Bonner Tatort gilt heute als kleines Juwel

Hollywood-Regisseur Samuel Fuller fiel einst mit seinem Bonner "Tatort" durch - Ausstrahlung Mittwoch

Bonner Tatort gilt heute als kleines Juwel
Foto: dpa

Bonn. Dass der gemeine Fernsehzuschauer beim Sender anruft, weil er den Film nicht versteht, dürfte heute selten vorkommen. Er würde eher die Fernbedienung zücken, und er hätte den Finger ähnlich schnell am Abzug wie die Helden opulenter Westernstreifen.

Früher, im Land der drei Fernsehprogramme, sah das etwas anders aus. So zum Beispiel am 7. Januar 1973, als die Bonner "Tatort"-Folge "Tote Taube in der Beethovenstraße" über den Bildschirm flimmerte.

Hollywood-Regisseur Samuel Fuller (1912-1997) steuerte den Film auf Einladung des WDR der jungen Reihe bei, und er stellte die Sehgewohnheiten des Publikums auf eine harte Probe. Statt gefälliger Mördersuche erlebte das Publikum eine bizarre, rätselhafte und gewalttätige Geschichte im amerikanischen Stil.

Während der Ausstrahlung liefen beim Sender die Telefone heiß, weil sich dutzende Zuschauer beschwerten oder der Handlung nicht folgen konnten. Auch wenn die Reaktion der Kritik eher negativ ausfiel, gilt das Werk des Regie-Exzentrikers längst als ein kurioses Juwel deutscher Fernsehgeschichte. Der WDR zeigt den selten wiederholten Film am Mittwoch noch einmal.

Autorenfilmer Fuller ("Vierzig Gewehre", "The Big Red One") ignorierte hiesige Fernsehgepflogenheiten und brach auch mit dem Format der Krimireihe, die auf Identifikationsfiguren und Gesellschaftskritik setzte.

Schon nach wenigen Szenen wird der ironische Protagonist des frühen WDR-"Tatorts", Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp) krankenhausreif geschossen und durch den New Yorker Privatdetektiv Sandy ersetzt, verkörpert vom wildwestgestählten Glenn Corbett - Auftakt einer wüsten Geschichte um die Erpressung hoher Politiker. Diese werden von einer Bande mit kompromittierenden Fotos unter Druck gesetzt. Trotz zahlreicher Actionsequenzen wirken viele Szenen hölzern, teils unfreiwillig komisch. Die Synchronisation - gedreht wurde auf Englisch und mit internationaler Besetzung - verstärkt diesen Eindruck.

Die offensichtlichen Mängel täuschen über den experimentellen Charakter hinweg, der den raren Bonn-"Tatort" auszeichnet. Davon zeugen der eigenwillige Einsatz von Kamera, Schnitt und der Musik der Kölner Avantgardisten Can, aber auch die "Erzählstruktur der Brüche", wie es der Publizist Olaf Karnik umschrieb. Durch Andeutungen, Auslassungen und verwirrende Anschlüsse lenke Fuller die Aufmerksamkeit auf die Schauplätze, die er konsequent "umcodiere".

So kommt es ausgerechnet im Beethoven-Haus zu Anzüglichkeiten, im Bahnhof Rolandseck wird wild herumgeballert, Gangster beenden jäh eine Romanze auf dem Drachenfels, und das finale Gemetzel findet im altehrwürdigen Fechtsaal der Bonner Uni statt. Fuller hatte die Region 1944 als US-Soldat kennengelernt; das Drehbuch, in das eigene Kriegserlebnisse einflossen, schrieb er angeblich binnen weniger Tage nach Besichtigung der Drehorte.

Das Experiment, einen Hollywood-Regisseur für den "Tatort" zu verpflichten, blieb die Ausnahme. Ebenso wie Bonn als Schauplatz der inzwischen auf mehr als 700 Filme angewachsenen Krimireihe. Weniger Mut zeigte der WDR danach bei einem anderen Filmemacher internationalen Formats. Ein "Tatort" von Rainer Werner Fassbinder fand beim Sender keinen Anklang. Der langjährige Fernsehspielchef Gunther Witte sollte es später bereuen.

Tatort: Tote Taube in der Beethovenstraße, WDR, Mittwoch, 18. Februar, 23.15 Uhr

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