Auf der Bühne wird sie später ein schwarzes glitzerndes Galakleid tragen, und das Publikum will nach dem Konzert kaum aufhören zu applaudieren. Zu Recht. Die 57-jährige Amerikanerin hat scheinbar keine Mühe, sich gegen eine glänzend aufgelegte WDR Big Band durchzusetzen. Die ausgefeilten Arrangements von Chefdirigent Michael Abene fordern ihr alles ab.

Doch sie hat längst ein Stadium erreicht, wo sie sich trotz der Notentreue von der Erstarrung lösen kann, sich geradezu unverschämt lässig Freiräume abtrotzt. Ja, sie ist längst zur Ikone geworden. Und wenn Michael Abene die Schuhe auszieht und sich ans Klavier setzt, um mit ihr dieses zärtliche "Some Other Spring" zu spielen, dann ist das ein unvergessener Moment. Nicht nur weil Abene ein wundervoll lyrisch aufspielender Pianist ist, sondern weil die Reeves diesem traurigen, intimen Liebeslied einen Anflug von Hoffnung einhaucht.

Ich habe mich gefragt, was Ihren Gesangsstil so individuell macht.
Reeves: Und?

Ich finde, dass Sie sogar dann positiv klingen, wenn Sie Liebeslieder voller Sehnsucht singen.
Reeves: Ich weiß nicht, ob man das "positiv" nennen kann. Mir geht's darum, dass das, was ich singe, ehrlich klingt. Das ist das Wichtigste an der Musik: Ehrlichkeit.

Sie glauben, dass das das Geheimnis Ihrer Stimme ist?
Reeves: Na ja, was heißt "Geheimnis"? Ich möchte jeden Song in dem emotionalen Zusammenhang wiedergeben, in dem er steht. Und dabei will ich auch einen Teil von mir in den Song einbringen. Und jeder Song ist anders.

Technisch sind Sie ohne Zweifel überragend, die Präzision, die perfekte Modulation in jeder Tonlage sind faszinierend. Aber wie schaffen Sie es, dabei auch noch Ihre persönliche Note in den Song zu übertragen?
Reeves: Also, wenn Sie über meine Stimme reden, sprechen Sie über ein Instrument. Wenn ich über meine Stimme rede, spreche ich über mein Herz. Meine Stimme ist der Kanal, über den ich dem Publikum zeige, was ich wirklich fühle.

Die Texte der Lieder sind Ihnen also wichtig?
Reeves: Extrem wichtig!

Sie legen jedes Wort auf die Goldwaage?
Reeves: Zunächst ist es doch nur die Idee eines Gefühls in einem Song. Manche Worte brauchen eine bestimmte Betonung, um Emotionen rüberzubringen. (überlegt) Wissen Sie, Sie haben vielleicht Recht, dass ich ein positiver Typ bin. Ja, ich glaube an Wunder. Ich bleibe immer optimistisch. Aber wenn ich ein Lied singe, dann will ich genau das rüberbringen, was es aussagt.

Eines meiner Lieblingsstücke auf dem neuen Album ist "Cold".
Reeves: Hey, der Song ist wirklich irgendwie positiv. (lacht) Da geht's drum, dass ich mich, nach all dem, was ich durchgemacht habe, fühle, als wäre ich am Ende der Welt angelangt. Aber dann sage ich mir: Es ist vorbei, es ist endgültig vorbei, und ich werde nicht wieder zu meinem Geliebten zurückkehren.

Wissen Sie, wenn Sie nur dieses eine Wort singen, "Cold", dann kann man wirklich die Eiseskälte spüren, die Sie dem Mann da entgegenbringen.
Reeves (lacht): Darum geht's! Die Gleichgültigkeit! Wenn Sie in einer Beziehung an diesem Punkt angekommen sind, dann wissen Sie, dass Gleichgültigkeit ein wirklich kalter Ort ist. Es ist ein harter Weg dorthin. Aber erst mal angekommen, dann können Sie sagen: Hey, ich bin endgültig fertig mit dir!

Wieso haben Sie diesen Song geschrieben?
Reeves: Aus verschiedenen Gründen. Weil ich das Gefühl kenne. Weil viele das Gefühl kennen. Es ist ein Song über jemanden, der schon alles versucht hat, um seine Beziehung zu retten. Es hat immer wieder neue Anläufe gegeben, man hat dem anderen immer wieder eine neue Chance gegeben, man hatte Hoffnungen, man wird verletzt, dann wird man zornig. Nur irgendwann muss man sich eingestehen: Es läuft einfach nicht. Dann wird man gleichgültig, und das ist das Ende jeder Beziehung.

Sind Sie ein nachdenklicher Mensch?
Reeves: Die Ideen kommen manchmal von den verrücktesten Orten. Ich habe mal einen Song geschrieben, der hieß "Old Souls"...

