Der Schrecken im Auge des Sturms

Manfred Beilharz inszeniert mit kluger Zurückhaltung in der Bonner Oper Beethovens "Fidelio"

Der Schrecken im Auge des Sturms
Foto: Thilo Beu

Bonn. Vielleicht ist ein altmodisches Wort angebracht: Demut. Manfred Beilharz inszeniert Beethovens "Fidelio" in Demut gegenüber dem Werk und dem Komponisten. Bonns Generalintendant, in den letzten Wochen von der Kulturpolitik gebeutelt und geknebelt, nimmt sich ganz zurück in dieser Arbeit; was nicht bedeutet, dass er nichts zu sagen hätte. Er sagt es nur stiller und schlichter. Die Inszenierung ist fast ein Zeichen der Ruhe inmitten all der (vor)schnellen politischen Konzepte, ein Zeichen der Ruhe freilich auch in all dem Regie-Aktionismus, der die Opernbühnen hier zu Lande häufig überfällt.

Man soll sich bei Beilharz natürlich auch nicht täuschen. Gemütlich gibt sich dieser Bonner "Fidelio" durchaus nicht, Beilharz inszeniert eine Oper sozusagen im Auge des Sturms. Mitunter beispielsweise öffnet sich der Vorhang für einen breiten Sehschlitz, in dem Listen mit Namen aus aller Welt auftauchen. Da sind sie denn auf geradezu unheimlich leise Art gegenwärtig, all die Opfer des Terrors weltweit, gegenwärtiger sicher, als es eine brutal nach vorn gespielte Inszenierung zeigen könnte.

Beilharz hütet sich vor Konkretisierungen, die immer auch Verkleinerungen bedeuten, er siedelt diese Schreckens- und Freiheitsoper nicht bei einem der aktuellen oder historischen Terror-Regime an; zwei riesige Militärfahrzeuge, die die Bühne (Bernd Holzapfel) rahmen, sind Bedrohung genug. Und Bonns Intendant hält sich auch zurück mit der inzwischen weit verbreiteten Skepsis im langen Final-Jubel; er steht, bis in die privaten Verästelungen hinein, für den utopischen Entwurf dieser Oper - und allenfalls der allzu liebliche Himmel und der allzu operettenhaft daherkommende Minister mögen ganz dezent ein bisschen Misstrauen säen.

In dieser bewusst einfachen, nicht glatten Inszenierung fallen denn auch die Widersprüche zwischen beschaulicher deutscher Spieloper, Schicksalsdrama und Oratorium weniger schroff aus. Die Inszenierung verharrt im Privaten, konzentriert sich auf die Geschichte einer mutigen Frau, die unbeirrbar das scheinbar Unmögliche versucht. Und was die Seelenregungen all dieser "Fidelio"-Personen angeht, so vertraut Beilharz ganz und gar der Psychologie der Musik, er lässt ganze Passagen bewegungslos im Lichtkegel singen. Solche Zurückhaltung ist umso angebrachter, als mit der jungen Anne Schwanewilms eine Leonore auf der Bühne steht, die für ihr Rollendebüt alles mitbringt, was man für diese Partie braucht: Feuer, Leuchtkraft, Posie, Mut - die Stimme vermittelt all dies, ohne je strapaziert zu wirken. Mag sein, dass die Bonner den Vorzug hatten, die international prägende Leonore der nächsten Jahre als erste gehört zu haben.

Alfons Eberz, der Bonner Siegmund und Siegfried aus dem Ring, sorgt daneben für das tenorale Strahlen. Fast freilich wirkt dieser Dauerglanz ein wenig zu "gesund", es fehlt die bewusste Atemlosigkeit, auch die bewusste Grenzerfahrung, die man in dieser Partie zeichnen sollte. Hans-Georg Moser (Rocco) ist mit einem sehr prägnanten Bass der Dritte im Bunde des Spitzentrios; Gisela Stille (Marzelline) und Axel Mendrok (Jaquino) weisen mit kluger Charakterisierung über die Spieloper hinaus. Ein bisschen schwächer steht`s in Bonn um Claudio Otelli (Pizarro) und Reuben Wilcox (Fernando).

Generalmusikdirektor Marc Soustrot dirigiert - und natürlich auch, weil GMDs das so mögen (auch wenn`s nicht logisch ist), die 3. Leonoren-Ouvertüre vor dem Schlussbild. In der zweiten Hälfte dieser Aufführung agiert er mit dem Orchester der Beethovenhalle und dem wie inzwischen immer fesselnden Chor der Oper hinreißend; die dramatischen und jubelnden Attacken haben kontrollierte Schärfe. Zuvor war`s fast ein bisschen penetrant, wie Soustrot in jede Note Bedeutungsschwere hineingeheimnisste.

Die nächsten Aufführungen: 21. und 25. Dezember, 9. und 31. Januar; Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers.

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