Batsheva Ensemble elektrisiert Publikum in Bonner Oper

Bonn · Ohad Naharin puzzelt gern. Immer wieder zerlegt der künstlerische Leiter der israelischen Batsheva Dance Company die Choreografien seines umfangreichen Oeuvres in ihre Einzelteile und setzt sie neu zusammen.

Nicht, weil ihm die Ideen ausgegangen sind, sondern um verschiedene Facetten durch ihre Neuordnung in ein anderes Licht zu setzen. "Vieles erscheint sogar weit interessanter", so Naharin, "und wirkt stärker als in seiner ursprünglichen Gestalt." Auf "Deca Dance" trifft das wohl zu. Die Retrospektive, mit der das Batsheva Ensemble zu Gast in der Bonner Oper war, elektrisiert das Publikum seit 2000 in immer neuen Varianten.

Jede einzelne Szene zelebriert die Bewegung zu Klang und Rhythmus als universelles, zutiefst menschliches Bedürfnis. Unbeweglich stehen die Tänzer in einer uniformen Reihe, bis der erste zuckt und in einem furiosen Solo explodiert. Köpfe, Torsi, Arme und Beine drehen, winden und strecken sich blitzschnell in alle Richtungen. Keiner in der Reihe kann sich dem Virus entziehen, jeder steckt sich an, bis alle wieder auf Linie sind und zum Soundtrack von Habib Allah Jamal synchron die Fäuste schütteln - die Individuen sind wieder im Kollektiv aufgegangen.

Die geistreiche Auseinandersetzung mit gruppendynamischen Stammesritualen und den Spielarten einer sich emanzipierenden Persönlichkeit ist eines der Lieblingssujets von Naharin, wenn nicht sogar Thema Nummer eins. Viele Ensemble-Szenen erinnern an das Verhalten intelligenter Schwärme: Die Tänzer wuseln wild durcheinander, schichten Phrase auf Phrase, bis sich aus dem kumulativen Chaos eine verblüffende Ordnung ergibt. Das funktioniert natürlich nur, weil diese 16 Bewegungskünstler aus Israel mit so viel Freude, Schwung und technischer Raffinesse bei der Sache sind. Und weil sich die Spannung in vielen humorvollen Momenten entladen darf.

Naharins Tanzsprache "Gaga" ist rhythmisch prägnant, scharf konturiert und körperbetont. Die Tänzer malen geometrische Figuren und kalligraphische Schnörkel in die Luft, zeitweise in perfektem synchronen Miteinander; ihre unmittelbare kinetische Energie überspringt den Orchestergraben mit Leichtigkeit. Gern würde man mittanzen, aber die populäre Sequenz "Dance with Audience", die ahnungslose Zuschauer auf die Bühne holt, fehlt hier.

Dafür gibt es einen zauberhaften Moment des Innehaltens: Zu einer Passage aus Vivaldis "Stabat Mater" tanzt ein Paar in traumverloren inniger Zweisamkeit. Witz und Trauer, Schönes und Hässliches, Gruppenzwang und Einzelwille - in Ohad Naharins Universum hat alles seinen Platz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort