Forschung in Bonn Der bönnsche Darwin

Bonn · Der Neandertaler-Entdecker Hermann Schaaffhausen wird durch ein Internetportal erschlossen. Eine Ergänzung zur Ausstellung im LVR-Landesmuseum.

Die Natur ist das All!“, deklamiert der Professor, „darum gibt es keinen Gegenstand, der nicht in den Kreis der Naturforschung gezogen werden kann“. Und weiter: „Auf so viele Siege stolz, mit denen sie Irrthum und Vorurtheil nieder geworfen hat, zieht sie erobernd über fremde Gebiete hin, und wenn man ihr den Weg vertritt, so kann sie sich auf ihr altes Recht berufen, denn alle Wissenschaft des Altherthums ist aus ihr hervorgegangen.“ Eine kämpferische, unerschrockene Wissenschaft ist das, die der Bonner Anthropologe Hermann Schaaffhausen da vor seinen Kollegen bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte im September 1857 in Bonn feiert.

Er sollte diesen Mut und diese Beharrlichkeit noch brauchen – etwa gegenüber seinem wissenschaftlichen Widersacher und Kritiker, den Berliner Mediziner Rudolf Virchow. Denn vier Jahre nach den damals umstrittenen Thesen zur „Beständigkeit und Umwandlung der Arten“ birgt dieser neue Vortrag Schaaffhausens „Über die Entwickelung des Menschengeschlechts und die Bildungsfähigkeit seiner Rassen“ nicht nur evolutionstheoretischen Sprengstoff. Er wendet sich nämlich auch gegen den Rassismus und die These „dass der Neger zur Bildung des Europäers sich nie erheben werde und könne“. Schaaffhausen „proclamirt“ im Namen der Wissenschaft für alle Rassen die gleichen Menschenrechte. 1857 spriesten erste koloniale Fantasien in Deutschland.

In einem „Amtlichen Bericht“, der in der Bonner Universitäts- und Landesbibliothek liegt, wurde Schaaffhausens Vortrag abgedruckt. Nach ein paar Klicks im Internet kann man sich heute in diese neun Seiten umfassende, wissenschaftshistorisch fesselnde und literarisch anspruchsvolle Abhandlung vertiefen. Ein hochinteressantes Projekt des Leibniz-Informationszentrums für Lebenswissenschaften (ZB Med) macht diese Begegnung möglich und bereichert so die kleine Ausstellung, die der Kooperationspartner LVR-Landesmuseum in Bonn eingerichtet hat.

Vor 200 Jahren wurde Herrmann Schaaffhausen geboren, der Mann, der ein halbes Leben lang für die Durchsetzung seiner Thesen zum Neandertaler und zur Evolution kämpfte, der Mann, der zu den Mitbegründern des damaligen Provincialmuseums (heute Landesmuseum) zählt, und der Mäzen, der dem Haus auf eigene Kosten das bedeutendste Exponat sicherte: die Gebeine des Neandertalers, als dessen wissenschaftlicher Entdecker er gilt. Seit 1877 gehört der Neandertaler zum Landesmuseum und zu Bonn.

Was in der Ausstellung nur unter Vitrinenglas angedeutet werden kann, erweckt das Schaaffhausen-Portal auf der Seite des ZB Med im Internet zum Leben. Anlässlich des 200. Geburtstages hat die Institution die „Digitale Sammlung Herrmann Schaaffhausen“ online gestellt. Da sind die digitalisierten Schriften des Bonner rebenso abrufbar wie Artikel und Bücher, die über ihn geschrieben wurden. Man kann sie auf dem Schirm lesen oder auch kostenlos als PDF hochladen und ausdrucken. Insgesamt 800 Werke zur menschlichen Abstammungslehre sind verfügbar. Seit Jahren wird zudem Schaaffhausens Bibliothek rekonstruiert. Insgesamt 171 Bände konnten in der Bibliothek des Landesmuseums identifiziert werden – sie sind nun virtuell zusammengeführt worden und stehen als digitale Bibliothek zur Verfügung.

Das „Themenportal Schaaffhausen“ ist eine wunderbare Fundgrube mit Dokumenten und selbst verfassten handschriftlichen Lebensläufen, frühen Por-träts und Aufnahmen der Bad Honnefer Villa Schaaffhausen – den Abschluss bildet der von dem Anthropologen-Kollegen Johannes Ranke verfasste Nachruf.

Die Ausstellung beklagt, dass Schaaffhausen anders als andere Gelehrte des 19. Jahrhunderts einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben ist. Und das, obwohl er schon vor Charles Darwins Evolutionstheorie zum Thema publiziert hat und sich sein Name mit bahnbrechenden Forschungen zum steinzeitlichen Leben im Rheinland verbindet. Das neue digitale Portal könnte mit seiner Informations- und Datenfülle nun dazu führen, dass der bönnsche Darwin endlich die Bekanntheit bekommt, die er verdient.

Die Ausstellung im LVR-Landesmuseum, Colmantstraße 14-16, läuft bis 16. Oktober. Di-Fr, Sa 11-18, Sa 13-18 Uhr. Das digitale Schaaffhausen-Portal findet sich unter www.schaaffhausen.com und www.zbmed.de

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