Vor 50 Jahren wurde das Theater Bonn eröffnet Der große Traum

BONN · Am 5. Mai 1965 wurde am Boeselagerhof in Bonn das neue Theater eröffnet. In der jungen Hauptstadt begann es als "Hoftheater", wurde in den 80er Jahren zur "Scala am Rhein" und befindet sich heute auf der Suche nach einer neuen Identität.

 Bonns Theater bei Nacht: Der 50 Jahre alte Bau wirkt mit seiner charakteristischen Fassade und dem imposanten Bühnenturm wie ein Solitär am Rheinufer.

Bonns Theater bei Nacht: Der 50 Jahre alte Bau wirkt mit seiner charakteristischen Fassade und dem imposanten Bühnenturm wie ein Solitär am Rheinufer.

Foto: Thilo Beu

Die Stuttgarter Architekten Klaus Gessler und Wilfried Beck-Erlang ließen zu jedem der 901 Theatersitze ein von der Klimaanlage des Hauses gespeistes Rohr installieren, das je nach Jahreszeit und Wetterlage sanft kühle oder warme, trockene oder befeuchtete Luft zum Theater- oder Operngast blies, der sich auf diese Weise unbeschwert dem Geschehen vorn auf der Bühne hingeben konnte.

Eröffnung mit "Orestie" des griechischen Dichters Aischylos

Am Dienstag vor 50 Jahren, am 5. Mai 1965, war dies zum ersten Mal der Fall. Bundespräsident Heinrich Lübke, Bundeskanzler Ludwig Erhard, zahlreiche Minister des Bundeskabinetts, der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings und natürlich Bonns Oberbürgermeister Wilhelm Daniels zählten zu ausgewählten Gästen, die zur Eröffnung des neuen Theaters auf den nachtblau bezogenen Theatersesseln Platz nahmen. Auf der Bühne hatte Hausherr Karl Pempelfort ein klassisches Spiel um Macht und Intrigen arrangiert, die "Orestie" des griechischen Dichters Aischylos. "Wir wollten die Eröffnung mit dem ältesten Stück beginnen", sagte er damals.

Baukosten von 23 Millionen Mark

Das neue Theater, mit dessen Bau am Rhein gleich neben der Kennedybrücke im Oktober 1961 begonnen worden war, kostete 23 Millionen deutsche Mark. Für damalige Verhältnisse eine ziemlich üppige Summe. Doch die Geldgeber, neben der Stadt waren dies der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen, investierten freilich auch in ein Stück Repräsentationskultur. Das schon bald unter dem hübsch ironischen Namen "Pempel-Fort" bekannte Gebäude am Boeselagerhof sollte an die Tradition des Hoftheaters der großen Kurfürsten anknüpfen.

Fürstenloge für hohe Staatsgäste

Nicht nur für die Theaterfreunde der Stadt und der Region, auch für die in Bonn weilenden Politiker, Diplomaten und deren Gäste sollte das Theater zu einer ersten Adresse werden. Sogar an eine "Fürstenloge" hatte man gedacht - wenn auch erst nach Intervention des Auswärtigen Amtes.

Die hohen Staatsgäste konnten mit ihren Limousinen an der Rheinseite an einem überdachten Nebeneingang halten und die mit bequemen Polstersesseln ausgestattete Loge über einen für 150 000 Mark eigens eingerichteten Lift erreichen. Lübke, Erhard und die anderen Gäste der Eröffnungsfeier zogen es als volksnahe Demokraten freilich vor, den Haupteingang zu nehmen und zu Fuß zu gehen, trotz - oder gerade wegen - der vielen Pressefotografen, die den Weg säumten.

Kurze Hoffnung auf die Queen

Dann wurde es ernst: "Mit Haydns Kaiser-Quartettsatz, der Melodie des Deutschlandliedes, wurde gestern Abend um 19.40 Uhr Bonns neues Stadttheater am Rhein feierlich eröffnet, als Bundespräsident Heinrich Lübke mit seiner Gattin die Fürstenloge im Mittelrang betrat", berichtete der General-Anzeiger am folgenden Tag. "Ein Streichquartett spielte in der Intendantenloge."

Ein paar Tage lang durften die Bonner hoffen, dass die britische Königin Elizabeth II. die Loge einweihen würde. Die Queen befand sich zu der Zeit gerade auf Staatsbesuch in der Bundeshauptstadt. Doch das Protokoll ließ für den ursprünglich am 18. Mai vorgesehenen Besuch des Theaters keinen Spielraum.

Spartenübergreifender Eröffnungsreigen

Neben Aischylos sah der Spielplan des spartenübergreifenden Eröffnungsreigens eine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts "Don Giovanni" sowie die Uraufführung der Polit-Komödie "Die Schwätzer" von Dieter Waldmann vor. Die Regie führte Hans-Joachim Heyse, der dann von 1970 bis 1981 Pempelforts Nachfolger in der Theaterleitung wurde.

