Zeitreise in die Unendlichkeit So war das Konzert von Tocotronic im Kölner E-Werk

KÖLN · Die deutsche Band Tocotronic feuerte auf einem Konzert im Kölner E-Werk ihre Hits ab. Deutlich hörbar: Die Musiker haben Bock auf Krach.

 Bock auf Krach: Sänger Dirk von Lowtzow.

Bock auf Krach: Sänger Dirk von Lowtzow.

Foto: Thomas Brill

Ihren Fans die Unendlichkeit zeigen – darunter machen es Tocotronic derzeit nicht. Das stellte Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow gleich zu Beginn des Konzerts im Kölner E-Werk klar, als er die Zuschauer mit hochgestreckten Fäusten vor dem einen funkelnden Sternenhimmel simulierenden Bühnenbild begrüßte. Folgerichtig lautete der erste gespielte Song auch „Die Unendlichkeit“. Es ist der Titeltrack des im Februar erschienenen zwölften Albums der Band, ihr zweites in ihrer Karriere, das auf Platz eins der Charts kletterte, und ihr achtes in Folge, das sich in den Top-Ten platzierte. Und eine auf der Seite liegende Acht ist noch einmal was genau? Eben: das mathematische Zeichen für Unendlichkeit.

In einem unendlichen Raum-Zeit-Kontinuum sind auch Zeitreisen mehr als nur bloße Science-Fiction. Und auch hier liefert Tocotronic auf der aktuellen Tour eine greifbare Erfahrung, gibt sowohl optisch wie auch musikalisch und lyrisch eine Reise in die Vergangenheit zum Besten. Als feiere die Band derzeit nicht ihren 25. Geburtstag, sondern habe gerade erst den Proberaum in der elterlichen Garage verlassen, schrammelten und schepperten die vier Musiker drauflos.

Da wirkten in Köln auch die schwarz-weiße Trainingsjacke von von Lowtzow und die große Hornbrille vom Leadgitarristen Rick McPhail nicht anachronistisch, sondern passend wie die wütende, aber stets mit einem ironischen Unterton versehene Punk-Faust aufs Auge der Gesellschaft. Tocotronic hat live zurzeit ganz offensichtlich Bock auf Krach.

Autobiografische Geschichten aus der Vergangenheit

Eine Verschnaufpause gab es an dem Abend eigentlich nur bei „Unwiederbringlich“ vom aktuellen Album. Den Song über einen verstorbenen Freund sang von Lowtzow alleine, sich selbst mit Gitarre begleitend. Überhaupt sind die neuen Stücke ein wahrer Seelenstriptease des Frontmanns, zum größten Teil autobiografische Geschichten aus dessen Vergangenheit. „Hey du“ etwa, das von Problemen handelt, die man als aus der Reihe tanzender Jugendlicher in einer Kleinstadt mit seinen Altersgenossen bekommt, mutierte im E-Werk live zu einem schmutzig-staubigen und wütenden Brett von einem Musikstück.

Und zwischen all den neuen Stücken feuerte die Band, die in den 1990ern die Hamburger Schule mit Blumfeld und Die Sterne geprägt haben, ihre alten Hits ab, die von der Menge dankbar und textsicher aufgenommen wurden. „Let There Be Rock“ vom 1997er Album „K.O.O.K“ oder „Aber hier leben, nein danke“ vom 2005 erschienenen „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Nach mehr als anderthalb Stunden und drei Zugabenblöcken wurden die Fans schließlich mit einem knarzend-rollenden "Explosion" und "Freiburg" zurück in die Endlichkeit geschickt.

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