"Was bleibt. Karlheinz Gierden im Gespräch" Aus acht Jahrzehnten rheinischer Geschichte

BONN · Die Journalistin und Autorin Ebba Hagenberg-Miliu hat den Politiker Karlheinz Gierden immer wieder befragt. Entstanden ist ein faszinierendes Interviewbuch.

 Karlheinz Gierden (l.) im Gespräch mit dem früheren Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger.

Karlheinz Gierden (l.) im Gespräch mit dem früheren Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger.

Foto: Archiv Gierden

Zum ersten Staatsempfang in Schloss Brühl, an dem er Anfang der 1960er Jahre teilnahm, erschien er vorschriftsmäßig gekleidet. Er trug Frack. Um sich tüchtig darüber zu wundern, dass ihn alle fünf Minuten einer der Gäste aufforderte: "Bringen Sie mir doch bitte Mal ein Bier!" Des Rätsels Lösung: Auch für die Ober herrschte Frackzwang. "Das passiert Ihnen, weil sie keinen Orden tragen", klärte ihn ein wohlmeinender Adliger auf. Aber dergleichen besaß Karlheinz Gierden damals noch nicht.

Heute könnte sich der 91-Jährige mit Verdienst-Medaillen und Ehrenkreuzen so dicht behängen, dass von der weißen Hemdbrust unterm Frack nichts mehr zu sehen wäre. Ein Jahr lang hat die Bonner Journalistin und Autorin Ebba Hagenberg-Miliu den prominenten Politiker immer wieder befragt. Auf Basis dieser intensiven Gespräche ist ein faszinierendes Interviewbuch mit dem Titel "Was bleibt" entstanden. Faszinierend deshalb, weil Hagenberg-Milius Gesprächspartner sich als glänzender Zeitzeuge entpuppte. Präzise, unglaublich detailliert, oft auch mit einem Augenzwinkern, lässt er in diesem "Frage- und Antwortspiel" acht Jahrzehnte rheinischer Geschichte wieder lebendig werden.

Aus seinen Schlüsselpositionen in der regionalen Verwaltung, in der Politik und im Bankwesen heraus sammelte der promovierte Jurist einen ungeheuren Schatz an Erfahrungen. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg ein CDU-Mann der ersten Stunde und setzte im Landschaftsverband Rheinland (LVR) 30 Jahre lang Zeichen in Sachen Kulturförderung. Zusammen mit Gierden begegnet der Leser Kon᠆rad Adenauer ("Adenauer war schon beeindruckend, obwohl er, wenn man ehrlich ist, rhetorisch 'ne Null war"), Josef Kardinal Frings ("Er war nah an den Menschen. Er redete mit uns") und der britischen Queen ("Sie war sehr klein, freundlich und zurückhaltend"). Auch Heinrich Lübke, Charles de Gaulle und Ludwig Erhard treten auf, Gustav Heinemann, Karl Carstens und viele andere.

Unschätzbar wertvolle Eindrücke

Doch die Erinnerungen des späteren CDU-Politikers, Oberkreisdirektors des Landkreises Köln und Vorstandsvorsitzenden der Kölner Bank eG setzen viel früher ein. Der am 7. August 1926 geborene Sohn eines Schreiners wächst auf in Köln-Sülz. Dort spielt er auf der Straße, wird Messdiener und lernt in der Volksschule Lesen und Schreiben mit einer zweisprachigen Fibel. Auf den linken Seiten des Buchs stehen die Worte in Kölsch, rechts in Hochdeutsch: "Das haben die Nazis dann abgeschafft."

1936 erlebt er Adolf Hitlers Köln-Besuch am Dom live mit: "Ich war ja noch klein und mein Fähnleinführer nahm mich auf die Schultern. Und ich habe wie alle anderen unserem Führer zugejubelt. Alle um uns herum haben das getan, alle." Zwei Jahre später wird der Sülzer Spielwarenladen in der Pogromnacht von Hitler-Schergen überfallen: "Als wir aus der Schule kamen, sahen wir, wie die Fensterscheiben eingeschlagen waren."

1944 muss er an der Westfront auf dem Fahrrad gegen Panzer antreten ("Von 600 Mann sind sofort 100 erschossen worden"). Nachdem er im Juni 1945, per Anhalter in einem Lkw mit Särgen, ins zerstörte Köln zurückkehrt, trifft er einen Entschluss: "Nie wieder Krieg gegen unsere Nachbarn. Du bist politisch kein Deutscher mehr, du bist Europäer. Und seitdem bin ich das auch innerlich geblieben."

Für Nachgeborene sind all das unschätzbar wertvolle Eindrücke. Man kann eine Menge über eine Zeit lernen, die man selbst nicht erlebt hat. Und auch darüber, wie in der Nachkriegszeit im Rheinland Politik gemacht wurde. Gierden erzählt erstaunlich offen. Was möglicherweise auch an seiner Gesprächspartnerin liegt, die sich nie scheut, nachzuhaken, wenn es ans Eingemachte geht.

Man erlebt Gierden aber auch als Familienmensch, Karnevalist und begeisterten Reisenden im Geiste der Völkerverständigung. Zum Schluss befindet der Mann mit der Methodik, "möglichst knapp und überzeugend zu Ergebnissen zu kommen", der zutiefst gläubige, aber nicht unkritische Katholik und überzeugte Rheinländer: "Es war ein gutes Leben."

Ebba Hagenberg-Miliu: Was bleibt. Karlheinz Gierden im Gespräch, SP Medienservice Köln, 345 Seiten, 19, 90 Euro.

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