Soziokulturelle Zentren Bonn passt sich der neuen kulturellen Entwicklung an

BONN · Oper, Theater, klassische Orchester - das waren für sie einst die Platzhirsche, die für einen veralteten, verstaubten und elitären Kulturbegriff standen. In den 1970er Jahren entstanden landauf, landab rund 1500 freie Theater und "soziokulturelle Zentren". Auch in Bonn.

 Die freien Bonner Kulturträger haben sich in den vergangenen Jahren gut herausgeputzt. Die Besucherzahlen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Den Takt beim Thema Subventionen gibt aber immer noch die etablierte Kultur mit Schauspiel und Oper vor.

Die freien Bonner Kulturträger haben sich in den vergangenen Jahren gut herausgeputzt. Die Besucherzahlen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Den Takt beim Thema Subventionen gibt aber immer noch die etablierte Kultur mit Schauspiel und Oper vor.

Foto: GA

Das Kulturzentrum Brotfabrik des Trägervereins Traumpalast in Beuel ist wohl das schillernste und ausdauerndste Beispiel dieser Zeit. Den Initiatoren um Martin Schmidt-Roßleben, der später Kulturamtschef in Potsdam wurde und heute eine Beratungsfirma in Berlin führt, und Gisela Mengelberg, heute Gymnasiallehrerin und grüne Stadtverordnete, ging es um mehr, als nur eine Bühne für kleine, unabhängige Theaterensembles zu bieten.

Hier sollte nicht nur Kultur konsumiert werden, die Menschen jeden Alters und jeder Herkunft sollten auch aktiv einbezogen werden in einen kreativen Prozess. Der künstlerische Nachwuchs bekam hier ein Spielfeld, auf dem er sich austoben konnte, und zwar in allen Sparten - Theater, Tanz, Musik, Literatur, Film und Bildender Kunst. "Vieles von unseren Vorstellungen und Ideen von damals ist heute völlig selbstverständlich", so Brotfabrikchef Jürgen Becker.

Das Angebot der Brotfabrik, vom Bühnenprogramm über die Kinemathek bis hin zum Kursangebot, gehört heute in der Tat zum festen Bestandteil der Bonner Kulturlandschaft. Dafür sprechen die Zahlen: Rund 17 000 Zuschauer besuchen jedes Jahr Theater und Konzerte in der Brotfabrik, bis zu 110 000 Kinder und Erwachsene nehmen an den Kursen teil. Dafür gibt es aus dem städtischen Haushalt 205 000 Euro, jedenfalls für 2013, nach einer Kürzung vor drei Jahren damit wieder 15 000 Euro mehr.

Der Stadt Bonn ist die sogenannte freie Kultur jährlich rund 2,2 Millionen Euro wert. Zum Vergleich: Oper und Theater erhielten im vergangenen Jahr rund 28,5 Millionen Euro. Das Theater Marabu, auch in der Brotfabrik untergebracht, zählt zu den erfolgreichsten Kinder- und Jugendtheatern Deutschlands und erhält 2013 einen Zuschuss von 50 000 statt bisher 35 000 Euro.

Das Junge Theater Bonn an der Beueler Hermannstraße, das bundesweit bestbesuchte Jugendtheater, bekommt jährlich 145 000 Euro, muss 85 Prozent seines Etats selbst erwirtschaften. Aus eigener Kraft kann das Theater nicht einmal die Mittel für eine neue Bestuhlung aufbringen und sucht deshalb jetzt Sponsoren ("Stuhlpaten").

Das Kleine Theater in Bad Godesberg bekommt einen jährlichen Zuschuss von 80 000 Euro, das macht etwa zehn Prozent des Gesamtbudgets aus. Damit können auf der großen Opern- oder Theaterbühne vielleicht zwei Inszenierungen finanziert werden. Aber kann man das überhaupt vergleichen? Rund 80 Prozent der Ausgaben von Oper- und Theater sind Personalkosten. Allein für die Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst musste die Stadt für die Spielzeit 2012/13 rund 2,5 Millionen Euro einplanen.

Dem gegenüber stehen Förderungen wie etwa die für das Frauenmuseum in der Bonner Altstadt: Bis 2011 gab es 180 000 Euro. Das klingt zwar auch noch relativ viel, davon wechselt aber sofort die Miete von 95 000 Euro praktisch von einem Amt zum anderen, weil die Immobilie der Stadt Bonn gehört. "Ab 2012 bekamen wir nur noch 120 000 Euro. Nach Abzug der Miete blieben uns also 25 000 Euro", so Museumsleiterin Marianne Pitzen.

Schon 1996 schrieb Brotfabrik-Mitbegründer Schmidt-Roßleben zum zehnjährigen Bestehen: "Seit zehn Jahren bäckt ein kleiner Kern von Frau- und Mannschaft sieben Tage die Woche und erhält dafür einen Lohn, für den sich heute niemand mehr im Schichtdienst an einen echten Ofen stellen würde."

Ist freie Kultur also nur zum Preis einer institutionalisierten Selbstausbeutung zu machen? "Äußerste Selbstausbeutung", sagt Andreas Etienne, wenn er an die Hungerjahre der Springmaus denkt. Und er könnte ein Buch schreiben über die Zeit, als die Springmäuse noch in einem Keller an der Oxfordstraße auftraten. "Uns zwingt ja niemand dazu", sagt dagegen Becker trocken.

"Außerdem muss man auch bei den großen Häusern mal hinter die Kulissen schauen. Da verdient ein Jungschauspieler auch nicht gerade üppig." Der durchschnittliche Jahresverdienst freier Theaterschaffender in Deutschland liegt laut Dachverband bei 13 500 Euro. 2017 läuft der Mietvertrag der Brotfabrik aus. Was ist dann? Becker: "Wir kämpfen für den Fortbestand - aber nicht um jeden Preis."

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