Ausstellung im Suermondt-Ludwig Museum "Aufbrüche - Bilder aus Deutschland"

Aachen · Alles beginnt in Horror und Asche. Ein deutscher Soldat mit todmüdem Blick in einer kaukasischen Einöde, eine Mutter mit Gasmaske, die ihren Kinderwagen durchs zerbombte Berlin schiebt. Diese Arbeiten von Hilmar Pabel und Wolf Strache eröffnen den Parcours der Ausstellung "Aufbrüche - Bilder aus Deutschland" im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum.

 Robert Lebeck fotografierte im Mai 1956 "Winston Churchill in Bonn".

Robert Lebeck fotografierte im Mai 1956 "Winston Churchill in Bonn".

Foto: LEBECK

Vom Kriegsgrauen bis zum Mauerfall spannt sich der schwarz-weiße Bilderbogen aus der exzellenten Sammlung von Christiane und Karsten Fricke. Auf Hermann Claasens berühmten Fotografien sieht man Kölns Hohe Straße als rauchendes Trümmerfeld, blickt aber durch die eingestürzte Kuppel von St. Georg beinahe schon hoffnungsvoll in blauen Himmel.

Eindrucksvoll sind die Stimmungsbrüche in der Zeit nach der Stunde Null gespiegelt: Robert Lebeck porträtierte ausgezehrte Russlandheimkehrer im Durchgangslager Friedland, während René Burri 1959 das wohl eindrucksvollste Bild der Schau gelingt: Ein Mann trägt ein Kind durch die nebelverhangene "Rheinpfalz", und man spürt geradezu, wie die Vergangenheit noch auf dem Alltag in der Provinz lastet. Dennoch floriert das Wirtschaftswunderland schon, wie Rudolf Holtappels "Autowäsche" vor Duisburger Zechenkulisse zeigt.

Es ist freilich eine Blüte in Schweiß und Qualm, wobei gerade das verrußte Revier in Holtappels und Jürgen Hebestreits Aufnahmen eine morbide Romantik zeitigt: der kleine Tretrollerfahrer auf der "Henkelmann"-Brücke in Oberhausen, die vor mächtige Hüttenkessel geduckten Schrebergärten. An den großen August Sander erinnert Stefan Moses mit seinem Zyklus "Deutsche", der Straßenkehrer oder Rollmopspackerinnen jeweils neutral vor einem grauen Vorhang zeigt.

Die deutsche Teilung wird nicht nur anhand von wehmütigem Winken über die gerade begonnene Mauer symbolisiert, sondern auch ästhetisch sichtbar gemacht. In Christian Borcherts präzis-melancholischer DDR-Studie "Regenschauer am Nöldnerplatz", in Ursula Arnolds Bild einer gebückten Greisin im Leipziger Fußgängertunnel, aber ebenso in Sibylle Bergemanns ungewöhnlichen Modefotos. Sie stellte ihre Modelle bewusst unglamourös etwa vor triste Zirkuskulissen, unterflog aber mit solchen Wagnissen gleichwohl das Zensur-Radar.

Die Bundesrepublik trägt in dieser Ausstellung ebenso volkstümliche Kleidung (Eusebius Wirdeiers Kölner Weiberfastnachts-Impression) wie Smoking und Abendkleid. Und wenn Robert Lebeck Englands Ex-Premier Winston Churchill beim Bonn-Besuch 1956 porträtiert, wirkt dieses Bild fast wie ein altmeisterlich komponiertes Gemälde.

Auf jener Grenze zwischen hochkarätigem Fotojournalismus und dokumentarischer Kunst balancieren viele der rund 110 gezeigten Werke: Lebecks Adenauer-Kopf zum 90. Geburtstag des Staatsmanns ebenso wie die Willy-Brandt-Serie. Da gibt es eben nicht nur den demütigen Warschauer Kniefall, sondern auch eine dynamische Momentaufnahme des im Speisewagen heftig flirtenden Politikers.

Doch nicht nur Staatstragendes, auch ziviler Ungehorsam ist vertreten, etwa in Barbara Klemms Dokument von Heinrich Bölls Teilnahme am Protest gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen (1983). Insgesamt ergibt dieses von Kuratorin Sylvia Böhmer intelligent montierte Puzzle ein faszinierend schillerndes Deutschlandbild. Zumal die Klasse der Exponate dafür bürgt, dass man nicht nur eine äußerliche Zeitreise erlebt, sondern die Mentalitätsgeschichte des Landes begreift. Das Aachener Museum bekommt das gesamte Foto-Konvolut des Sammlerpaars Fricke als Dauerleihgabe, so dass man auf weitere Ausstellungen dieser Art hoffen darf.

Bis 6. Oktober, Di, Do, Fr 12-18, Mi 12-20 und Sa/So 11-18 Uhr. Wilhelmstr. 18, Aachen.

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