Beethovenjahr 2020 mit "Fidelio" eröffnet Bonner Oper kämpft für politische Gefangene in der Türkei

Bonn · Mit dem „Fidelio“ eröffnet die Bonner Oper das Beethovenjahr. Regisseur Volker Lösch macht in seiner politisch aufgeladenen Inszenierung auf die Situation politischer Gefangener in der Türkei aufmerksam.

 Entstehung einer Oper: Szene aus dem Bonner „Fidelio“ mit Marie Heeschen und Kieran Carrel.

Entstehung einer Oper: Szene aus dem Bonner „Fidelio“ mit Marie Heeschen und Kieran Carrel.

Foto: Theater Bonn/Thilo Beu

Eines war die Bonner Premiere des „Fidelio“ am Neujahrstag gewiss nicht: eine festliche Galaaufführung zur Eröffnung des Beethoven-Jubiläumsjahres 2020. Dass Generalintendant Bernhard Helmich die Augen der Musikwelt mit einer anderen Strategie auf die Geburtsstadt des Komponisten lenken würde, hatte sich schon mit der Einladung des Regisseurs abgezeichnet. Volker Löschs Theaterarbeit zielt auf gesellschaftliche Missstände, sei es in Recherche-Stücken wie „Bonnopoly“ um den WCCB-Bauskandal oder nun im Musiktheater, wo er den „Fidelio“ als Vehikel nutzt, um die Freilassung politischer Gefangener in der Türkei zu fordern.

In gewisser Weise ist Lösch ein legitimer Nachfahre Bertolt Brechts, der das Theaterpublikum mit dem provokanten Spruch „Glotzt nicht so romantisch“ dazu aufrief, Konsequenzen aus dem Erlebten zu ziehen. Aber eignet sich Ludwig van Beethovens 1814 uraufgeführte Freiheitsoper dazu, sie mit den auch nicht mehr ganz taufrischen Mitteln des epischen Theaters für ein akutes politisches Thema einzusetzen? Die Antwortet lautet: ja. Dem Regisseur kommt die offene Struktur des Werks entgegen, die ihm beispielsweise ermöglicht, die ohnehin oft als problematisch kritisierten Dialoge durch Gespräche von Zeitzeugen zu ersetzen.

Um die von Beethoven vertonte Geschichte des in Isolationshaft festgehaltenen politischen Gefangenen Florestan zu erzählen, der durch seine als Mann verkleidete Frau Leonore befreit wird, verwandelt Lösch die Bühne in ein Filmset, wo eine Doku über Erdogans Türkei entsteht. Fast die ganze Bühne (Carola Reuther) ist grün ausgekleidet. Über dem Greenscreen-Studio befindet sich eine Videoleinwand, die sowohl dokumentarisches Material zeigt – polizeilicher und kriegerischer Gewalt ausgesetzte Menschen etwa –, als auch das Bühnengeschehen selbst (Videodesign: Chris Kondek und Ruth Stofer).

Zwei Kameraleute sind da in ständigem Einsatz, nehmen die Darsteller auf. In Leonores „Abscheulicher, wo eilst du hin?“ wird die großartig agierende Sängerin Martina Welschenbach, die ihre Fidelio-Uniform für diesen Auftritt gegen ein rotes Leonoren-Abendkleid (Kostüme: Alissa Kolbusch) ausgetauscht hat, an zwei Seilen befestigt und beginnt im Arienabschnitt „Komm, o Hoffnung“ vor dem grünen Hintergrund zu schweben, während die Videotechnik sie für die Leinwand als eine Superheldin überhöht, die im Flug mit ausgestreckter Faust Mauern einreißt. Auch in dem von Marco Medved glänzend vorbereiteten Gefangenenchor kommt die Greenscreen-Technik auf beeindruckende Weise zum Einsatz.

Rechts neben dem „Filmstudio“ befindet sich ein Tisch, um den herum die Zeitzeugen Hakan Akay, Dogan Akhanli, Süleyman Demirtas, Agît Keser und Dîlan Yazıcıoglu sitzen und vom „Filmregisseur“ Matthias Kelle befragt werden. Es sind in Deutschland lebende Menschen mit kurdischem Hintergrund, die von ihren eigenen erschütternden  Erfahrungen aus ihrer Zeit in türkischen Gefängnissen erzählen oder von ihren Angehörigen, die noch immer dort sind.

Der Bekannteste unter ihnen ist der in Köln lebende Schriftsteller Dogan Akhanli, der zuletzt 2017 in die Schlagzeilen geriet, als die spanische Polizei ihn auf  Verlangen der Türkei in Granada festnahm. Eine Auslieferung konnte die Türkei jedoch nicht durchsetzen. Zu Beginn des zweiten Akts berichtet Akhanlı von seiner eigenen Gefangenschaft in der Tükei während der 1980er Jahre. „Als die Stahltür hinter mir laut zufiel“, berichtet er, „stand ich in einer absoluten Finsternis, einer nie zuvor erlebten Finsternis. Eine Finsternis, die einem die Orientierung raubt und den Boden unter den Füßen wegreißt.“

Wenn dann wenige Minuten später ein in Studiogrün gekleideter Florestan in einer dunklen Box praktisch unsichtbar seine berühmte Arie mit „Gott, welch Dunkel  hier“ anstimmt, geht das noch einmal mehr unter die Haut. Und der Kontext macht in dieser langen Arie fühlbar, wie psychologisch genau Beethoven das Leiden des Gefangenen erfasst und artikuliert. Die musikalische Interpretation durch den ausdrucksstarken Tenor Thomas Mohr, durch das Beethoven Orchester inklusive der den Traum vom „Engel Leonore“ begleitenden Oboe war ganz große Klasse.

Der Ansatz funktioniert eben nur, wenn auch der Dirigent mitzieht. In der Hinsicht kann sich Lösch voll auf Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan verlassen. Er dirigiert einen klaren Stil, leuchtet die Partitur sehr transparent aus, vermeidet zu großes Pathos und stellt immer eine gute Verbindung zu den Sängern her. Vorbildlich etwa im Quartett „Mir ist so wunderbar“ aus dem ersten Akt mit Marie Heeschen als Marzelline, Kieran Carrel als Jaquino und Karl-Heinz Lehner als Kerkermeister Rocco sowie Martina Welschenbach als Fidelio/Leonore. Auch Martin Tzonev als Minister und Mark Morouse als Pizarro überzeugten, auch wenn die Rachearie des Letzteren mit etwas mehr Wucht vorgetragen werden dürfte.

Der Gefahr, dass die Verbindung von Dokumentation und Opernfiktion künstlerisch nicht immer harmonisch verläuft, kann Lösch in seinem Bonner „Fidelio“ freilich nicht verhindern. Manche der gesprochenen Zeitzeugen-Passagen wirken trotz der individuell aufwühlenden Inhalte zu redundant. Auch in der technischen Umsetzung gibt es noch einiges zu verbessern. Insgesamt aber muss man das mutige theatrale Experiment als geglückt bezeichnen. Das sah auch der überwiegende Teil des Publikums so, dessen lautstarker Beifall nur von wenigen Buhs sekundiert wurde.

Weitere Termine: 4., 16.. 24. 1.; 2., 9., 15. 2.; 14. und 27. 3.; Karten gibt es bei Bonnticket.

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