Effektarme Inszenierung Opernpremiere "La Traviata" im Kölner Staatenhaus

Köln · Benjamin Schads Inszenierung von Giuseppe Verdis Klassiker „La Traviata“ produziert nicht mehr als gepflegte Langeweile.

 Eine Frau am Boden: Chor und Marina Costa-Jackson als Violetta Valéry.

Eine Frau am Boden: Chor und Marina Costa-Jackson als Violetta Valéry.

Foto: leclaire

Vorhang um Vorhang verging im Schlussapplaus, immer wieder neu staffelte sich die Beifallsfrequenz bis zum Erscheinen der Diva Violetta. Höher und höher stieg die Spannung im Warten auf den Auftritt des Regieteams im Staatenhaus, es knisterte regelrecht im Premierenpublikum bei der Oper „La Traviata“ von Giuseppe Verdi.

Dann erschienen die Künstler um Regisseur Benjamin Schad, und es entlud sich die Buh-Luft, die gepflegte Langeweile beim Zuschauer über gut zwei Stunden aufstauen kann – gut, dass sie das Publikum nicht mit nach Hause nehmen musste.

Nach den kolossalen Bühnenräumen im „Tannhäuser“ richtete Tobias Flemming für die „Traviata“ eine Ballsaal-Kammerversion ein, mit transparenten, beweglichen Vorhängen als Ersatz für flexible Wände, luftig leicht und von jedem mühelos zu ziehen. Vor der Bühne lag ein flacher Tümpel, dessen Bedeutung auch dann nicht klarer wurde, als ein Adelsmann in Klamotten darin versenkt wurde. Spätestens an dieser Stelle wird bei einer deutschen TV-Komödie einfach weggeschaltet. Aber wegschalten wollte in diesem Drama aller Dramen um die Liebe zwischen der gesellschaftlich zwielichtigen Dame Violetta Valéry und dem jungen Alfredo Germont niemand, weil dieses Paar, beide in ihren Rollendebüts, mit großer Hingabe und stimmlichem Potenzial agierten.

Im Libretto von Piave nach Alexandre Dumas’ „Die Kameliendame“ versaut letztlich alles der alte Vater Germont, der wiederum den Ruf von Alfredos Schwester schützen will und die Liebenden dafür trennt. Violetta willigt nicht zuletzt wegen ihrer schweren Krankheit in den Verzicht auf ihre erste wahre Liebe ein.

Sie stirbt, und der Vorhang fällt

„Stirb nicht“, befiehlt der nunmehr aufgeklärte Alfredo mehrfach seiner Geliebten im Finale, aber sie stirbt – und der Vorhang fällt. Leider hilft die Regie diesem Ausstattungsklassiker nicht in der Ausschmückung der dekadenten Gesellschaft mit greifbaren Bildern oder szenisch aufrührenden Szenen. Bilder werden gestellt und stehen dann wie der Tümpel, dessen Oberfläche sich einmal kräuselt, als ein Bote – warum auch immer – durch das Wasser watet. Solche aufgesetzten Aktionen helfen der Geschichte nicht.

Eine kleine choreografierte Szene erzählt das Finden – Lösen – Wiederfinden der Oper als getanzten Scherenschnitt hinter einem zarten Vorhang bereits zur Ouvertüre. Das vom in Köln Puccini-erprobten Matthias Foremny dirigierte Orchester ist (wie bei „Lucia di Lammermoor“) seitlich postiert und klingt gut aus dieser Position. Es lässt den Sängern Luft, dynamisch singen zu dürfen. Davon macht der Altstar Lucio Gallo als Vater kaum Gebrauch, er wirkt nach seinem Falstaff jetzt eher großväterlich, auch stimmlich. Aber er bleibt ein imposanter Charakterkopf, hier ein „Jago“-Germont mit Stock im Rücken, dem die Regie sogar zumutet, der Schutzbefohlenen Violetta an die Wäsche gehen zu wollen.

Dominiert wird das Feld vom Protagonistenpaar. Der sehr jung wirkende David Junghoon Kim spielt sein Alter als schüchterner Bubi aus, mit vielen leisen Tönen, nie mit Pressluftsound eines Halbstarken, gut in Szene gesetzt. Und noch besser gesungen vom koreanischen Tenor, der hier – Mut von der Kölner Oper – wirklich seine Karriere startet; in einer sehr anspruchsvollen Rolle.

Das weiß auch die Sopranistin Marina Costa-Jackson, denn ihre Violetta fordert nicht nur emotionalen Tiefgang über die Langstrecke, sondern natürlich fließende Koloraturen in kolorierter Seelenlandschaft. Aber das alles erledigt die in Las Vegas geborene italienisch-amerikanische Diva spielerisch, mit bestechender Körperbeherrschung und ergreifender Tiefe. Sie ist in dieser Produktion der Star, der mit Bravi überschüttet wurde – auch dank der herrlichen Duette mit ihrem talentierten Tenor.

Die Massenszenen verpuffen effektarm

Den Chor, eingesetzt als verderbte Gesellschaft in zeitlosem Ambiente, hat Andrew Ollivant einstudiert. Die Verbindung zum Dirigenten funktioniert meistens, aber die Massenszenen zwischen hängenden Lappen verpuffen effektarm. Auch die mit Spannung erwartete Drehbühne entpuppt sich als zahnlose technische Raffinesse von der Größe eines Kinderkarussells – all dies erinnert an notgeschuldete Ausstattungsideen an einem klammen Stadttheater. Immerhin stimmt die Musik gut gelaunt oder in dieser Oper am Ende natürlich todtraurig. Violetta stirbt. Das Experiment „Oper im Staatenhaus“ lebt weiter.

Weitere Vorstellungen: 18., 20., 27. Oktober, je 19.30 Uhr, sowie viele Termine im November. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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