Der Bonner Schauspieldirektor Jens Groß über Angriffe auf die Kunstfreiheit Das kulturelle Klima verändert sich zusehends

bonn · Gastbeitrag: In Bonn hat es bisher noch keinerlei Versuche von Rechtspopulisten gegeben, die Arbeit am Theater zu beeinflussen. Irgendwie kann ich mir das in dieser durch und durch demokratischen und toleranten Stadtgesellschaft auch nicht richtig vorstellen.

 Jens Groß.

Jens Groß.

Foto: Thilo Beu

Aber natürlich ist bekannt, dass zum Beispiel die AfD (aber auch die Identitären) deutschlandweit versuchen, ihre Vorstellungen von "nationaler" Kultur durchzusetzen.

Das Hauptmittel dazu sind im Moment laustarke Störungen von einzelnen Aufführungen, Unterlassungsklagen oder Anfragen und Anträge in den Gemeinde- oder Stadträten, dahingehend, dass man den Theatern finanzielle Förderungen streiche, wenn sie sich nicht so verhalten, wie das von der Afd gewünscht sei.

Das heißt, eine ausschließlich nationale oder sogar nationalistische Kultur zu vertreten und auf der Bühne auch positiv abzubilden (wie es in den Wahlprogrammen nachzulesen ist). In Berlin ist das schon so unterschiedlichen Theatern wie dem Friedrichstadt-Palast, der Schaubühne, dem Maxim-Gorki-Theater und dem Deutschen Theater passiert.

Darauf sollte man besser jederzeit vorbereitet sein. Sogar aus Paderborn, aus Dessau und aus Aachen wurden Einschüchterungsversuche von Rechtspopulisten gemeldet. Im Moment scheint es so, als würde an verschiedenen Orten nur mal getestet, auf welchem Wege man rechtspopulistischen Erfolg haben könnte.

Deutlich wird (auch durch lautstarke Anfragen und Anmerkungen im Bundestag) das Primat der künstlerischen Freiheit gesamtgesellschaftlich infrage gestellt. Und das zeigt leider Wirkung, wenn eine überregional geschätzte Künstlergruppe wie das "Zentrum für politische Schönheit" nach einer Kunstaktion gegen einen rechtspopulistischen Politiker plötzlich vom Verfassungsschutz wie eine Terroristengruppe eingeschätzt und überwacht wird.

Das kulturelle Klima verändert sich zusehends. Noch wurden praktisch alle gerichtlichen Versuche, Vorstellungen (wie in Berlin Falk Richters "Fear") abzusetzen, abgewiesen, aber wenn sich die Mehrheitsverhältnisse weiter verändern und die Afd irgendwo an einer Regierung beteiligt würde, dann würden sich diese Forderungen, Gängelungen oder Bevormundungen steigern.

Die Instrumentarien kennt man aus Zeiten des Nationalsozialismus. Und deswegen muss man gerade jetzt schon lautstark darauf hinweisen, was da gerade passiert.

Natürlich würden wir uns am Theater dennoch nicht einschüchtern lassen, uns keinesfalls einen Spielplan oder eine bestimmte Interpretation aufzwingen lassen. Vermutlich würden wir den Angriff auf die Kunstfreiheit thematisch aufgreifen und gemeinsam mit unseren Besuchern diskutieren.

Und ich wüsste in Bonn eine breite, kulturinteressierte, intelligente Mehrheit in meinem Rücken, die gemeinsam mit uns eher nach Möglichkeiten einer lebenswerten "offenen Gesellschaft" als einer Gesellschaft der Ressentiments und Ausschließlichkeit gegen alles Andere/Fremde (also auch gegen die Freiheit der Kunst und Kultur) suchen.

Dennoch bleibt die beängstigende Frage, wie lange man uns am Ende ein Theater bespielen lässt. Gründe, Theater zu schließen oder ausbluten zu lassen, gibt es aus (finanz)politischer Sicht ja auch ohne die Afd so schon genügend.

Am Dienstag, 18. Juni, 18 Uhr, tritt Jens Groß in der neuen Reihe "Vor Ort" der Volkshochschule auf. Im Gespräch mit GA-Redakteur Dietmar Kanthak stellt er sich im Trinkpavillon Bad Godesberg unter anderem folgenden Fragen: Welche Rolle spielt für ein Theater das direkte Umfeld, wie sieht die Publikumsstruktur eines Theaters heute aus, in welchem Prozess entstehen die Programminhalte? Eintritt: sechs Euro. Informationen unter www.vhs-bonn.de

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