Mehr Budget nach Unterzeichnung der ersten Bonn-Vereinbarung

Die Ära des Gründungstheaterchefs Pempelfort, der 1951 als Oberspielleiter nach Bonn gekommen war und fast anderthalb Jahrzehnte die Geschicke des Theaters im Großen Saal des an der Poppelsdorfer Allee gelegenen Bürgervereins leitete, musste mit noch vergleichsweise bescheidenem Budget haushalten. Das änderte sich mit der Unterzeichnung der ersten Bonn-Vereinbarung im März 1980, mit der die Weichen für eine repräsentativ ausgestaltete Zukunft der Bundeshauptstadt gestellt wurden.

"Das war natürlich nur mit Hilfe der Kultur möglich", merkte der damalige Bonner Stadtdirektor Fritz Brüse einmal an, der für Bonn die Verhandlungen führte und brieflich die Bedingungen für den in Aussicht gestellten Geldsegen entgegengenommen hatte. Man schrieb ihm: "Der Bund erwartet (...) eine Weiterentwicklung des Theater- und Konzertwesens durch eine Verbesserung des künstlerischen Angebots, eine Verbesserung der technischen und räumlichen Möglichkeiten sowie eine Vergrößerung des Orchesters der Beethovenhalle."

Aufstockung auf über 120 Musiker

In der Folge wurde der Klangkörper auf über 120 Musiker aufgestockt, die Oper arbeitete unter der Intendanz des Elsässers Jean-Claude Riber daran, Bonns Oper zur "Scala am Rhein" zu machen, selbst die Auslagerung des von Peter Eschberg geleiteten Schauspiels 1986 war eine Konsequenz aus den Verpflichtungen, die der Stadt durch den Bund auferlegt wurden. Das von Peter van Dyk und ab 1988 von Youri Vamós geleitete Ballett blieb freilich im Haus.

Riber steht für die "goldene Zeit" des Bonner Opernlebens. Von 1981 bis 1992 machte er, was man vom ihm verlangte: Hauptstadt-Musiktheater. Er verpflichtete Weltstars in Serie, von Margaret Price bis Hans Sotin, von Katia Ricciarelli bis Renato Bruson und Gösta Winbergh, René Kollo und Peter Hofmann. Noch heute schwärmen die Opernfans von Bellinis "Norma", die 1983 in Bonn Premiere feierte, mit einer unvergleichlichen Mara Zampieri in der Titelrolle.

Auch namhafte Regisseure holte Riber nach Bonn, darunter Willy Decker, Ken Russell oder Gian-Carlo del Monaco, der ihn später als Intendant beerben sollte. Der Erfolg gab Ribers Politik recht: Die Platzausnutzung lag Jahr für Jahr bei 99 Prozent. Die Opernfans campierten regelrecht vor der Theaterkasse, um an die raren Karten, die in den freien Verkauf gingen, zu kommen.

Unruhe in der Führungsetage

Doch in der Führungsetage des Hauses begann es bald zwischen Riber und Generalmusikdirektor Gustav Kuhn zu brodeln. Als der Elsässer die musikalische Leitung einer Neuinszenierung von Wagners "Fliegendem Holländer" in andere Hände geben wollte, reagierte Kuhn temperamentvoll: Vor dem versammelten Bonner Kulturausschuss versetzte er am Nachmittag des 23. April 1985 dem Generalintendanten eine schallende Ohrfeige.

Die Wogen schlugen hoch und beruhigten sich auch nach einer schriftlichen Entschuldigung des Dirigenten nicht, der als Watschen-Kuhn in die Annalen der Stadt einging. Schlimmer für Riber als die Ohrfeige war jedoch ein Interview, das der Dirigent wenig später dem Spiegel gab, und der es (fast) pünktlich zum 20. Geburtstag des Hauses am 6. Mai 1985 mit der Schlagzeile "Viele Opernhäuser machen bloß Stimm-Porno" an die Kioske brachte.

Streit zwischen Riber und Kuhn

Im Interview rechnete Kuhn schonungslos mit Ribers Politik ab: "Er kauft für viel Geld gute Sänger ein und stellt sie wie vor 80 Jahren auf die Bühne, zwischen Kulissen wie in einer Klitsche und mit einer so phantasielosen Unbeweglichkeit wie in einer Schmiere. Wenn diese Sänger dann ihre Arien abgeschmettert haben, flippt das Publikum aus, brüllt und grölt, und der Herr Intendant glaubt dann allen Ernstes, er habe etwas kulturell Sinnvolles geleistet."

Diese publizistische "Ohrfeige" hat Kuhn den Job gekostet, aber auch Ribers Renommee war angeschlagen. Sein Ideal von der Sänger-Oper, das sich am besten mit dem Kernrepertoire des Opernbetriebs von Mozart bis Puccini pflegen ließ, musste er immer stärker gegen Kritiker verteidigen. Denn er wollte "nicht gegen ein Publikum und nur für ein paar Links-Feuilletonisten in Liegestühlen spielen", sagte er einmal.

