Der Pianist spielt und spricht So war das Konzert von Chilly Gonzales in Köln

Chilly Gonzales' traditioneller Philharmonieauftritt in Köln begeisterte auch in diesem Jahr das Publikum. Stella Le Page und Joe Flory waren seine Gäste.

 Seine Konzerte sind Abenteuer: Chilly Gonzales.

Seine Konzerte sind Abenteuer: Chilly Gonzales.

Foto: Thomas Brill

Früher, sagte Chilly Gonzales, hätte er in diesem Konzertsaal Crowdsurfing gemacht. In diesen Genuss kam das Publikum beim Auftritt des kanadischen Musikers und Entertainers zwischen den Jahren in der traditionell ausverkauften Kölner Philharmonie nicht. Die Zeiten ändern sich: Heute kann ein als Leitton empfundenes "h" auf dem Klavier, dem Gonzales den erlösenden Halbtonschritt zum "c" hartnäckig verweigert, schon als Akt der Anarchie gedeutet werden.

Auf seinem jüngsten Album, „Solo Piano III“, gibt es ein Stück mit dem Titel „Be Natural“, das genau dieses musikalische Thema behandelt. Vor „Solo Piano III“ hätte er in solchen Stücken immer ganz selbstverständlich die harmonische Auflösung gesucht, erfährt das interessiert lauschende Publikum. Doch das, so Gonzales, erscheine ihm heute zu romantisch, „like Chopin that we find at Aldi“. Und so verweilt der Meister in seinem Stück „Be Natural“, was auch eine Anspielung auf den Ton „b natural“ (im deutschen Tonbuchstabensystem das „h“) ist, quälend lang auf der „falschen“ Note.

Konzerte mit Gonzales sind immer ein Abenteuer, lehrreich, unterhaltsam und extrem witzig. Auch wenn er diesmal ganz leise beginnt: Der mit Vorliebe in Bademantel (aktuell in grünem Camouflage-Muster) und Pantoffeln gekleidete Musiker setzte sich in der Philharmonie an den Flügel, sammelte sich – und schnippte plötzlich mit den Fingern. Ein Signal dafür, die über ihm installierte Leinwand zu aktivieren, die die 88 Tasten der Klaviatur und seine Hände zeigte.

Natürlich begannen seine auffallend langen Finger sofort, sich in Bewegung zu setzen. Ganz leise und langsam intonierten sie das Stück „Pretenderness“, ebenfalls von Gonzales' neuem Album. Es folgte ein ganzes Medley mit Preziosen aus „Solo Piano III“ und „Solo Piano II“, darunter auch das an Bach angelehnte „Prelude in C Sharp Minor“ oder das an seine jüdisch-ungarische Herkunft erinnernde „Famous Hungarians“. Alles wunderbare neo-neoklassizistische Nummern zum Wohlfühlen. „I think this is working“, raunt Gonzales' Stimme nach dem ersten Applaus aus dem Off. „Maybe playing the piano is enough. Maybe they haven't noticed that they haven't heard my voice yet. Maybe I should play a couple of pieces and then talk.“ Eine hübsche Anspielung auf den gerade erschienenen Dokumentarfilm „Shut up and play the piano“.

Also spielt Gonzales weiter und weiter, bis er dann doch irgendwann anfängt, live und in ständigem Wechsel von Englisch und Deutsch ins Mikrofon zu sprechen. Es sei mittlerweile das achte Konzert in der Philharmonie, erzählt der Kanadier, der nach Stationen in Paris und Berlin vor ein paar Jahren Köln zu seiner „hometown“ erkoren hat. Und gratulierte dem Publikum, den ersten Abend der insgesamt zwei Konzerte gewählt zu haben: „Die erste Nacht ist immer die beste.“ Und das Publikum hört gebannt zu und reagiert begeistert, sowohl wenn er Klavier spielt, singt oder auch zur Begleitung eines tickendes Metronoms rappt.

Natürlich hatte Chilly Gonzales, der mit bürgerlichem Namen Jason Charles Beck heißt, auch wieder Gäste dabei. Diesmal die Cellistin Stella Le Page und den Schlagzeuger Joe Flory, mit denen er sehr regelmäßig zusammenarbeitet, wie man etwa in dem herrlichen Song „The Grudge“ aus dem Album „Ivory Tower“ erleben konnte. Schön auch der dreistimmig gesungene Schluss der Nummer.

Dass er aber auch sehr viel wildere Dinge kann, als ein „h“ im Raum stehen zu lassen, zeigte er zusammen mit Le Page und Floyd am Schluss des offiziellen Konzertteils mit einer furiosen Interpretation von „Knight Moves“, die in einem rasend-exzessiven Klaviersolo mündete. Der Zugabenteil wurde dann von Floyd am Flügelhorn und Le Page an der Melodika angekündigt und endete so leise, wie das Konzert begonnen hatte, mit „Armellodie“ aus dem ersten Teil der „Solo Piano“-Serie. Man kennt sie auch als „Clara“ aus dem grandiosen Konzeptalbum „Room 29“.

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