Uraufführung Christoph Marthaler inszeniert "Oh it's like home" in der Halle Kalk

Köln · Irgendetwas hat diese vier Sonderlinge aus der normalen Welt geweht, mitten in eine trübsinnig gekachelte Wohnhölle ohne Bilder, Teppiche oder Sessel. Doch hier ist Platz genug für all jene bitteren Erinnerungsfetzen, unerfüllten Wünsche und (Alb)-Traumsplitter, die Sasha Raus unheimeliges Stück "Oh it's like home" bei der Kölner Uraufführung in der Halle Kalk auspackt.

In der kahlen Wohnhölle: Josef Ostendorf, Silvia Fenz, Bettina Stucky und Sasha Rau.

In der kahlen Wohnhölle: Josef Ostendorf, Silvia Fenz, Bettina Stucky und Sasha Rau.

Foto: Bau

Ein ungeschlachter Mann (Josef Ostendorf) erinnert sich offenbar ans Kinderheim, ans kleine rothaarige Mädchen, das ihm irgendwie abhanden kam. Aber auch an Demütigungen, an Stühle, die von der Decke hängen, an Fische im Liftschacht. "Kleiner Egon, du darfst nicht fallen", hat er sich damals gemerkt.

Egon bekommt Gesellschaft: von der sieben Mal verlassenen Gunda Krass (die Autorin selbst), von der "seifenkranken" Ilse Schafleitner (Silvia Fenz) und der drallen Hanna Lendi (Bettina Stucky), der die Kindheit im Schlachthof ein sonniges Metzgergemüt beschert hat. Alle sollen irgendwann zum "Verhör", über das freilich nichts Näheres bekannt wird.

Vier Personen suchen ihre Geschichte? Eigentlich nicht. Milieus wie chemische Reinigung oder Säuglingsstation werden angerissen - doch lieber hängen die Figuren seltsam schillernde Satz-Girlanden in die Luft ("Ich wär' auch froh, wenn ich wieder mehr überwacht würde") oder erzählen von Tauben mit Reißverschluss-Schnäbeln und Pelzgesichtern.

So hat das vom Kunstsalon-Autorenpreis initiierte Auftragswerk keine Story, aber eine seltsam-absurde Stimmung irgendwo zwischen Franz Kafka, Luis Buñuel und Buster Keaton. Sasha Rau standen beim Schreiben exakt die nun agierenden Schauspieler vor Augen, die zur engsten "Familie" ihres Mannes Christoph Marthaler gehören. Einen besseren Regisseur hätte sie kaum finden können, denn der stets musikalisch inszenierende Schweizer macht auch diesen Abend zum nuancierten Kammerkonzert.

Hinter dem verschiebbaren Schrank spielt der nebenbei als Glühbirnen-Wechsler gefragte Pianist Bendix Dethleffsen abwechselnd Chopin oder "Leise rieselt der Schnee". Was übrigens glänzend passt: Denn wenn Ilse nicht wie eine Hexe ganz langsam im Kamin entschwebt, schneit sie dort auf ihrem Lieblings-Leseplätzchen stilvoll ein.

In solch stoischen Surrealismus und milden Wahnsinn bettet Marthaler den ganzen Abend. So stöckelt Gunda auf unfallträchtig hohen Absätzen storchenbeinig umher, horcht neugierig die Wände nach geheimen Botschaften ab und redet in seltsam somnambulem Singsang.

Hinter der Anrichte kann Orgel gespielt werden, und im Modell des von Duri Bischoff gebauten Bühnenhauses raucht der Mini-Schornstein, sobald sich Ilse eine Zigarette ansteckt. Warum hier für acht Leute Dessert serviert und gleichmütig wieder abgeräumt wird, bleibt wie fast alles offen. Auf Drohungen ("Ich werde euch alle notschlachten") folgt keine Tat, sondern Slapstick: der groteske Versuch, Josef Ostendorf einen Mantel anzuziehen, der dann auf Silvia Fenz' schmalen Schultern landet.

Als Zuschauer sollte man besser gleich die Hoffnung aufgeben, dass dem Biografie-Gerippe der Figuren noch Fleisch und Muskeln zuwachsen. Alle sind eher physisch als psychologisch definiert, so dass arg beliebig bleibt, wer hier was sagt. Auch erregt mancher der von den Lippen tropfenden Rätselsätze allenfalls vagen Tiefsinnsverdacht.

So verhindern Marthalers Assoziationsnetze keineswegs immer den Fall in die Hohlräume des Stücks. Letztlich jedoch siegt der merkwürdige Zeitlupenzauber dieser Inszenierung, die eine hermetisch-fremde Welt ganz selbstverständlich aufschließt. Freundlicher Beifall, schüttere Buhs und Bravi.

Nächste Termine: 22., 23. und 25. bis 27. Januar, jeweils 19.30 Uhr, Halle Kalk. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

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