Alles geht so easy

Der Berliner Liedermacher und Kabarettist Rainald Grebe (39) gastiert mit seinem Orchester der Versöhnung in der Beethovenhalle Bonn.

Alles geht so easy
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Bonn. Er ist Schauspieler, Kabarettist, Autor, Liedermacher - und absolut unberechenbar. Denn: „Das System Grebe zeichnet sich durch eine völlige Unsystematik aus“, heißt es in der Ankündigung zur neuen Tournee. „Und darin besteht seine bestechende Logik.“

Alles klar. Nach diversen Solo-Programmen und Aktivitäten im Trio geht der Künstler Rainald Grebe mit Orchester aus die Reise. Das Programm feierte im Berliner Admirals-palast Premiere, ein neues Album dokumentiert die Begleitmusik mit 13 feinsinnigen Liedern. Grebes Texte spiegeln Gegenwart, wenngleich leicht verzerrt. Mit dem Künstler sprach Heinz Dietl.

General-Anzeiger: Sie tragen auf der Bühne häufig diesen opulenten Federschmuck. Selber geschossen?

Rainald Grebe: Die Kopfbedeckung geht zurück auf eine Solo-Nummer mit dem Titel „Der Indianer“, damals trug ich noch meinen alten Kinderfederschmuck aus dem Karneval. Danach haben sich die Federn verselbstständigt. Da ich heute mit einem ganzen Orchester auftrete, passt der große Schmuck erst recht.

GA: Zudem rollen Sie beim Vortrag oft extrem die Augen. Keine Angst, dass mal eines herausfällt?

Grebe: Das ist Basedow, aber es hält sich in Grenzen.

GA: Setzen Sie diese Mimik nicht bewusst ein?

Grebe: Ganz bestimmt - um so zu tun, als wäre mein Text in diesem Moment besonders wichtig.

Veranstaltungstipp Rainald Grebe & Das Orchester der Versöhnung, Bonn, Beethovenhalle, Dienstag, 22. Februar, 20 Uhr, Eintritt: 20 bis 32 Euro â¨(plus Geb.). Karten in den Geschäftstellen des General-AnzeigersGA: Und Sie rauchen auf der Bühne. Sucht – oder steckt eine Botschaft dahinter?

Grebe: Beides. Ich bin nun mal Raucher. „Rauchfrei“ ist schön und gut, aber wenn das Verbot die Kunst berührt, geht mir das zu weit. Die Bühne muss eine verbotsfreie Zone bleiben.

GA: Zum neuen Bühneprogramm gibt es ein Album, das mit dem rauen Blues-Stück „Angeln“ beginnt. Wie kommen Sie auf dieses Thema?

Grebe: Ich war zum ersten Mal in meinem Leben angeln. Schön auf dem Land, mit richtigen Cracks. So was machen hauptsächlich Männer.

GA: Ist das Angeln deshalb, wie Sie singen, ein „Trennungssport“?

Grebe: Ja, die Frau sitzt zu Hause. Es geht um die Einsamkeit des Mannes.

GA: Hat wenigstens ein Fisch angebissen?

Grebe: Es ging auf Raubfisch, aber der blieb aus. Es passierte nichts.

GA: Das Stück „20. Jahrhundert“ ist eine historische Collage. Sie singen „Che Guevara, Willy Brandt, Briefe schreiben mit der Hand“, dann erklingen die Ehrenworte von Uwe Barschel und Christoph Daum. Ist das Ihre Art, Vergangenheit zu bewältigen?

Grebe: Eigentlich geht es mir ums Älterwerden und den Satz: „Du bist doch 20. Jahrhundert!“ Das klingt heutzutage wie ein Schimpfwort: „Du bist doch von gestern!“ Ich stamme noch aus dem analogen Zeitalter, werde jetzt 40 Jahre alt.

GA: Die Nummer „Auf Tour“ beschreibt das Leben auf Tournee mit all ihren Untiefen. Gefällt Ihnen das Reisen nicht?

Grebe: Nun, man kommt sich manchmal vor wie ein Vertreter, der Wellpappe verkauft.

GA: Wie authentisch ist der im Stück beschriebene Auftritt bei Rotkäppchen-Sekt in Freyburg/Unstrut?

Grebe: Sehr authentisch. Als Rotkäppchen den West-Konkurrenten Mumm geschluckt hatte, wollten die Manager in der Sektkellerei auch mal einen West-Kabarettisten auftreten lassen. Da saß ich nun vor Rentnern in der Sektkellerei, habe mein Lied „Thüringen“ gesungen - und schon war der Ofen aus. Man hat mich nicht verstanden.

GA: Haben Sie deshalb das Stück „Sachsen-Anhalt“ nachgelegt?

Grebe: „Sachsen-Anhalt“ ist der Abschluss meiner Serie, jetzt habe ich alle ostdeutschen Bundesländer besungen, und es reicht auch. Man wiederholt sich.

GA: Das Lied „Prenzlauer Berg“ enthält eine denkwürdige Zeile: „Die Menschen sehen alle gleich aus - irgendwie individuell“. Ist in diesem Berliner Bezirk jeder sein eigener Star?