Der ist auf dem Album "Art & Survival". Die Gedanken kommen von der "Weisheit der Winde, den Gesichtern in den Wolken", wie es in dem Song heißt?
Reeves: Man grübelt doch manchmal über Dinge, die plötzlich überall auftauchen: Man hört im Radio davon, sie sind in den Nachrichten, es sind Themen, über die du mit deinen Freunden und deiner Familie redest. Aber ich versuche, keine Bitterkeit, keinen Zorn aufkommen zu lassen. Ich brauche Frieden.

"Ich bin ein neugieriges Kind/ Auf die Welt gekommen durch einen Riss im Licht/ Doch Gott gab mir alte Seelen zur Seite, die mir den Nachhauseweg weisen", heißt es da. Brauchen Sie auch Harmonie?
Reeves: Harmonie, das klingt so nach... Wissen Sie, ich versuche, so gelassen wie möglich zu sein. Und in "Cold" sage ich dem Typen: Ich bin nicht mehr böse auf dich. Ich wünsche dir alles Gute. Aber lass mich in Ruhe.

Wie gehen Sie an einen neuen Song, an ein neues Album heran?
Reeves: Ich habe einen Entwurf im Kopf. Die Idee für das neue Album hatte ich schon vor Jahren, aber ich hatte nie die Zeit, das konzentriert anzugehen. Mit der Zeit entstehen immer Skizzen, Ideen für ein Stück, die ich niederschreibe. Ich habe dann mit Terri Lyne Carrington über meine Vorstellungen für das neue Album gesprochen.

Die Schlagzeugerin und Komponistin.
Reeves: Ja. Und sie schickte mir ein paar Ideen für das Album, und nachdem wir uns eine Weile ausgetauscht haben, habe ich sie gebeten, das Album zu produzieren.

Sie haben auf Ihren Alben häufig Neuinterpretationen von Rock-, Soul-, Pop- und Latin-Stücken. Auf dem neuen auch wieder. Da ist Marvin Gayes "I Want You" zu hören, Fleetwood Macs "Dreams" und Bob Marleys "Waiting In Vain". Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie sie aus?
Reeves: Das sind einfach Stücke, die mir gefallen. Ich habe ganze Listen von Songs zu Hause, die ich mir einmal vornehmen möchte. Ich höre sie mir an und überlege, ob sie zu mir passen. "Dreams" hatte ich schon vergessen, und es war die Idee von Robert Glasper, das Stück neu zu arrangieren.

Er hat Sie auf dem Song am Klavier begleitet.
Reeves: Aber was er daraus gemacht hat, ist so hip, so neu, und es erlaubt mir, aus einem Liebeslied eher eine Art weisen Ratschlag zu machen, der sich an junge Leute richtet. Ich liebe den Song!

Sie haben auf früheren Alben auch einige Kompositionen der großartigen Joni Mitchell aufgegriffen: "Both Sides Now" und "River". Gibt es da eine Seelenverwandtschaft?
Reeves: Wissen Sie, wir Jazzmusiker nehmen gerne populäre Themen auf und geben ihnen diese Jazzsensibilität. Ich liebe das Konzept, die Worte in den Songs. Es reizt mich einfach, solche Stücke für mich zu entdecken. Zum Beispiel Peter Gabriels "In Your Eyes": Es ist dieselbe Melodie, derselbe Text - aber er klingt bei mir wie ein völlig neuer Song. Ich finde, der Song hat etwas von einem Gebet.

Was sagen Gabriel oder Joni Mitchell zu Ihrer Interpretation?
Reeves: Peter Gabriel habe ich nie getroffen, aber ich hörte, dass er begeistert war. Joni habe ich getroffen während eines Projekts mit Herbie Hancock, und sie sagte mir, dass sie sie liebte.

"Feels So Good" ist der letzte Song, den Ihr Cousin, der Pianist, Keyboarder, Komponist und Produzent George Duke mit Ihnen aufnahm, bevor er im August starb. Was bedeutet Ihnen der Song? Singen Sie ihn live?
Reeves: Oh, ja. Er war mein Special Guest, als ich im Februar in der Carnegie Hall auftrat. Zur selben Zeit war ich gerade im Studio, und ich bat ihn, auf "Feels So Good" zu spielen. Er hatte die Idee, all seine alten Keyboards einzusetzen.

Da klingen tatsächlich die alten Sounds aus den 70er Jahren.
Reeves:
Das ist so wundervoll.

