Museum Morsbroich Der diskrete Charme der Scharniere

Morsbroich · Als das Wort Recycling noch nicht in aller Umweltmunde war, machte Hans Salentin längst Wiederverwertung zum Kunstprinzip. Der Altmetallhändler lieferte ihm jene Teile, aus denen er ebenso schlichte wie bizarre Skulpturen schuf. Ist dieses hammerschlagblaue, seltsam tänzerische Gebilde nun eine verbogene Pumpe oder Prothese, ist es technisch oder biologisch?

 "Zwei Brüder" heißt diese Salentin-Collage von 1980.M

"Zwei Brüder" heißt diese Salentin-Collage von 1980.M

Foto: Museum

Und der von fern so ergonomisch wirkende Hocker - wird er dank einer Metallwulst nicht doch zum Folterstuhl? Und würde die "Taube" aus Zinkblech je abheben?

In solchen Skulpturen oder den aus dem Bilderrahmen wachsenden Reliefs brilliert der Künstler - 1925 in Düren geboren, 2009 in Köln gestorben - als Virtuose der Irritation. "Ich war nie Salonmaler", sagt er früh und wendet sich beinahe wütend von jeder Malerei ab. Doch auch das Dreidimensionale zwingt er später wieder in die Fläche zurück.

Die mit mehr als 130 Arbeiten repräsentativ bestückte Überblicksschau im Museum Morsbroich heißt denn auch "Hans Salentin - Collagen mit Papier und Metall". Beim Rundgang weist Kurator Fritz Emslander durchaus auf Parallelen zu Dada und Surrealismus hin. Doch Salentin, 1957 mit Heinz Mack und Otto Piene einer der "Zero"-Gründer, bricht 1965 auch aus dieser Gruppe aus.

Danach wird er einer der kreativen Köpfe in der vor Schaffenskraft brodelnden Kölner Kunstszene. Die Regale der Schrotthändler ersetzt er nun durch den Schnipselkasten, collagiert etwa Fotos mit Elementen aus Bauplänen und Bedienungsanleitungen zu merkwürdigen Mensch-Maschinen: vorn eine schnittige Autohaube, hinten zwei Schwimmerbeine.

"Technologische Schönheit" heißt eines seiner Werke, und dies ist kein Spott. "Ich danke den Ingenieuren dieser Welt, die so großartige Formen geschaffen haben", sagt Salentin und beschwört den Charme der Scharniere, die Poesie der Pleuelstangen. 1977 zeigt er auf der documenta seinen aufs reine Fahrwerk skelettierten "Mondkarren", und in den Papierarbeiten der Leverkusener Schau ist der Sog ins All unübersehbar.

Eine Stadtsilhouette wird horizontal gekippt und auf blauen Grund gesetzt - schon wähnt man sich in der Stratosphäre. Nicht immer wirkt die Welt der Technik anheimelnd. Manchmal glaubt man in Frankensteins Labor zu blicken und möchte nicht unbedingt an der Stelle jenes Sprinters sein, der in einem Nussknacker steckt.

Salentin arbeitet buchstäblich vielschichtig. Eigene Collagen werden etwa auf blaues Papier kopiert und so verfremdet. Oder sie werden fotografiert, übermalt und mit applizierten Metallteilen dann doch wieder in Reliefs verwandelt.

Der Künstler hat seine vieldeutigen, oft an Duchamp oder Max Ernst erinnernden Werke selten erklärt und kaum Interviews gegeben. Im Spätwerk lässt sich dennoch deutliche Kritik an den gestylten Bildern der Werbung erkennen. Das schöne Dolce & Gabbana-Parfümmodell etwa bekommt einen Horrorhelm aufgesetzt, und in die schlanke Schöne im Sportdress ist gewissermaßen als Röntgengerippe ein Mountainbike-Rahmen gespießt.

Mit solchen halsbrecherisch montierten Fragmenten, mit Rätselbildern und Assoziationsfeuerwerken fasziniert die Schau als Spiegel einer quecksilbrigen Fantasie. Salentin, der nach einem Unfall 2004 ins Koma fiel, hätte sie sicher gefallen.

Info: Museum Morsbroich, Leverkusen; bis 25. August Di-So 11-17, Do bis 21 Uhr

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