Ausstellung "Jüdische Familien in Alfter" Die letzten Zeitzeugen des Pogromes 1938 erinnern sich

ALFTER · Paul Faßbender war erst vier Jahre alt, doch daran kann sich der heute 78-jährige Unternehmer aus Alfter noch lebhaft erinnern: Wie sein Vater Christian die jüdische Nachbarin Else Sander vorübergehend im Holzlager versteckte, nachdem sie in der Pogromnacht des 9. November 1938 durch den Garten zu ihnen geflüchtet war.

 "Er versteckte sich unter meinem Bett": Margarete Jüngling (91) kann sich lebhaft an die Novembernacht 1938 erinnern.

"Er versteckte sich unter meinem Bett": Margarete Jüngling (91) kann sich lebhaft an die Novembernacht 1938 erinnern.

Foto: Ilse Mohr

Noch gibt es lebende Zeitzeugen in Alfter, wie Paul Faßbender, die sich an ihre früheren jüdischen Mitbürger erinnern und an das Geschehen im November 1938. Für die Ausstellung "Jüdische Familien in Alfter", die an diesem Sonntag im "Haus der Alfterer Geschichte" eröffnet wird, haben Mitglieder des Fördervereins Gespräche mit ihnen geführt und die Interviews als Audiodateien festgehalten. Ausstellungsbesucher können die Interviews anhören.

Die Tonaufnahmen ergänzen die Ausstellung und führen die Dokumentation fort, die Alfterer Hauptschüler und ihre Lehrerin Roswitha Weber bereits 1980/81 zusammentrugen. Es sind Erinnerungen auch an die Nacht, in der in Alfter nicht nur die längst aufgegebene Metzgerei von Else Sanders Eltern, Leopold und Rosalie Sander, zertrümmert wurde.

Weitere Mitglieder der Familie konnten sich in der Möthengasse bei der Familie Wahlen verstecken, während SA-Leute im Haus Holzgasse 11 selbst die Gläser mit Eingemachtem von den Schränken schlugen. Darüber kann Margarete Jüngling, geborene Wahlen, noch genau berichten. Sie war damals 16 Jahre alt. "Der Sohn der Familie, der Walter Sander, blutete im Gesicht.

Der rannte bei uns direkt die Treppe hoch und versteckte sich unter meinem Bett." Margarete Jüngling weiß noch, wie Rosalie Sander, ihre Kinder und deren Freunde Schutz im Hause der Familie Wahlen suchten, mit der sie seit jeher engen Kontakt pflegten. Die Nachbarn blieben nur eine Nacht, denn am nächsten Tag stand die Beerdigung von Familienoberhaupt Leopold Sander an, der einen Tag vor der Pogromnacht unter ungeklärten Umständen gestorben war.

Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Alfter beigesetzt. Seine beiden Kinder Gerda und Walter entkamen nach England; die Mutter Rosalie und ihre älteste Tochter Else blieben in Alfter und wurden 1942 deportiert und ermordet. Zunächst mit den überlebenden Kindern der Sanders, die in der schweren Nachkriegszeit Care-Pakete nach Alfter schickten, und nach deren Tod mit ihren Nachkommen steht Margarete Jüngling bis heute in Kontakt.

Mit Angehörigen der Familie von Leopold Sanders Bruder Moritz, der eine Metzgerei im Haus Tonnenpütz 11 besaß und 1938 nach Amerika auswanderte, waren Josef Faßbender aus Alfter und seine Frau Irmgard lange Zeit in Verbindung. "Meine Mutter Margarethe war in den 20er Jahren als Haushaltshilfe bei der Familie von Moritz und Johanna Sander in Stellung", berichtet Faßbender (73).

Seine Mutter blieb mit den Sanders nach dem Krieg in lockerem schriftlichen Austausch. In den 70er und 80er Jahren trafen Josef und Irmgard Faßbender dann Moritz Sanders Tochter Martha und ihren deutschstämmigen Mann Julius Bauman bei einem Deutschlandbesuch, und sie besuchten das Paar, das keine Kinder hatte, auch in Amerika. "Zuletzt waren wir 1993 in Florida, danach ist die Verbindung abgebrochen", so Faßbender.

Bei diesem letzten Besuch berichtete Martha Sander, die 1921 in Alfter geboren wurde und in Bonn zur Schule gegangen war, erstmals von der Flucht aus Deutschland. Demnach ist die Familie Moritz Sander in letzter Minute entkommen: Sie hatte sich in der Pogromnacht 1938 zu einem Onkel geflüchtet, der in Duisdorf an der Rochusstraße wohnte.

Als dort NS-Leute bei den Verwandten alles zerstörten und zerschlugen, gelang ihnen die Flucht durch ein Seitentor. Der Onkel sei festgenommen worden. Martha Sander berichtete, er habe darum gebeten, noch seinen Hut holen zu dürfen. So gelangte er an seine im Backofen versteckte Pistole und erschoss sich.

Die Ausstellung

"Jüdische Familien in Alfter" lautet der Titel der Ausstellung im "Haus der Alfterer Geschichte", die an diesem Sonntag eröffnet wird. Sie dokumentiert die Geschichte der jüdischen Familien in Alfter. Ein wesentlicher Bestandteil sind die Recherchen von Alfterer Hauptschülern aus den Jahren 1980/81, die zeigen, dass das Schicksal der jüdischen Familien kein anonymer Vorgang war, sondern Menschen aus dem Dorf, Freunde und Nachbarn betraf.

Zu sehen sind auch eine Dokumentation des jüdischen Friedhofs sowie Informationen zur Aktion "Stolpersteine" aus dem Jahr 2008. Der Anlass für dieses Projekt des Fördervereins war ein Sammlerstück aus Alfter: die rund 100 Jahre alte Urkunde des jüdischen Metzgers Moritz Sander, geboren 1888, die er zur Erinnerung an seine Dienstzeit 1910 bis 1912 im 4. Lehrbataillon der Schiessschule Jüterbog erhalten hatte.

Die Urkunde ist eine Schenkung aus dem Nachlass des Alfterer Heimatforschers Willy Patt (1923-2008). Moritz Sander und weitere der insgesamt 18 Alfterer Juden, die 1938 noch beim Amt Duisdorf erfasst waren, entgingen dem Holocaust durch Flucht ins Ausland; andere wurden deportiert und in Vernichtungslagern ermordet.

Die Ausstellung wird am Sonntag um 10.30 Uhr im Haus hinter der Kirche Sankt Matthäus eröffnet und kann an diesem Tag bis 18 Uhr besucht werden.

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