"Slow West" mit Michael Fassbender Die blaue Blume in der Prärie

Eigentlich gehört der 16-jährige Naivling Jay eher auf das getrimmte Grün von Downton Abbey als ins blutige Präriegras des Wilden Westens. Doch der Sohn von Lord und Lady Cavendish folgt der sengenden Sehnsucht nach seiner aus Schottland geflohenen Liebe Rose (Caren Pistorius).

 Rasur für den Milchbart: Michael Fassbender (o.) als Silas und Kodi Smit-McPhee als Jay in "Slow West".

Rasur für den Milchbart: Michael Fassbender (o.) als Silas und Kodi Smit-McPhee als Jay in "Slow West".

Foto: Prokino

Zwar schläft er mit Colt im Anschlag, aber da entweder die Kammer leer oder der Lauf verstopft ist, würde sein hehres Abenteuer wohl bald tödlich enden. Doch der wortkarge Cowboy Silas (Michael Fassbender) rettet ihn, kassiert für seine Führerdienste 100 Dollar und spekuliert auf mehr: Anders als Jay weiß er nämlich, dass auf Rose und ihren Vater ein stattliches Kopfgeld ausgesetzt ist... Die Lunte glimmt also, zumal auch Silas' ehemaliger Bandenchef Payne (furchterregend: Ben Mendelsohn) und seine nicht nur äußerlich zerlumpte Desperadotruppe auf einen fetten Zahltag hoffen.

Schon aus dem Kontrast zwischen dem idealistischen Schwärmer und dem hartgesottenen Beschützer schlägt Musiker John Maclean ("The Beta Band") in seinem Regiedebüt "Slow West" komische Funken. Da prallt deplatzierte Kultiviertheit auf maulfaule Effizienz, wobei Silas nicht umhin kommt, insgeheim die Unbeirrbarkeit des Adelssprösslings zu bewundern. Ohnehin inspiriert Jays Versponnenheit den ganzen Film auf eine wundersam unberechenbare, ebenso absurde wie lyrische Weise. Es gibt geträumte Rückblenden ins wolkenverhangene Schottland, düster eingefärbte Glückverheißungen sowie Vorahnungen baldigen Unheils. Denn obwohl Maclean durchaus Westernmuster zitiert, erzählt er gleichzeitig ein Minnesänger-Märchen, das letztlich wohl zu schön ist, um nicht in eine herzzerreißende Moritat zu münden.

Einerseits blüht in den Prärie (von Neuseeland) die blaue Blume der Romantik, andererseits wird die Ausrottung der Indianer nicht nur von einem suspekten Völkerkundler namens Werner beklagt, sondern auch gezeigt. Und man lasse sich sich vom Walzer-Folk des Soundtracks nicht einlullen: Hier bricht die Gewalt ins Idyll. Dennoch sucht Maclean sein Heil nicht in der drastischen Brutalität von Clint Eastwoods "Erbarmungslos". Vielmehr belebt er das wohl totgesagteste aller Genres mit einer ebenso wilden wie stimmigen Mischung aus handfester Spannung, schwarzem Humor und surrealen Einsprengseln.

Da werden Pfeile aus der Luft gegriffen, diebische Indianer slapstickhaft vom Pferd geholt oder Holzfäller Opfer ihrer eigenen Axt. Am Lagerfeuer wird den Zuhörern mancher Schwarzbär aufgebunden, wobei sich die Guten im Absinthrausch auch schon einmal ins Camp der Bösen verlaufen. Doch die Inszenierung nimmt den Western ernst genug, um das Ganze nicht in die Parodie kippen zu lassen. Michael Fassbenders Silas offenbart nach und nach aparte Risse in der rauen Schale, während der begabte Kodi Smit-McPhee zeigt, wie Jays weltfremder Noblesse ein bisschen Härte zuwächst.

Alles endet, wie es sich gehört: mit Gewehrsalven und angeschossenen Helden. Ein klassischer Showdown und mehr: der letzte Akt eines Liebesdramas - unerbittlich und doch tröstlich, knallhart und poetisch wie dieser eigensinnige Film. Rex

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort