Bauchtänzer packt in Bonner Ausstellung aus

Von der Schaulust zum Tabu - Der Kunstverein zeigt mit "Zeichen setzen" spannende Video-Installationen über Verhaltenscodes im Nahen Osten und Mitteleuropa

Bauchtänzer packt in Bonner Ausstellung aus
Foto: Franz Fischer

Bonn. Es kann manchmal ganz schnell gehen: Da kippt die beobachtete Idylle, und der Bilder-Jäger wird zum Gejagten. Der junge Ägypter Mahmoud Khaled wollte am Ende seines London-Stipendiums noch einen Erinnerungsfilm machen, nahm von einer Themsebrücke aus auf, wie eine Familie nach dem Ausflug ihr Boot auspackt.

Eine banale Szene, die in dem Moment bricht, als dem Familienvater klar wird, dass er gefilmt wird. Er reagiert fast panisch, reißt selbst die Kamera hoch und nimmt den Ägypter auf. "Safety Zoom" heißt Khaleds perfekt gemachte Installation mit der durch Doppelprojektion und Ton zusätzlich dramatisierten Boot-Szene im Vordergrund.

Im Duktus bräsiger TV-Tierdokus beschreibt eine britische Sprecherin die Szene bis zum Bruch: Dann schaltet sich die BBC ein mit einem Bericht von Lady Dianas tragischem Unfalltod und der Schuld der Paparazzi daran.

"Zeichen setzen" Der Bonner Kunstverein eröffnet die Ausstellung "Zeichen setzen" am Sonntag, 19. Juli, 12 Uhr, mit einem Sommerfest.

Um 17 Uhr gibt es eine elektroakustische Performance des Beiruters Tarek Atoui. Am 21. Juli, 18 Uhr, wird Yilmaz Dziewior durch die Ausstellung führen, um 19.30 Uhr ist Jalal Toufic aus Beirut per Videokonferenz in Bonn. Matti Braun hält am 3. September, 19 Uhr einen Diavortrag. Die Finissage ist am 4. Oktober, 11 Uhr im Kunstverein.Ein starker Einstieg zu einer Ausstellung im Bonner Kunstverein, die eigentlich um ein schwieriges, diffuses Thema kreist: "Zeichen setzen" ventiliert Verhaltenscodes, Gesten, Körpergefühl in zwei Kulturkreisen, dem mitteleuropäischen und dem des Nahen Ostens. Was in dem einen Bereich als Emanzipation, Sinnbild der Freiheit gesehen wird, verletzt woanders Tabuzonen, weckt Ängste.

Im Fall von Khaled, der sich als harmloser Tourist sah, stellt sich das so dar: Ein arabisch aussehender Mann filmt in London eine Familie, und das in Zeiten latenter Terrorgefahr durch islamistische Fanatiker. . .

Mit der zweiten Arbeit dürfte Khaled in der eigenen Heimat anecken: Der Künstler "googelte" seinen Namen aus, fand dabei einen (männlichen) Bauchtänzer aus Kairo, der in London lebt, und nahm Kontakt auf. Erneut kollidiert hier Privatheit mit Öffentlichkeit. Der Bauchtänzer löschte sofort seine Identität, taucht gleichwohl gedoubelt im Film auf, erzählt, wie befremdet und angetan zugleich Männer auf einen bauchtanzenden Mann reagieren.

"Zeichen setzen" ist Teil eines ambitionierten Programms, das vom Goethe-Institut angestoßen wurde und mit verschiedenen Formaten, von der Ausstellung bis zur "Residency" vor Ort, den Austausch sucht: Beirut, Bonn, Kairo, Rabat sind beteiligt, sechs internationale Kuratoren wählten aus, dabei war auch die Direktorin des Bonner Kunstvereins, die Schweizerin Christina Végh.

Koordinator ist der gebürtige Bonner Yilmaz Dziewior, langjähriger Chef des Hamburger Kunstvereins, bald Leiter im Kunsthaus Bregenz. Die Ausstellung, die natürlich nur einen kleinen Ausschnitt kultureller Interferenzen und Missverständnisse präsentieren kann, glänzt mit hochpoetischen Arbeiten wie "A Tress of Hair" (Die Locke) von Doa Aly (Kairo), die eine Geschichte von Maupassant in Gebärde und Bewegung übersetzt.

Mit einfachen Handlungen wie einfach Stehenbleiben brachte die Hamburger Gruppe Ligna die Bahn auf die Palme: 250 Menschen zeigten überall im Hamburger Bahnhof solcherlei "verbotene Gesten". Das versuchte Verbot der Aktion durch die Bahn scheiterte jedoch vor Gericht: "Das ist keine Versammlung, sondern eine Zerstreuung, und die ist nicht strafbar", befand der Richter.

Die weibliche Schaulust auf sich geißelnde halb nackte Männer dokumentiert die Beiruterin Kinda Hassan mit eindrücklichen Videos: Von der Religion zur Verführung ist nur ein kurzer Weg, in Ost wie in West. Sherif El-Azma lädt den Besucher ein, sein komplexes, bildmächtiges und lautes Video-Tagebuch zu verfolgen.

Der für seine intelligenten, meist historisch grundierten Arbeiten bekannte Kölner Matti Braun evoziert mit zwei blau verlaufenden Bildern und einem Sandhaufen vom Strand von Skhirat bei Rabat eine Riesengeschichte. Die Beiruterin Akram Zaatari lotet in ihrem Fotoessay das Thema der Pastorale aus. Um Körpergefühl, Identität und Homosexualität kreist das Werk Henrik Olesens.

Den schönsten Film haben Katrin Mayer und Sylvi Kretzschmar aus Rabat mitgebracht: Eine Demonstration von Akademikern auf der Rue Mohammed V. in Zeitlupe. Eine betörende, absurde Choreografie trifft auf die verzerrte Sinfonie der Großstadt. Das muss man gesehen haben.

Bonner Kunstverein, Hochstadenring 22; bis 4. Oktober. Di-So 11-17, Do 11-19 Uhr.

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