Saisonstart im Theater Bonn Alice Buddeberg inszeniert "Jenseits von Eden" in den Kammerspielen

Bonn · Der Weg vom Kurpark zum Theater ist auf den letzten Metern ein Tristesse-Parcours. Die Straße Am Michaelshof: Der Grieche an der Ecke weg, Leyendeckers Herrenmoden umgezogen, dazwischen nur leere Geschäfte.

 Familienbande: (von links) Hajo Tuschy, Sören Wunderlich, Wolfgang Rüter, Sophie Basse und Sina Martens (vorn).

Familienbande: (von links) Hajo Tuschy, Sören Wunderlich, Wolfgang Rüter, Sophie Basse und Sina Martens (vorn).

Foto: Thilo Beu

Einzige Ausnahme ist der Ballyhoo-Laden, dort werben sie sogar offensiv: "Der große Räumungsverkauf". Ansonsten war auch im Zentrum nicht viel los, als das Bonner Theater in die neue Spielzeit startete. Gäbe es die Kammerspiele nicht mehr - wer käme hier am Abend noch freiwillig hin?

Das Schauspiel hat mit einer Literaturadaption begonnen: "Jenseits von Eden" nach dem 1952 erschienenen Roman von John Steinbeck, für die Bühne bearbeitet von Alice Buddeberg und Nina Steinhilber. Das Verfahren liegt im hausgemachten Trend. Drei Romanadaptionen in einer Woche - das Theater übertrifft sich selbst. Auf "Jenseits von Eden" folgte gestern "Schöne neue Welt" nach dem Roman von Aldous Huxley. Am kommenden Mittwoch steht "Spieltrieb" auf dem Premierenplan.

Was will uns das Schauspiel damit sagen? Erstens: Wir interessieren uns nicht in erster Linie für das Angebot des Welttheaters von den alten Griechen bis heute. Zweitens: Wir können das mit dem Stückebauen genauso gut wie die Profis, die Dramatiker. Ein bisschen Hybris wohnt dieser Haltung inne.

Steinbeck hat einen Roman von alttestamentarischer Wucht geschrieben, das Kain-und-Abel-Motiv auf drei Generationen einer amerikanischen Familie übertragen. Die Geschichte um Liebe und Eifersucht, große Gefühle und brutale Gewalt, göttliche Fügung, biologische Prägung und das Böse in der Welt spielt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Sandra Rosenstiels Bühne ist wie ein riesiger, mit Blumenmuster tapezierter Karton. Der lässt sich in ein Cinemascope-Format falten oder ganz aufklappen. Aus der Enge einer Kleinstadt in Connecticut entsteht so die Weite Kaliforniens. Fünf Schauspieler - Wolfgang Rüter, Sophie Basse, Sören Wunderlich, Hajo Tuschy und Sina Martens - verkörpern das Personal des Mehr-Generationen-Stücks. Rüter und Basse spielen Adam und Cathy (später Kate) Trask. Sören Wunderlich erscheint zugleich als junger Vater (Adam) und dessen Sohn (Caleb). Hajo Tuschy ist sowohl Charles Trask, Adams Bruder, als auch Adams Sohn Aron. Sina Martens gibt die junge Cathy und Arons Verlobte Abra. Alles klar?

Die Doppelungen sollen verdeutlichen, dass sich die Geschichte in der Familie wiederholt: Betrug, verschmähte Liebe, Eifersucht, Gewalt, Zerfall. Die Schauspieler sind fast die gesamte Zeit auf der Bühne. Will sagen: Die Vergangenheit ist stets anwesend, ihr kann man nicht entkommen. Die Konflikte werden in den Kammerspielen auf dreierlei Weise ausgedrückt. Monologisch, wenn die Darsteller nebeneinander stehen und ihre Texte aufsagen. Oder physisch, wenn Hajo Tuschy Äpfel zu Brei zerquetscht oder Sören Wunderlich sich rasend an Apfelsäcken aus Plastik abarbeitet. Obst fliegt ständig durch die Luft, Äpfel sind so etwas wie heimliche Hauptdarsteller.

Eindringlich wird es allerdings immer erst dann, wenn die Schauspieler ihr Kerngeschäft betreiben und Menschen in all ihrer Komplexität darstellen. Dann zeigt sich, was für ein tolles Ensemble das Theater besitzt.

Wolfgang Rüter ist als Adam kein unerbittlicher Vater, eher ein Mann, dessen naive Integrität eine wahrhafte Interaktion mit den Söhnen verhindert. Sophie Basse bietet als Cathy/Kate großes Theater. Als verdorbene, (selbst)zerstörerische und durchtriebene Frau beherrscht sie die Bühne. Sina Martens ist ihr manipulatives, amoralisches junges Alter Ego. Sie kann, in Steinbecks Worten, "ihre Welt in schmerzliche und verwirrende Erregung" versetzen. Sören Wunderlichs seelenvolle Emotionalität kollidiert ein ums andere Mal mit Hajo Tuschys brütender Intensität. Tuschy kultiviert als Aron auch eine Zwangsstörung. Ständig wischt er den Boden, er ist der Meister Proper der Kammerspiele. Die Familie Trask zerlegt sich vor den Augen der Zuschauer. Das ist in knapp drei Stunden (einschließlich Pause) oft spannend und manchmal sogar lustig. Wie gesagt, tolle Schauspieler. Sie hätten mal wieder ein richtiges Stück verdient.

Die nächsten Aufführungen: 19., 26. und 27. September; 1., 9., 18. und 23. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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