Generalintendant verabschiedet sich 1992

Dass ein angesehener Komponist wie Udo Zimmermann von 1985 bis 1990 die ambitionierte Werkstatt für zeitgenössisches Musiktheater leitete, konnte Riber nicht nachhaltig auf seiner künstlerischen Habenseite verbuchen. Zwar hatte er den 1986 gegründeten Verein der Opernfreunde geschlossen auf seiner Seite, die Kulturpolitik jedoch nicht. Der Generalintendant verabschiedete sich 1992 mit einer eigenen Inszenierung von Wagners "Walküre".

Sein Traum von einem Bonner "Ring" ging nicht mehr in Erfüllung (den sollte es erst in einer Inszenierung von Siegfried Schoenbohm in der Ära von Manfred Beilharz geben). Zum Abschied menetekelte Riber in einem Interview mit der "Bonner Illustrierten" bitter: "Bonn wird nie eine Kulturstadt." Dem Kulturdezernenten Jochem von Uslar sprach er jegliche Kompetenz ab.

Verlängerung der Vereinbarung bis 1999

Der konnte aber auch nach Wende und Hauptstadtbeschluss noch eine Weile mit einem stattlichen Kulturetat rechnen, weil die Bonn-Vereinbarung bis 1999 verlängert wurde. Das Wort Bescheidenheit musste Ribers Nachfolger Gian-Carlo del Monaco, den man bei einem Geheimtreffen am Köln-Bonner Flughafen verpflichtet hatte, nicht in seinen Wortschatz aufnehmen. "Überall anderswo wird gespart, Bonns Oper klotzt", begann ein Beitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit" über die Produktion der Indianer-Oper "Il Guarany" des brasilianischen Verdi-Zeitgenossen Antonio Carlos Gomes.

Werner Herzog, durch sein Kinoabenteuer "Fitzcarraldo" mit Klaus Kinski an amazonischem Opernwahnsinn geschult, führte Regie, Startenor Placido Domingo sang die ersten vier Vorstellungen. Es fanden sich daneben weitere schöne Perlen im del-Monaco-Repertoire wie etwa Jürgen Roses Inszenierung der Mozart'schen "Zauberflöte", die bis heute - selbst in dem Anfang der 90er um einen weiteren Rang auf 1037 Plätze aufgestockten Zuschauerraum - für ausverkaufte Vorstellungen sorgt.

Neue Zeitrechnung ab 1999

Mit Auslaufen des Bonn-Vertrags begann an der Oper endgültig eine neue Zeitrechnung. Man konnte dem Rotstift nicht mehr ausweichen. Musiktheater werde 1999 nur noch auf dem Niveau von Gelsenkirchen möglich sein, orakelte del Monaco zum Abschied und prophezeite, dass sich sein Nachfolger Manfred Beilharz dann auszahlen lassen werde. Beilharz, der seit 1991 bereits Schauspielchef in Bonn war, hatte eine entsprechende Klausel tatsächlich im Vertrag, aber er blieb.

Bis 2002 hielt er aus, bevor er sich doch dem wachsenden Spardruck beugte und nach Wiesbaden weiterzog. Als Interims-Chef holte man für ein Jahr den früheren Mannheimer Theaterchef Arnold Petersen. Mit eisernem Sparwillen bereitete der damals 76-Jährige dann Klaus Weise den Weg. Der umworbene Theatermann Weise, der in Oberhausen Publikum und Feuilletons begeistert hatte, verstand es geschickt, trotz des weiter abschmelzenden Etats großartiges Musiktheater zu machen.

Sparauflage von 3,5 Millionen

Die Fortsetzung des unter Beilharz begonnenen Händel-Zyklus von Dietrich Hilsdorf und Weises eigene Inszenierungen vor allem von Opern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Paul Hindemiths "Cardillac" oder Franz Schrekers "Der ferne Klang" und "Irrelohe" wurden zu gefeierten Glanzpunkten einer Theaterästhetik, die sich mit einem wieder gewachsenen hauseigenen Ensemble denkbar stark von Ribers Idealen entfernt hatte. Doch als die Politik dem Theaterchef eine weitere Sparauflage von 3,5 Millionen Euro abverlangte, warf auch Weise das Handtuch.

"Man verteidigt die Kultur nicht mehr", klagte Weise im Juli 2011 und reichte den Stab an Bernhard Helmich weiter, der seit 2013 Generalintendant in Bonn ist. Und das Gebäude? Da gibt nach 50 Jahren einen erheblichen Sanierungsstau. Schätzungen zufolge müsste man in den einst 23 Millionen Mark teuren Bau bis zu 30 Millionen Euro investieren.

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