Trümmer-Fotografie im Landesmuseum Auferstanden aus Ruinen

Können Ruinenbilder ideologisch sein? Spätestens seit der Romantik gilt die Ruine als Vehikel für Befindlichkeiten aller Art und für geistig-politische Botschaften. In einem faszinierenden Projekt, bei dem das LVR-Landesmuseum Bonn mit der Deutschen Fotothek in Dresden und der Stiftung F.C. Gundlach in Hamburg kooperiert, wird die Ruinenfrage an die beiden wohl bedeutendsten Fotografen des Fachs gestellt.

 Metropolen in Schutt und Asche: Hermann Claasens Bild vom Kölner Dom herab (links), Richard Peters Dresden-Panorama.

Metropolen in Schutt und Asche: Hermann Claasens Bild vom Kölner Dom herab (links), Richard Peters Dresden-Panorama.

Foto: Landesmuseum

1947 erschien Hermann Claasens "Gesang im Feuerofen" über das zerstörte Köln, drei Jahre später brachte Richard Peter sen. den Band "Dresden, eine Stadt klagt an" heraus. Zwei Meisterwerke der Fotografie, die nun im Landesmuseum Seite für Seite ausgebreitet und um exzellente Vintage-Abzüge aus den Nachlässen bereichert werden.

Claasen inszenierte seine Kölner Ruinenbilder wie monumentale Stillleben, die nach geradezu klassischen Kompositionsprinzipien der Malerei, mit Staffelungen, Wegen, die den Raum in der Tiefe erschließen, mit einer Art Bühne und einem zentralen, dominanten Motiv entstanden. Das Motiv ist sehr oft der Kölner Dom, dieses, zumindest von der Silhouette her, wie durch ein Wunder einzig intakt gebliebene Gebäude dieser Bomben-geschundenen Stadt. Immer wieder, aus allen erdenklichen Perspektiven und durch alle möglichen Blickscharten hindurch bietet dieses hoch aufragende schwarze Bauwerk Orientierung: Eine Landmarke in der als konturloser Schutthaufen erscheinenden Trümmerwüste. Vor dem inneren Auge komplettiert sich für den Leser dank des erhaltenen Fixpunktes das Bild der intakten Vorkriegs-Stadt. 1947 konnten solche stillen Ruinenbilder, die dem Betrachter Orientierung boten, Trost spenden.

Claasen evoziert nicht nur den Blick in die Vergangenheit, indem er einige wenige Motive aus der Vorkriegszeit zeigt. Seine Bilder sollen auch spirituellen Halt geben. Nicht zufällig stellt er sie unter ein Bibelwort aus dem Buch Daniel, "Gesang im Feuerofen". Nicht zufällig bietet sich unter dramatisch bewölktem Himmel der Dom als Ruhe- und Meditationspunkt an. Aber auch einige andere mehr oder weniger erhaltene Kirchen wie St. Aposteln, St. Gereon und besonders Kolumba mit der Trümmermadonna sowie Fragmente christlicher Skulpturen sind dabei.

Der traumatisierte Kölner kommt übrigens in Claasens Zyklus so gut wie gar nicht vor - als würde banales privates Leid bei dieser monumentalen, erhabenen, steinernen Trauerarbeit stören. Nur einmal treten Menschen auf: bei der gespenstischen Fronleichnamsprozession von 1945 vor der Ruinenkulisse von Köln.

Claasens Kollege Richard Peter widmete sich etwa gleichzeitig einer anderen deutschen Metropole, die im Bombenhagel untergegangen war: Er zeigt uns Dresden in einer Bildsprache, die sich bei allen Parallelen und trotz der ähnlichen Monumentalität und eines dröhnenden Ruinen-Pathos' doch stark vom Kölner Blickwinkel unterscheidet. Schon der Titel des 1950 erschienenen Bildbandes weist in eine andere Richtung: "Dresden - eine Kamera klagt an" ist Mahnung und Tribunal zugleich.

1945 war Peter aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, kam in seine zerbombte Stadt, war dabei, als die nach dem Feuersturm wegen Seuchengefahr zugemauerten Luftschutzkeller voller mumifizierter Toter geöffnet wurden. Die Dramaturgie seiner Fotogeschichte beginnt bei wunderbaren Nachtbildern aus dem intakten Dresden, bevor eine Trümmerszene zu sehen ist, die zur Bildikone wurde: Der "Engel" (in Wahrheit ist es die Personifikation der Güte auf dem Rathaus-Dach) über einer riesigen Ruinenlandschaft, in der Fassadengerippe förmlich aus dem Boden wachsen. Peter ließ weitere stimmungsvolle Impressionen folgen, die der Bildsprache der Neuen Sachlichkeit und auch des Bauhauses verpflichtet sind.

Aus seinem Archiv wissen wir, dass Fotos, die zu ästhetisch und künstlerisch gerieten, nicht ins Buch fanden. 1950 war im SED-Staat die Formalismusdebatte im Gange. Es galt, sich bei der Bildsprache vom "dekadenten Westen" abzusetzen. Peters Bildband ist - im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges - auch ein politisches Statement, eine Position gegen den anglo-amerikanischen Bombenkrieg, ein Plädoyer für den sozialistischen Aufbau und ein Loblied auf das Kollektiv. Hier ziehen alle Werktätigen an einem Strang. Die mit 50 000 Exemplaren hohe Startauflage seines Bildbandes wurde mit Plakaten beworben: "Jedem Deutschen dieses Buch.

LVR-Landesmuseum, Colmantstraße 14-16; 19. März bis 7. Juni. Katalog 24,80 Euro. Di-So 11-18, Sa 13-18 Uhr.

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