Christoph Nußbaumeders Stück "Die Kunst des Fallens" als Kölner Uraufführung

Nicht der Donaublick lockt die Gäste immer wieder in den Biergarten Felsenschänke", sondern die schöne Tochter der Wirtin. Harry, Adam, Paul, Sam - alle hatten oder wollen etwas mit ihr, aber jeder Flirt, jede lieblose Affäre schwächt Sigrids Leuchten.

Ein klinischer Fall: Nora von Waldstätten als Sigrid.

Ein klinischer Fall: Nora von Waldstätten als Sigrid.

Foto: Klaus Lefebvre

Köln. Nicht der Donaublick lockt die Gäste immer wieder in den Biergarten Felsenschänke", sondern die schöne Tochter der Wirtin. Harry, Adam, Paul, Sam - alle hatten oder wollen etwas mit ihr, aber jeder Flirt, jede lieblose Affäre schwächt Sigrids Leuchten.

Um dieses Zentralgestirn lässt Christoph Nußbaumeder ein Planetengetriebe rotieren, das so bunt und schräg ist wie die verrutschte Lampionkette am Sperrholzfelsen (Bühne: Thomas Dreissigacker).

Bis auf den arroganten Anwalt Adam (famos in seiner gelackten Selbstgerechtigkeit: Andreas Grötzinger) sind sie alle Verlierer: arbeitslos wie Sam (Orlando Klaus), alkoholsüchtig wie Joseph (Paul Fassnacht) oder abgewrackt wie Harry (Robert Dölle).

Termine und Tickets Nächste Termine: 9., 11., 12. Juni. Karten in den GA-ZweigstellenNur das Verlangen nach Sigrid gibt ihnen für eine Weile trügerische Energie. Diese erotische Fata Morgana ist das Zentrum des Stücks "Die Kunst des Fallens", das Nußbaumeder als erster Preisträger des Kunstsalon-Autorenpreises fürs Kölner Schauspiel schrieb.

Doch bei der Uraufführung in der glutheißen Halle Kalk wurde rasch klar, wie unglaublich schwer es ist, eine derart flirrende Projektionsfläche zu verkörpern und zu inszenieren.

Vor allem zu Beginn setzt Nora von Waldstätten ihre zierliche Sirene allzu sehr unter Hysterie-Starkstrom: Im abrupten Wechsel zwischen somnambuler Selbstversunkenheit, inniger Weltumarmung und schrillem Kollaps ist diese Frau schon ein klinischer Fall, bevor man ihren sinnlichen Sog so recht spüren kann.

Erst im Laufe des Abends darf die Hauptdarstellerin die Spannweite dieser Figur zwischen Femme fatale und verlorenem Mädchen, zwischen Koketterie und seelischer Erschöpfung präziser ausmessen.

Ansonsten inszeniert Regie-Jungstar Katja Lauken kurzweilig, scharfkantig und mit Lust am jähen Stimmungsbruch. Das bekommt dem Stück nicht schlecht, das mit seinen Katastrophen (mysteriöse Todesstürze vom Felsen) und amourösen Kapriolen waghalsig zwischen Boulevard und Kolportage gratwandelt.

Hier wird das große Welttheater burschikos auf den Mikrokosmos des Biergartens zurechtgestutzt. Und dort sind Wirtschaftskrise wie Liebesbankrott zwar durchaus tragisch, aber zum Glück nicht nur: Rentner Gobi etwa, der für seinen imaginären Hund immer Wasser bekommt und heimlich die leeren Flaschen der Schenke stibitzt, ist dank Martin Reinke auch eine köstlich komische Figur.

Überhaupt schafft es das erstklassige Ensemble meist, aus Nußbaumeders knapp umrissenen Typen plastische Figuren zu formen. Ulli Maiers sarkastische, von den Männern restlos bediente Wirtin flieht ganz ohne Peinlichkeit in die Arme von Anja Herdens betrogener Gundula, und Jennifer Franks Seffi ist die leicht verbitterte Schwester, der die "schwierige" Sigrid schon immer die Schau gestohlen hat.

Nun wird sie ihr wohl den arbeitslosen Zeichner Paul (Renato Schuch) wegnehmen, der in der Felsenschenke ja auch nur wegen Sigrid angeheuert hat. An der zerren jetzt alle: Adam, Paul, Sam, selbst Joseph, so dass das starke Finale bei unheilvoll auffrischendem Wind fast zur Treibjagd wird.

Nun darf auch Nora von Waldstätten zeigen, dass sie in den leisen, todmüden Momenten am stärksten ist. Wenn Sigrid sich selbst an die Felskante träumt und das erlösende Fallen beschwört, oder wenn sie Adam ihr "geh weg" hinhaucht - dann sieht man, wie sie gegen das Ersticken an fremden Erwartungen kämpft.

Diese schlüssige Fokussierung auf das Kerndrama kommt leider erst spät, so dass für weitere Aufführungen durchaus Luft nach oben bleibt. Einhelliger Beifall.

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