Das Grauen, der Jubel und die Botschaft

Zwischen Expressivität und Beliebigkeit: Zum Abschluss des Bonner Beethovenfestes dirigierte Roman Kofman Beethovens 9. Sinfonie und Arnold Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau"

  Voller Einsatz beim Beethovenfest:  Bonns Generalmusikdirektor Roman Kofman

Voller Einsatz beim Beethovenfest: Bonns Generalmusikdirektor Roman Kofman

Foto: Fischer

Bonn. Die Entdeckung des Beethovenfests in diesem Jahr heißt Roman Kofman. Bonns neuer Generalmusikdirektor hatte einen sensationellen Start: mit Alban Bergs "Lulu" im Opernhaus (jenseits des Festivals auch mit Verdis "Macbeth") und mit den hinreißend durchgeformten Gurre-Liedern von Arnold Schönberg.

Freilich gibt es auch für Kofman und sein Beethoven Orchester Bonn noch etwas zu entdecken - nämlich erstaunlicherweise Beethovens 9. Sinfonie. Deren Interpretation nämlich machte - ausgerechnet im Abschlusskonzert des Festivals - nicht gerade einen überzeugenden Eindruck. Sie wirkte fahrig, hatte viele kleine Schönheitsfehler und vor allem: kein zwingendes Konzept.

Dass Kofman mit dem Beethoven Orchester noch eine Menge zu arbeiten hat, wenn dieses Ensemble in der Beethoven-Auseinandersetzung tatsächlich eine Spitzenposition einnehmen will, liess sich speziell am dritten Satz abhören. Es fehlte an Klangkultur, an Abstimmung untereinander, an subtilen Übergängen - dieses Adagio zerfiel in unendlich viele kleine Teile.

Kofman war die Sinfonie maßvoll angegangen, im ersten Satz durchaus ein wenig Wucht vermittelnd - aber das Sperrige der Partitur, ihr deklamatorischer Charakter blieb eher unvermittelt.

Das Molto vivace des zweiten Satzes kam ein bisschen zu gemütlich daher; was man dort an Tempo verloren hatte, schien man im Finale aufholen zu wollen: eine geradezu furiose Jagd, die in ihren besten Augenblicken auch etwas vom Hektischen, vom Übersteigerten, von der Atemlosigkeit der Freuden-Botschaft erahnen ließ.

Das vokale Doppel-Ensemble aus Philharmonischem Chor Bonn (Einstudierung Thomas Neuhoff) und Opernchor (Einstudierung Sibylle Wagner) machte solche Geschwindigkeits-Attacken problemlos mit, und für die nötige Veredelung sorgte auch das Solisten-Quartett: Franziska Hirzel mit ihrem wie immer leuchtenden Sopran, Susanne Schaeffer, der man in der Alt-Partie ein wenig mehr Durchschlagskraft gewünscht hätte, Michael König (Tenor) mit einer erstaunlich gesanglichen Linie der fast unsingbaren Partie und vor allem Reinhard Hagen mit bezwingend deklamierendem Bass.

Gekoppelt hatte man Beethovens Neunte mit Arnold Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau", jenem erschütternden musikalischen Denkmal für die von den Nazis in den Tod gejagten Juden.

Maximilian Schell war der Sprecher in diesem unfassbaren Zeugenbericht eines Überlebenden, den Schönberg in englischer Sprache aufgeschrieben hat mit den deutschen Einsprengseln eines Feldwebels ("Abzählen! In einer Minute will ich wissen, wie viele ich zur Gaskammer abliefere!").

Schell hielt eine unvergleichlich intensive Balance von Distanz und Direktheit, von Nachdenklichkeit und Schärfe. Ebenso berührend Kofmans Dirigat in seiner Expressivität.

Der grelle, brutale Schluss-Akzent des Schönberg-Werks ging ohne jede Pause über in die wispernden Einleitungs-Takte der Beethoven-Sinfonie - ein überzeugender Kunstgriff. Festival-Intendant Franz Willnauer wollte in der Zusammenstellung beider Werke zum Finale des Beethovenfests letztlich so etwas wie die "humane Botschaft sehen, die aller großen Kunst innewohnt. So rücken Beethovens emphatischer Glaube an einen ,lieben Vater überm Sternenzelt` und das von Schönberg beschworene ,Höre Israel` ganz nahe aneinander."

Lesen Sie zum Beethovenfest auch den Kommentar: " Ein Festival mit Profil"

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