Premiere am Schauspiel Köln Goethes „Faust“ als Spiel von Puppen und Menschen

Köln · Regisseur Moritz Sostmann hat am Schauspiel Köln seine Variante von Goethes weltberühmtem Drama „Faust“ präsentiert. Während Katharina Schmalenberg als Gretchen herausragend ist, kann das Stück nicht voll überzeugen, meint unser Autor Axel Hill.

 Szene im Kerker: Gretchen (Katharina Schmalenberg, vorn) und Mephisto (Yvon Jansen).

Szene im Kerker: Gretchen (Katharina Schmalenberg, vorn) und Mephisto (Yvon Jansen).

Foto: Thomas Aurin

Was macht man 2017 mit Goethes „Faust“? Dem Klassiker schlechthin, von „des Pudels Kern“ bis zum „armen Tor“ alltagserprobt. Regisseur Moritz Sostmann ist am Schauspiel Köln mit seinen Inszenierungen, in denen Menschen und Puppen auf Augenhöhe agieren, der Spezialist dafür, berühmte Stoffe neu zu beleuchten. Doch nach dreieinhalb Stunden im Depot 1 war man eher „so klug als wie zuvor“, der Premierenapplaus zögerlich. Die Handlung zur Erinnerung: Mephisto wettet mit Gott, dass er den Gelehrten Faust vom rechten Weg abbringen kann. Und es gelingt: Mit der Zusage, ihm „Genuss“ zu verschaffen, verspricht Faust dem Teufel seine Seele. Die erste Errungenschaft ist auch sein erstes Opfer: Gretchen endet im Kerker, nachdem es aus Verzweiflung das gemeinsame Kind ertränkte.

Bei Sostmann wird der „Faust“, wo es nur geht, gegen den Strich gebürstet. Hier wird kein Hochamt für das Drama gefeiert, bei dem schon einmal große Schauspieler vor lauter Ehrfurcht in Schockstarre verharren.

In der Titelpartie besetzt er Philipp Pleßmann, ansonsten vor allem Puppenspieler und Musiker, der mit derart lässiger Beiläufigkeit spielt, dass sein Textaussetzer in der Premiere hätte inszeniert sein können. Der Anfangsmonolog ist ein „bla-bla-bla“, im Takt den bekannten Versen angepasst, der die Schnöselhaftigkeit von Pleßmanns Faust herrlich auf den Punkt bringt – den Sostmann gleich wieder entkräftet, wenn im Anschluss doch „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin...“ erklingt. Eine von vielen tollen Ideen, die er nicht konsequent durchzieht.

Drama oder Komödie? Sostmann streicht Komisches wie Auerbachs Keller, setzt auf Slapstick mit Guido Lamprecht als schuhplattlerndem Wagner oder Johannes Benneckes schriller Hexe mit Cher-Perücke. Die ironische Szene zwischen Mephisto und dem Schüler gipfelt in der Vergewaltigung des Jungen. Mit Yvon Jansen verkörpert nicht zum ersten Mal eine Frau den teuflischen Verführer mit Pferdefuß (hier mit Pelz bezogenen Pumps – Kostüme: Elke von Sivers). Ihre androgyne Optik trägt wunderbar dazu bei, dass die Figur noch weniger greifbar ist.

Herausragend: Katharina Schmalenberg als Gretchen. Rotzig, selbstbewusst, eine junge Frau, die sich nimmt, was sie will, letztlich der einzige dreidimensionale Charakter des Abends. Dem in der Spinnrad-Szene („Meine Ruh' ist hin“) erlaubt wird, Goethes Worte zu fühlen. Um sie zu gewinnen, braucht ein Waschlappen wie Faust wirklich die magische Unterstützung Mephistos... Und wenn sie beim Blick in den Spiegel Jansens Mephisto sieht, fällt der ähnliche Typus der beiden Frauen auf (kurze Haare, markante Gesichtszüge). Ein Gedankenblitz, der auf der bis auf wenige Requisiten ansonsten leeren Bühne (Christian Beck) leider verpufft.

Den Schauspielern stellt Sostmann Puppen-Alter-Egos an die Seite, von Akteuren und weiteren Spielern abwechselnd geführt. Brillant: Wenn Mephisto in der Schülerszene sich nicht als Faust verkleidet, sondern ihn mit dessen Puppe „spielt“. Einmal mehr fasziniert die Intensität, die Hagen Tilp ihnen trotz starrer Gesichtszüge verleiht. Entsprechend werden sie wie Schauspieler behandelt: Viele erkennt man aus Lars Noréns „3.31.93“ wieder, dank anderer Kostüme können auch sie in neue Rollen schlüpfen.

Dass sie beim Osterspaziergang in einem Boot schaukeln, mag sich in Goethes Text befinden („...so manchen lustigen Nachen bewegt, und bis zum Sinken überladen...“) und gerät zu einer magisch-schönen Szene. Zuschauer 2017 lässt sie aber eher an Flüchtlinge auf dem Mittelmeer denken, deren Schicksale weit entfernt sind vom fröhlichen Treiben à la „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.“

Nächste nicht ausverkaufte Vorstellungen: 15., 28., 29. März, 19 Uhr, Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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