Grebe: Es scheint so. Alle sind irgendwie Künstler und Web-Designer mit schicken Brillen, alle ganz locker. Das kann einem Angst machen.

GA: Kommen wir zum „Diktator der Herzen“, Sie singen über einen afrikanischen Despoten. Ist Rainald Grebe ein Prophet?

Grebe: Das Stück ist in der Tat prophetisch, es wurde von den Ereignissen in Ägypten und Tunesien eingeholt, sogar überholt. Das hat mich selber überrascht. Vorlage für den Text ist allerdings Gaddafi und sein Staatsbesuch mit Zelt in Italien.

GA: Und in „Oben“ heißt es: „Ich bin oben, ich hab’s geschafft.“ Eine Selbstreflektion?

Grebe: Ja, auf jeden Fall.

GA: Sehen Sie sich als Superstar?

Grebe: Im Vergleich zu meiner Situation vor fünf, sechs Jahren durchaus. Man kann sich vor Angeboten kaum retten, wird ständig eingeladen. Alles geht so easy. Die Dinge laufen von selbst. Man trifft alte Freunde wieder, die rumkrebsen, und man fragt sich, wie man sich ihnen gegenüber verhalten soll.

GA: Zitat: „Der kellnert jetzt für fünf Euro Stundenlohn; ich verstehe das nicht, was ist das - Stundenlohn?“ Verdient man so gut als Künstler?

Grebe: Ja, aber hallo! Man muss nur mal rechnen, wenn ich zum Beispiel alleine auftrete, und da kommen 500 Leute, die 20 Euro Eintritt zahlen, und der Veranstalter bekommt 40 Prozent, und man macht dann eine Tour mit zehn Terminen hintereinander. Das ist echt viel Geld - für den Quatsch, den ich da mache.

GA: Sie sind in Frechen aufgewachsen. Wie fühlt sich der Rheinländer in Berlin?

Grebe: Gut. Ich fühle mich nicht mehr als Rheinländer. Ich bin ein Wossi.

GA: Ihr Vater war Professor für Buchkunde. Hatte das Auswirkungen auf Ihre Kunst?

Grebe: Ja, sehr. Das bildungsbürgerliche Elternhaus hat mich stark beeinflusst.

GA: Sie haben Ihren Zivildienst in einer Heilanstalt absolviert. Hat das abgefärbt?

Grebe: Ich wollte bewusst dort hin, auch um dem bürgerlichen Frechen zu entfliehen. Ich wollte die andere Seite der Gesellschaft sehen, die weggeschlossene Seite. Ich habe alles aufgesogen, all diese einzelnen Biografien. Das erklärt vielleicht auch die rollenden Augen. Noch mehr geprägt hat mich die Sprache von psychotischen Menschen.

GA: Was meinen Sie damit?

Grebe: Zum einen das abgerissene Sprechen, zum anderen diese Mischung aus Weisheit und Unsinn.

GA: Warum haben Sie sich nicht um die Nachfolge von Georg Schramm in der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ beworben?

Grebe: Dieses Genre ist mir politisch zu eindeutig, ich habe einen ganz anderen Ansatz.

GA: Welchen?

Grebe: Ich bin viel verwirrter.

GA: Wie lehrreich waren Ihre Erfahrungen als Straßenkünstler in Berlin?

Grebe: Sehr lehrreich: Ich bin ein einziges Mal aufgetreten, habe dabei um die zwei Mark eingenommen und daraufhin beschlossen, gleich Schauspielkunst an der Hochschule zu studieren.

GA: Sie gastieren in Bonn. Was haben wir zu erwarten?

Grebe: Was weiß ich? Das Programm, den Abend. Und viel Theater. Es gibt viele merkwürdige kleine Szenen zwischendurch mit wunderbaren Kostümen. Wir fahren jetzt erst mal los und schauen, was wird. Möglichweise muss ich bis dahin auch den „Diktator der Herzen“ noch umtexten.

Zur PersonGeboren am 14. April 1971 in Köln. Die Mutter ist Englischlehrerin, der Vater Professor für Buchkunde. Wächst in Frechen auf.

1990 Abitur in Frechen, danach 15 Monate Zivildienst in einer Heilanstalt.

1993 bis 1997 Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Diplom im Fach Puppenspiel.

Grebe arbeitet zunächst als Regisseur und Schauspieler in Jena.

2002: eigene Show in Hamburg mit Thomas Hermanns, es folgen TV-Auftritte bei “Quatsch Comedy Club“ und „Nightwash“.

2004: 1. Album „Abschiedkonzert“. Seit 2005 tourt er mit dem Trio Kapelle der Versöhnung

2009: Solo-Programm „Das Hongkongkonzert“ sowie Premiere des Theaterstücks „Die Karl May Festspiele Leipzig“.

Preise: u. a. Prix Pantheon 2003 sowie Deutscher Kleinkunstpreis 2006 und 2011.

Bücher: u. a. „Das grüne Herz Deutschlands (2007).

DVD: „Die besten Lieder meines Lebens“ (2010) .

Hobbys: keine. „Ich bin kein Hobbyist“.

Rainald Grebe lebt in Berlin-Pankow.

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