Tanzaufführung in Köln "Allee der Kosmonauten" und die Welt der lustigen Zombies

Köln · Sasha Waltz gibt mit „Allee der Kosmonauten“ ein Gastspiel im Kölner Depot. Die Situationskomik mit ihren staksigen Körperhaltungen erinnert an die Filme eines Jacques Tati.

 Gefangen in ihrem Kleinbürgerpanorama: Szene aus Sasha Waltz Choreografie „Allee der Kosmonauten“.

Gefangen in ihrem Kleinbürgerpanorama: Szene aus Sasha Waltz Choreografie „Allee der Kosmonauten“.

Foto: Raduenzel

Vor 20 Jahren gab es in Deutschland keinen Rezensenten, der nicht von der „Allee der Kosmonauten“ begeistert gewesen wäre. Die junge, in Karlsruhe geborene Sasha Waltz schien prädestiniert für die angestammte Nachfolge von Pina Bausch. Es folgten noch bedeutendere Choreografien. Sasha Waltz ging ihren Weg und darf heute tatsächlich die Spitzenposition unter Deutschlands Choreografinnen beanspruchen, wenn die Szene insgesamt auch stark von internationalen Tanzschaffenden beherrscht wird. Nun lud Hanna Koller sie mit der „Allee der Kosmonauten“ zum Gastspiel ins Depot des Schauspiels und bot dem Kölner Publikum mit der Wiederaufnahme ein Stück Tanzgeschichte.

Erneut darf man den tanzenden Komponisten Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola dabei bewundern, wie er im Kopfstand Akkordeon spielt. Der Titel bietet schon das ganze Spannungsverhältnis dieser Produktion, in der die kleinstbürgerliche Spießigkeit des Plattenbaus auf den angeberischen Ehrgeiz des Raumfahrtzeitalters trifft. Passend dazu steht ein Sofa im Zentrum des Geschehens, hier lümmeln drei Generation um die Polster. Wie Puppen bewegen sich die drei Frauen und drei Männer. Abgehackt und zugleich flink betanzt man das Mobiliar. Menschen werden Gegenstände und Gegenstände verhalten sich wie Menschen, so bilden etwa zwei Frauen- und zwei Männerbeine den Untersatz des Couchtischs.

Waltz hatte sich zu Beginn der Produktion mit der Kamera in Berlin Marzahn umgesehen. Und was sie zutage förderte, besitzt Relevanz bis in unsere Tage. Da ist jener zähnefletschende Zorn, der heraufbrandet, die mühsam im Zaum gehaltene Aggression von Menschen, die kein Innenleben zu haben scheinen. Von außen werden sie gesteuert, über die Klischees der Konsumgesellschaft. Beherrschte, die auf ihrer privaten Insel vor dem Fernseher vegetieren.

Freilich präsentiert Waltz die Bewegungslosigkeit mit enormem tänzerischen Aufwand, auch wenn diese lustigen Zombies offenbar ohne Seele geblieben sind, gibt es unablässig Reaktionen zwischen Kittelschürze und Trainingsanzug. Neue Bewegungsmuster – etwa das rückgratlose Gehen – erfindet Waltz. Viel Humor steckt in diesen Szenen, die sich in fast unmerklichen Wechseln elegant auflösen und wieder neu kristallisieren.

Erotik wendet sich jedoch prompt in Obszönität

Die Situationskomik mit ihren staksigen Körperhaltungen erinnert an die Filme eines Jacques Tati. Die Ungeschicklichkeit der Menschen, ihre hilflose mitunter ins Grobe abgleitenden Versuche miteinander zu kommunizieren, verleihen ihnen sympathische Züge. Ja, in all dieser Durchschnittlichkeit blitzen sogar erotische Momente auf. Fast peinlich genau stellt die Choreografie Gemälde von Balthus nach. Wer würde sich das heute noch trauen. Da sind nicht alleine die Zimmerleute mit ihren über den Schultern getragenen Dielen, sonder auch die Mädchen, die niemanden in ihre Augen, dafür aber umso häufiger unter ihre Röcke schauen lassen. Erotik wendet sich jedoch prompt in Obszönität, die jedes Augenzwinkern eliminiert.

Das Banale ist direkt, kennt keinen doppelten Boden. Noch so eine Zeitdiagnose, deren Wucht wir heute mindestens so heftig spüren wie Mitte der 90er Jahre. Ein wenig Staub hat es angesetzt, dieses Kleinbürgerpanorama, in seiner mitunter aufdringlichen Entlarvungsattitüde, aber eine brillante Choreografie bleibt Sasha Waltz' Meisterstück auch heute noch.

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