Roman-Utopie "Unterwerfung" Abendland ist ausgebrannt

Im Mai 2022 brennt Paris, Bürgerkrieg an der Place de Clichy. Die Präsidentschaftswahl hat zwar Marine Le Pens Front National gewonnen, doch dahinter rangieren Sozialisten, die neue Partei der Muslimbrüder und das Zentrum. Dessen Niederlagen erprobter Chef François Bayrou wird Steigbügelhalter eines Bündnisses unter Mohammed Ben Abbes, dem ersten muslimischen Staatsoberhaupt der "Grande Nation".

Ersonnen hat diese Polit-Utopie (oder -Distopie) ausgerechnet Michel Houellebecq, der den Islam ja schon als "die dümmste Religion" geschmäht hat. Doch diesmal attackieren keine Gotteskrieger die thailändischen Sex-"Paradiese" (wie in "Plattform"). Nein, im neuen Roman "Unterwerfung", der heute in Frankreich als "Soumission" und am 16. Januar hierzulande erscheint, gibt ein moralisch marodes Europa seinen Humanismus brav an der Moslem-Garderobe ab.

Womit die vorab hektisch geführten Debatten, ob Houellebecq hier Wahlkampf für Frankreichs extreme Rechte (oder Propaganda für die hiesige Pegida) mache, ins Leere laufen. Kristallisationsfigur des ausgebrannten Abendlands ist der Literaturwissenschaftler François, lustloser Dozent, dessen flackernde Libido junge Studentinnen befriedigen dürfen. Doch auch über der Sorbonne geht (dank saudischer Finanzhilfe) bald der Halbmond auf.

François bekommt mit seiner Kündigung genug Muße, Frankreichs Veränderung zu betrachten: Die Juden (samt Gelegenheitsfreundin Myriam) wandern nach Israel aus, Röcke und Kleider verschwinden von den Straßen, die Kriminalität sinkt, die Arbeitslosigkeit auch, weil Frauen an den Kochtopf zurückgedrängt werden.

Houellebecqs Erzähler konstatiert all dies unaufgeregt und keineswegs islamfeindlich, was wohl die eigentliche Provokation dieses Romans ist. Letzterer geht mit dem gallischen Politpersonal hart ins Gericht. Bayrou, "ein Idiot", während François Hollande hier 2017 auf eine "verheerende" Ehrenrunde geschickt wird. Die er nur "der armseligen Strategie" verdankt, den Sieg des Front National zu verhindern.

Der fiktive Ben Abbes hingegen bekommt Züge von Kaiser Augustus - ein kultivierter Stratege, der auf dem Weg zum Römischen Reich unter islamischer Flagge keine Dschihadisten gebrauchen kann. Diese ideologische Kampfzone sähe man gern genauer vermessen: Wenn 2022 mit Tunesien und Marokko über den EU-Beitritt verhandelt wird, fragt sich: wirklich kein Berliner Widerstand gegen die Moslem-Macht?

So Frankreich-zentriert die Zukunft, so wohlvertraut ihr Chronist: ein verkorkster Grübler und Menschenfeind. An ihm läse man sich rasch satt, wäre er nicht stark in der Diagnose jener Autoimmunkrankheit, die den Westen zerrüttet hat. So steckt auch in diesem Gelehrtenkostüm niemand anders als Houellebecq, das gebrannte Kind der 60er-Jahre-Libertinage.

Zum Forschungsobjekt wie persönlichen Leitstern hat François den Dekadenzdichter Joris-Karl Huymans erkoren. Doch als er dessen Pilgerfahrt ins Kloster nachahmt, verpufft der Effekt: Der alte Katholizismus verblasst vor dem All-inclusive-Angebot der neuen Sinnstifter.

Im Schlusskapitel kehrt François reumütig in den Uni-Schoß zurück, wo der neue Rektor erklärt, "dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht". Derjenigen der Frau unter den Mann und der des Menschen unter Allah. Diese totalitäre Saat geht im Roman nur auf, weil die islamische Spiritualität den Helden mit handgreiflichen Boni lockt: Sobald ihm dreifaches Dozentengehalt und drei Frauen angeboten werden, wird er zum Konvertiten. Bekehrung als Korruptionsfall...

Auch diese Wendung bezeugt Houllebecqs Geschick, sich plumper Eindeutigkeit zu entziehen. Ob sein Buch nun Horrorszenario, Erlösungsvision oder bloß satirische Gegenwartskritik ist, liegt im Auge des Betrachters. Und der sollte angesichts faszinierender Abgründe schon schwindelfrei auf diese intellektuelle Gratwanderung gehen.

Michel Houellebecq: Unterwerfung.Roman, deutsch von Norma Cassau und Bernd Wilczek. Dumont Buchverlag, 279 S., 22,99 Euro. Der Autor liest am 19. 1., 19.30 Uhr, im Rahmen der lit.Cologne im Kölner Depot 1.

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