Kölner Sommerfestival Der Puls Kubas

Köln · Ballet Revolución kommt in die Kölner Philharmonie. Das Ensemble verbindet klassische Tanzkunst mit karibischem Temperament. Die Kostüme stammen von „Let’s Dance“-Juror Jorge González.

 Jorge Gonzalez entwirft seit 2012 die Kostüme für Ballet Revolucion

Jorge Gonzalez entwirft seit 2012 die Kostüme für Ballet Revolucion

Foto: Sven Darmer

Seine Art, sich zu kleiden? Sagen wir mal: exzentrisch. Seine Absätze? Atemberaubend. Seine Sätze: mitunter nahezu unverständlich, in einem liebenswerten Kauderwelsch zwischen Deutsch und Spanisch. Doch niemand strahlt so über zwei Reihen großer weißer Zähne, und niemand reißt zur Bestnote „10“ den linken Arm so expressiv in die Höhe wie Jorge González als Punktrichter der RTL-Tanzshow „Let's Dance“. Bekannt geworden ist er dem Fernsehpublikum hierzulande 2009 durch Heidi Klums Format „Germanys Next Topmodel“. Sein Markenzeichen: der „Chicas Walk“. Diesem Namen hat der Mann, der seit 1991 ein Diplom in Nuklearökologie besitzt, 2011 seiner ersten Kollektion sowie später auch der in seiner Wahlheimat Hamburg gegründeten Akademie für selbstsicheres Laufen gegeben.

Seit 2012 entwirft Jorge González außerdem die Kostüme für die Compagnie Ballet Revolución, die jetzt nach ihrem gefeierten Debüt beim Kölner Sommerfestival vor vier Jahren wieder in die Philharmonie kommt: vom 12. bis 24. Juli sowie vom 2. bis 6. August. Für zwei Stunden Athletik und Anmut, Dynamik und Leidenschaft; weil Tanzen und Atmen für Kubaner im Grunde ein- und dasselbe sind.

Und sie sehen gut dabei aus – gerade so, wie González es ihn auf den Leib geschneidert hat. Mit Hosen und Hemden, Röcken und Catsuits, die – und das mag den einen oder anderen vielleicht überraschen – fast ohne Glitter und Bling Bling auskommen, aber vor allem ohne schwindelerregende, 18 Zentimeter hohe Hacken. Weil jemand, der als Kind selbst unbedingt Tänzer werden wollte, schließlich weiß, worauf es ankommt: „Cubra Libre“ am Boden und in der Luft, in waghalsigen Sprüngen und sinnlichen Momenten; in Rot und Orange, Pink und Violett, in Blau, Grün und Petrol; mit Volants, figurbetont und weit offen flatternd, schwarz und transparent, in Leder und mit Pailletten besetzt. Erlaubt ist, was gefällt. Weil Kontraste und Grenzen dazu da sind, um nach Herzenslust mit ihnen zu brechen.

So wie es der Titel „Ballet Revolución“ – in weißen und roten Buchstaben auf schwarzem Grund – andeutet. Auch wenn das mit der Revolution seit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kuba und den USA so manchem als reichlich überholt erscheinen will. Na schön: Bleiben die bunt gestrichenen Fassaden, die wunderbaren alten Autos und die Reklametafeln für Rum, die der europäischen Sehnsucht nach kommunistischer Romantik entsprechen. Und die mit dieser Show nichts, aber auch so gar nichts gemein haben. Wer etwas in der Art von Wim Wenders „Buena Vista Club“ erwartet, wäre hier grundfalsch.

Das, was diese Show trägt, sind vielmehr die späten Früchte einer Idee Fidel Castros. Auf dessen Initiative wurde 1961 in Havanna die Escuela Nacional de Arte (ENA) gegründet, um allen Begabten eine kostenlose künstlerische Ausbildung zu ermöglichen. Heute werden die Schüler der Klassen im klassischen und modernen Tanz aus den 14 Provinzen Kubas geradezu handverlesen.

Die 19 Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie sind allesamt durch diese Schule gegangen und treiben ihr Können auf die Spitze, um es mit Streetdance, Hip Hop und den afrokubanischen Traditionen ihrer Heimat zu verbinden; um nicht mit der Musik, sondern in ihr zu tanzen. Sie sind auf Tournee eine Familie für sich: deren Mitglieder beim Dinner nach der Show im Wiener Museumsquartier ausschließlich Spanisch sprechen und die sich gelegentliches Heimweh auf der Bühne von der Seele tanzen – um dort ein paar Mal ganz tief durchzuatmen.

Es gibt die große Gruppe, die wirbelt, springt und tanzt, die zeigt, wie man Temperament und überbordende Lebensfreude optimal in Bewegung setzt, wie der Körper, die Sprache, die er von Kindheit an gelernt hat, auf jeder Bühne, in jedem Land dieser Welt spricht. Es soll so aussehen, als habe jemand die Tänzerinnen und Tänzer auf den Straßen Havannas vom Fleck weg engagiert. Und das tut es. Das ist eine Facette dieser Show zu Nummer-Eins-Hits von Pitbull („Fire Ball“) und Rihanna („We Found Love“), David Guetta („Nothing Really Matters“) und Beyoncé („Run The World“).

Und es gibt hingebungsvolle Momente, wenn zwei Solisten in der Mitte plötzlich die Blicke aller auf sich ziehen. Was es bei Ballet Revolución jedoch nicht gibt, sind einsam herausragende Stars am einen Ende der Skala und ein allzu routiniertes Corps de Ballet am anderen. Hier kann jeder jeden Part tanzen, ihn mit seiner eigenen Präsenz und Persönlichkeit ausfüllen. Das ist die unschlagbare Stärke dieser Show.

Auf die Tatsache, dass Roclan Gonzalez Chavez und sein Co-Choreograph Aaron Cash keinen roten Faden für das Publikum auslegen, dass es keine – wenn auch noch so lose gewebte Geschichte gibt – sollte man allerdings vorbereitet sein, um Irritationen zu umgehen. Denn die hätte Ballet Revolución schlichtweg nicht verdient. Zumal Produzent Mark Brady die Großzügigkeit besitzt, in rund 120 Minuten lauter Perlen von der Kette zu ziehen, auf dass jeder im Publikum sein Lieblingsstück wiedererkennt und mit ihm sowie ein paar neuen Favoriten im Kopf den Theatersaal verlässt.

„Take Me To Church“ wäre dafür ein passender „Kandidat“: die Performance der Tänzer vor einer mitternachtsblauen Kulisse, mit freien Oberkörpern und schwarzen Hosen so pur, so kraftvoll und so leidenschaftlich wie die Stimme des irischen Sängers Andrew Hozier-Byrne: so wie der Puls der Melodie, ihr Auf und Ab.

Nur noch zu übertreffen von der Choreographie zu Joaquin Rodrigos „Concierto de Aranjuez“: mit zwei Stühlen an den entgegengesetzten Enden der Bühne im Lichtkegel stehen. Darauf zwei Paare, die ihr Glück und das Zerbrechen ihrer Beziehung exerzieren; das eine im klassischen Stil, das andere in der Sprache des zeitgenössischen Tanzes.

Während hinter dem Gazevorhang die fünf kubanischen Musiker der Ballet Revolución Live-Band um Osmar Salazar Hernandez (Musical Director & Bass) den Ton angeben, die Tänzer vorantreiben. Tempo und die Spielfreude werden eins zu eins übersetzt – von den Gitarrenseiten und den Schlagstöcken direkt in die Füße. „Blurred Lines“ von Robin Thicke und Pharell Williams klingt, als sei es eigens für diesen Abend geschrieben worden. Und „Purple Rain“ hinterlässt kurz vor Schluss genau die exakt-melancholische Note, die der Show Tiefgang verleiht.

Kostümdesigner Jorge González hat derweil auf dem Fernsehbildschirm mal wieder Komplimente und Höchstnoten verteilt. Let's Dance? Das sagt man einem Kubaner nicht zweimal.

Das 29. Sommerfestival Köln findet vom 12. bis 24. Juli und vom 2. bis 6. August in der Philharmonie ,Bischofsgartenstraße 1 in Köln statt. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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