Er hat eine ganze Reihe von Ihren Alben produziert.
Reeves: Ich habe zwei meiner vier Grammys mit George gewonnen. Er war ein außergewöhnlicher Mensch und ein fantastischer Musiker. Es gab kein Genre, wo er sich nicht zu Hause gefühlt hätte. Ich bin ja stark von der Musik der Ende 60er/Anfang 70er Jahre inspiriert worden. Heute sagt man Fusion dazu, und er war ein wichtiger Teil dieser Musikbewegung. Wenn ich's mir jetzt so überlege, dann muss ich sagen, dass mich diese Zeit natürlich geprägt hat: die Bürgerrechtsbewegung der 60er, die Proteste gegen den Vietnamkrieg, all die Songs von damals, die die Zeit so stark reflektiert haben.

George war ein Mensch mit einer geradezu zärtlichen Haltung.
Reeves: Er war brillant. Und wissen Sie was? Viele Menschen, die seine Fähigkeiten gehabt hätten, hätten ihr Ego nur so vor sich hergetragen. George war absolut nicht so. Er liebte alle Menschen, alle Künstler. Und er gehörte zu jener seltenen Spezies von Produzenten, die einem Künstler nicht ihren Stempel aufdrückten. Er tat alles, damit der Künstler glücklich war.

Und er konnte singen wie ein Engel. Hat er Ihren Stil irgendwie geprägt?
Reeves: Natürlich. Er und mein Onkel waren meine Mentoren. Er hatte eine wundervolle Stimme. Er war etwas ganz Besonderes. Aber er hat mich in einer ganz anderen Weise geprägt, als Sie vielleicht denken. Er sagte immer: Vertrau deinen Instinkten! Geh deinen eigenen Weg! Du bist du! Er gab mir viel Selbstvertrauen.

Es ist interessant, dass dieser Song, dieses Gedenken an George Duke, auf diesem Album ist, das den Titel "Beautiful Life" trägt. Zufall? Oder war's eine bewusste Entscheidung?
Reeves: Natürlich! Es geht mir nicht drum zu sagen, dass mein Leben schön ist, sondern das Leben allgemein. Es ist doch schön, dass wir jetzt alle miteinander interagieren können. Das Leben ist nun mal so, dass Triumphe genauso dazu gehören wie Trauer und Verlust. Das ist das Leben! Letztes Jahr verlor ich meine Mutter, Vada Swanson, meine Schwägerin Corine, Georges Frau, und dieses Jahr eben George. Zwei Monate später ist noch ein mir sehr nahe stehender Mensch gestorben.

Schrecklich.
Reeves: Ich dachte, ich bin am Boden zerstört. Ich dachte, ich dreh durch. Sie haben mir alle sehr viel bedeutet. Irgendwie ist der Titel des Albums auch eine Reflexion auf diese persönlichen Verluste. Denn ich bin trotz der Trauer auch dankbar, dass ich sie kennen durfte. Ich bin letztlich ein Produkt ihrer Freundschaft und Liebe. Also dachte ich, dieses Album ist ein Gemeinschaftswerk.

Deswegen haben Sie noch Leute wie Gregory Porter, Lalah Hathaway und Sean Jones als Gäste auf dem Album?
Reeves: Ja, es ist ein Album, wo Menschen zusammenkommen, und das ist das Wunderbare am Leben, nicht materielle Dinge.

Sie sind ein lebensbejahender Typ!
Reeves: Ja.

Ziehen Sie die Kraft aus Ihrer Kunst?
Reeves: Aus dem, wie ich agiere. Aus der Zeit, aus der Musik, aus Liedern wie Paul McCartneys "Black Bird", Bob Dylan-Songs. Das sind Dinge, die Kraft geben. Der Glaube an die Macht der Musik, der Glaube an die Liebe, die Menschen verändern kann. Auch wenn das sehr klischeehaft klingt: Aber ich glaube fest daran.

Dianne Reeves

Dianne Reeves wurde am 23. Oktober 1956 in Detroit, Michigan, geboren, wuchs aber in Denver, Colorado auf, wo sie heute wieder lebt.

George Duke, der bekannte Keyboarder und Produzent, der jahrelang mit Frank Zappa gespielt hat, war ihr Cousin.

Als Kind bekam sie unter anderem Platten von der Sängerin Sarah Vaughan. "Als ich sie zum ersten Mal hörte, war ich beeindruckt von ihrer Stimmbreite und ihrem Ausdruck. Sie hat mich dazu gebracht, meinen eigenen Weg zu finden. Deshalb ist Sarah Vaughan so wichtig für mich."

In George Clooneys Film "Good Night, and Good Luck" trat sie als Sängerin auf, sie schrieb den Soundtrack und gewann einen Grammy.

Info: Am Donnerstag, 22. Mai 2014, eröffnet Dianne Reeves um 19 Uhr das Jazzfest Bonn im Post Tower. Karten bei Bonnticket und in den GA-Zweigstellen (35,- bis 45,- Euro / zzgl. Vorverkaufsgebühren).

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