Aktion "Eine Stadt liest ein Buch" in Bonn

Irene Disches Roman "Großmama packt aus" steht im Mittelpunkt

Aktion "Eine Stadt liest ein Buch" in Bonn
Foto: dpa

Bonn. Im Jahr seines Erscheinens, 2005, gehörte Irene Disches Roman "Großmama packt aus", zu den Bestsellern. Jetzt steht die heiter-nachdenkliche Familiengeschichte im Mittelpunkt der Aktion "Eine Stadt liest ein Buch", zu der sich in Bonn Kulturamt, Volkshochschule und Universität unter anderem zusammengetan haben.

In einem Lese-Marathon stellen 37 mehr oder minder prominente Bonner den Roman am Sonntag, 23. November, im Contra-Kreis-Theater vor. Die Großmutter, von der Irene Dische schreibt, ist eine außerordentlich starke Frau, aber manchmal muss auch sie behütet werden, damit sie sich nicht erschreckt über die Freizügigkeit einer neuen Zeit.

Selbst wenn sie bereits das Zeitliche gesegnet hat. Ursprünglich wollte die Autorin, Jahrgang 1952, deutsch-amerikanisch-jüdisch-katholischer Herkunft, das Buch unter dem Titel "The Biography of Irene Dische" herausgeben. Sie plante ihr Leben und das ihrer Großmutter und natürlich der ganzen Großfamilie aus der Ich-Sicht von Elisabeth Rother, der Großmutter, zu erzählen. Aber da war Hans Magnus Enzensberger vor.

Disches Entdecker und großer Förderer soll ihr lebhaft ausgemalt haben, was die Familie empfinden würde, würde sie Sätze lesen wie diese: "Dass meine Enkeltochter so schwierig ist, hängt vor allem mit Carls geringer Spermiendichte zusammen. Er hat seine kleinen Männer durch Heldenhaftigkeit ermordet. Darüber später mehr. Jedenfalls brachte er nur ein Kind zusammen." So spricht die Großmutter über ihren Sohn, und man kann das in diesem Buch auch lesen, aber das wollen die Angehörigen doch nicht so brüsk zwischen zwei Buchdeckeln wiederfinden.

Dische arbeitete das Manuskript noch einmal um und ließ die Oma nur aus dem Off reden, wie eine Stimme aus dem Jenseits. Mit diesem Trick verhinderte sie, dass die Altvordere, die kein Blatt vor den Mund nimmt, allzu wuchtig rüberkommt. Die Leser empfinden die Frau als sympathisch, wenn sie markig verkündet: "In unserer Familie wären alle Frauen gern Männer gewesen, aber Gott hatte etwas anderes mit uns vorgehabt."

Irene Dische, in New York geboren, aber seit 1977 vorwiegend in Berlin lebend, hat ihre große Klappe von der Oma geerbt. Ihr Ton ist aus zahlreichen Büchern bekannt: rüde, direkt, ohne diplomatisches Drumherum, bisweilen knallhart. Das hält die produktive Autorin, die mit mehreren Preisen geehrt wurde, auch in diesem Buch durch. Wie sollte es auch anders sein, Grandmother Elisabeth war eine resolute Rheinländerin.

In diesem Roman sitzt sie im Kreis ihrer Lieben im plüschigen Wohnzimmer und teilt verbal mit dem Nudelholz aus, dass Kinder und Enkel die Kinnlade runtersackt. Sie lässt die Vergangenheit Revue passieren, redet und palavert, übersieht Gähnen und rollende Augen des Nachwuchses, und wenn der doch mal eine Frage dazwischenhaken kann, wird die regelmäßig gekontert mit "später mehr dazu".

Großmütter lassen sich nicht gern in ihre Erzählungen hineinreden, wenn sie in Fahrt sind. Und zu erzählen hat Elisabeth Rother viel. Vertrackte Verwandtschaftsverhältnisse, Teile der Sippschaft in Amerika, andere in Deutschland. Kriege, Flucht und Emigration in die USA, Neuanfang im kalt-kapitalistischen Land angeblich unbegrenzter Möglichkeiten, die Exzesse in der Hippie-Zeit.

Das ganze 20. Jahrhundert steckt in diesem Buch, seine Irrungen und Wirrungen. Aber nicht als Geschichtslektion abstrakt dargelegt von der rabiaten, aber in Wahrheit gutmütigen Alten, sondern in Erzählhäppchen, kleinen Alltagsportionen, damit die nachrückenden Dummerchen auch erfahren, wie das Leben so geht. Die Sprache ist stets unverblümt. In Disches Roman sprechen alle Frauen so, vor allem Liesel, das betagte Dienstmädchen, das immer noch mit dem Putzlappen durch die bürgerliche Wohnung wischt, vor allem aber die Ohren offen hat.

Wenn es darauf ankommt, sind diese Frauen voll da. Es gibt ja meist keinen Mann, der es richten könnte. Irene Dische bettet ihre eigene Kindheit und Jugend in Omas Erzählstakkato ein. Musikerin sollte sie werden, begabt war sie, ging aber 1969 auf Weltreise aus und vergaß die Noten. In Zentralasien musste sie sich gegen sexuelle Übergriffe wehren, das kann sie nur die Oma erzählen lassen.

Das ist ein starkes Stück, denn die Großmutter duldet Sex nur als Mittel zur Fortpflanzung, alles andere ist "unkeusch". Die Männer, sie weiß schon, sehen das anders. Aber: "Es ist Frauensache, dafür zu sorgen, dass die Familie ihr Niveau hält." Basta. Irene Disches Familiengenealogie ist "eine Art Beichte", herrlich amüsant, aber auch ziemlich lehrreich, frech, klug und augenzwinkernd geschrieben.

Irene Dische: "Großmama packt aus", aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Hoffmann und Campe. 365 S., 23 Euro. dtv-Taschenbuch 9,90 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort