12. Bonner Videonale öffnet ihre Türen im Kunstmuseum

Festival und Ausstellung starten am Mittwoch - Blick geht zurück, aber auch Perspektiven werden gezeigt

  Im Farb-Delirium:   "Venusia" von Bouvy und Gillis.

Im Farb-Delirium: "Venusia" von Bouvy und Gillis.

Foto: Franz Fischer

Bonn. Irgendwann wird jeder Videonale-Besucher im Kunstmuseum Bonn vor dem Monitor der Inderin Tahireh Lal landen und dort bleiben wollen.

"Tha" heißt der viereinhalbminütige Film, eine ruhige Entspannungsübung, bei der man den Atem und den zusehends ruhiger werdenden Herzschlag hört, dazu Meeresrauschen und die Bilder schöner Augen, Hände und Füße. Ein Stück Meditation tut mitten in der Bilderflut der bislang größten Videonale, der Nummer zwölf, not.

1 445 Beiträge aus 74 Ländern haben sich für den Wettbewerb beworben, 43 überzeugten die Auswahljury, ein Video wird Mittwoch bei der Eröffnung den begehrten Preis bekommen. 43 Beiträge, das sind insgesamt sechsdreiviertel Stunden Film. Und das ist nur der Wettbewerb. Hinzu kommen die Beiträge der Jubiläumsschau "Review" und die medialen "Interventionen" am Samstag im gesamten Stadtgebiet.

Am Mittwoch starten das viertägige Festival und die Ausstellung, die in erstaunlicher Breite und Vielfalt zeigt, wo das Medium heute steht, was alles möglich ist. Ein interessantes Kapitel im Wettbewerb der Videonale ist etwa der Umgang mit der Filmhistorie. Garrison Geoffrey bearbeitet unter dem Titel "An Infinite Night" den Klassiker "Il fiore delle mille e una notte (Erotische Geschichten aus 1001 Nacht)", den Pasolini 1974, ein Jahr vor seiner Ermordung drehte.

Mit Truffauts Kurzfilm "Les Mistons" über fünf Jungen, die ein Liebespaar beobachten und verfolgen, hat sich die Norwegerin Kaja Leijon befasst: Bei ihr sind es jedoch Mädchen, die sich in einem Augenblick latenter Aggression gegenüberstehen.

Das Duo Dellbrügge/De Moll hat sich gleich vier Action-Reißern angenommen: "Zardoz", "Westworld", "Mad Max II" und "The Beach". Die berühmten Klassiker sind aber nicht zu sehen, vielmehr hört man Originaldialoge daraus und sieht in dicken weißen Lettern den Text. "Heimkino" heißt die Produktion. Eine spannende Herausforderung an die Imagination.

Auch in der Sparte Dokumentation und Biografie hat die Videonale Herausragendes zu bieten, etwa Charlotte Ginsborgs meisterhaft gefilmte Recherche rund um den Abriss eines Londoner Hochhauses und den Neubau sowie daran beteiligte Individuen. Erschreckend aktuell mutet Rebecca Loyches Dokumentation über amerikanische Waffennarren an.

Die verstörenden Bilder des Endzeit-Dramas "All Together Now" von Harry Dodge und Stanya Kahn lassen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Sascha Pohles "The Mad Masters" hat ein Vorbild: "Les Maitres fous" (1955) von Jean Rouch. Pohle wendet die ethnografische Studie des Franzosen ins Bizarre, dokumentiert die Aufregung rund um einen Doppelgänger-Wettbewerb in Las Vegas, bei dem Prominente von Cher bis Kylie, von Jack Nicholson bis George W. Bush mehr oder weniger täuschend echt vertreten sind. Einer der kurzweiligsten Beiträge des Wettbewerbs.

Ein Fantasy-Film wie Ulu Brauns "Rhabarber Boy" rund um einen Jungen, der in einer surrealen Comic-Welt mitten in einem Rhabarber-Urwald allerlei Abenteuer bestehen muss, ist nicht nur perfekt gemacht, er überzeugt auch durch eine vielschichtige Erzählung.

Videonale-FestivalHeute wird um 20 Uhr die Videonale 12 im Kunstmuseum Bonn mit der Bekanntgabe des Preisträgers eröffnet. Bis zum Samstag läuft das Festival mit Symposiums-Vorträgen zu den Bereichen "Videokunst und Internet - Die Zukunft des bewegten Bildes" und "Open Archive". Der Samstag ist für künstlerische Interventionen und Hochschulprojekte an vielen Orten der Stadt reserviert. Das Festival endet mit einer Party am Samstag im Kunstverein (21 Uhr). Die Ausstellung der Videonale dauert bis 26. April. Alle Informationen gibt es unter www.videonale.org.In ein optisches Farb-Delirium entführt dann "Venusia" von Aline Bouvy und John Gillis. Dass die Videonale ihre Wurzeln achtet, demonstriert eindrucksvoll die Rückschau "Review" mit Arbeiten von Jan Verbeek, Katja Davar, Marcel Odenbach oder Dieter Kiessling. Doch nicht nur dort spürt man die urwüchsige Kraft des Mediums, das Unperfekte, Spontane, anarchisch Lärmende längst vergangener Flimmer- und Wackeltage.

Andrew Cookes Beitrag etwa erinnert daran, dass ein Zweig der Videokunst aus der Ecke Happening und Performance kam: Laut schnaubend und mit einem nervenzerreißend hohen Summton gibt er mit dem Kopf auf dem Teppich den menschlichen Staubsauger. Hier nervt das Medium gewaltig, hier wackelt das Heimkino der Videonale. Dem coolen Interieur und manch abgehobenem Beitrag tut dieser Kontrast gut.

Was es sonst noch gibt: Griffige "Poetry in Motion", Witziges, Verträumtes und Kontemplatives, blankes Chaos, unvergesslich schöne Bilder wie das erstarrende Wasser in Mihai Grecus "Coagulate", starke Eindrücke wie das zerschossene Schlagzeug von Tom Dale, eine Arbeit mit einem gewaltigen, gewalttätigen Hintergrund.

Schließlich der beste Film des Wettbewerbs: Manon de Boers "Attica". Musik (Komposition von Frederic Rzewski), Schwarz-Weiß-Bild und Story (vertont wird Sam Melvilles Brief über eine tragische Gefangenenrevolte 1971 im Knast Attica) gehen eine homogene, wunderbare Verbindung ein.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Alle 2; bis 26. April. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr.

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