Kölner Männer-Gesang-Verein Ex-OB Jürgen Nimptsch spielt den Schurken

BONN · Der Kölner Männer-Gesang-Verein persifliert in seinem neuen Bühnenstück „Circus Colonia“ die Kommunalpolitik der Domstadt. Schauplatz ist eine Manege, den bösen Buben spielt der ehemaliger Bonner Bürgermeister Jürgen Nimptsch.

Große Oper in Köln, aber hallo. Die Spielstätten der städtischen Bühnen am Offenbachplatz werden seit 2012 saniert und saniert und saniert. Die erste Wiedereröffnung hat man verschoben, die zweite ebenfalls. Pannen bei Planung und Bauleitung. Aus 250 Millionen Euro Kosten werden 450 Millionen, vorerst. Es ist das alte Spiel, siehe BER in Berlin oder Elbphilharmonie in Hamburg. „Elphi“ hat in dieser Woche immerhin den Betrieb aufgenommen. Davon sind die Kölner noch ein paar Jahre und weitere Millionen Miese entfernt. Derweil begnügt man sich mit Interimsspielstätten, zum Beispiel im Staatenhaus in Deutz. So viel zur Vorgeschichte.

Auch im Medienpark Hürth befindet sich ein brauchbares Ausweichquartier. Das Gebäude 14 im Studiokomplex diverser TV-Produzenten nutzt die Oper für Proben und als Lager. In diesen Tagen wird viel gesungen im Haus, doch es sind keine werktreuen Arien der Opernliteratur, die durch die Flure vibrieren. Der Kölner Männer-Gesang-Verein (KMGV) hat sich im Gebäude eingerichtet, um mit seiner Bühnenspielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg ein neues Divertissementchen einzustudieren. An dem traditionsreichen Spektakel wirken rund 150 Sänger, Musiker, Tänzer und Techniker mit.

In einem Saal versammeln sich Männer zum Warmsingen, im großen Proberaum schmettert ein Solist zur zackigen Klavierbegleitung „Volare, oh, oh”. An der Seite stehen ein paar runde Büffettische, drapiert mit Austern und anderen Leckereien, allerdings aus Plastik. „Das sind Kostüme für die neue Inszenierung“, sagt Manfred Kölzer. „Dazu gehört noch ein Kronleuchter als Kopfschmuck.“

Kölzer kennt sich aus, er ist der Baas, so heißen die Spielleiter beim „Zillchen“, das wiederum als Kurzform für Cäcilia Wolkenburg steht. Und die schmucke Wolkenburg an St. Cäcilien im Herzen von Köln ist das Vereinsheim des Männerchores. Divertissementchen wiederum sind unterhaltsame Zwischenspiele, die einst für die Umbaupausen in der Oper komponiert wurden. In Köln entwickelte sich eine eigene Variante: Wenn die Oper in der Karnevalszeit eine Pause einlegte, führte der KMGV dort seine Divertissementchen auf.

Mehr Tradition geht kaum. In diesem Jahr feiert der älteste Kölner Männerchor seinen 175. Geburtstag. Der Verein mag in die Jahre gekommen sein, aber er ist nicht von gestern. Und wenn schon: Der KMGV rekrutierte sich bei seiner Gründung am 27. April 1842 überwiegend aus singenden Nonkonformisten, die mit aufmüpfigen Liedern gegen die Obrigkeit durch die Straßen der Domstadt zogen. „Das ist nach wie vor unsere Tradition“, sagt Baas Kölzer. „Wir wollen politisch sein – aber mit viel Musik, weil wir alle Sänger sind“.

Heute zählt der Verein knapp 200 aktive Sänger und 800 Fördermitglieder. Und einmal im Jahr, zur Karnevalszeit, produziert die Sangestruppe ihr großes Gesamtkunstwerk, das über die Jahrzehnte eine enorme Eigendynamik entwickelt hat. In dieser Spielzeit stehen 28 Shows auf dem Programm – allerdings im Staatenhaus. Erwartet werden 28 000 Besucher. Mehr geht nicht. Ein derartiger Aufwand lässt sich im Ehrenamt kaum stemmen, deshalb besetzt der Verein einige künstlerische und technische Positionen mit Profis.

Lajos Wenzel ist ein Profi. Der vielseitige Regisseur und stellvertretende Intendant des Jungen Theaters Bonn inszeniert das neue Stück, und er hat auch das Buch dazu geschrieben. Ganz im Sinne eines politisch ambitionierten Männerchors: Wenzel verortet seine Geschichte im „Circus Colonia” und konterkariert die Kölner Kulturpolitik, denn mitten in der Manege klafft ein Loch, und keiner will’s gewesen sein.

Das Wort „Oper“ kommt im Text zwar nicht vor, aber ein Loch ist ein Loch – und deckt somit symbolisch ein großes Sortiment von Pleiten ab. Nicht zuletzt erinnert es ans versenkte Stadtarchiv. Mit dem „Circus Colonia” schlagen die Betroffenen zurück, denn der Gesangverein ist selbst ein gefühlter Teil der Oper und gleichsam Opfer der Sanierung. Man ist ohne feste Spielstätte. Der KMGV hat der Oper viel zu verdanken, klar, aber Kritik muss erlaubt sein.

„Wir befinden uns gerade in den letzten Zügen der szenischen Proben“, sagt Wenzel hochkonzentriert. „Das Stück gliedert sich in vier Tage, jeder Tag beginnt ähnlich, aber nicht gleich.“ Diese kleinen feinen Unterschiede müssen einstudiert werden. An Wenzels Tisch neben dem schwarzen Flügel sitzt einer der Hauptakteure. Ebenfalls ein bekanntes Gesicht aus Bonn. Er ist seit 1995 Sänger im Chor, von 2000 bis 2009 war er Baas, also Spielleiter, danach verschlug es ihn für sechs Jahre in die Kommunalpolitik – als Oberbürgermeister von Bonn. Jürgen Nimptsch wirkt tiefenentspannt.

Das hier ist seine Welt: schöne Stimmen, aufwendige Kostüme, keine Ratssitzungen. Nimptsch kokettiert mit der Rolle, die ihm Lajos Wenzel zugeteilt hat: „Ja, ich spiele den Schurken“, sagt er. Nimptsch gibt den Löwenbändiger im Kölner Zirkus. Ein fieser Typ, der das Loch in der Manege instrumentalisiert, um den Zirkusdirektor abzusägen.

„Und er protegiert eine Ersatzspielstätte, bei der wir ganz viel Geld verdienen können“, sagt Nimptsch und verweist jede Parallele mit einem Bonner Konferenzzentrum ins Reich der Fantasie. Aber: „Am Schluss siegt das Gute – und ich scheitere erbärmlich.“

„Unser Schurke ist gut besetzt“, sekundiert Spielleiter Kölzer. „Wann hat man schon mal einen Darsteller, der kommunalpolitische Erfahrung mitbringt.“ Jürgen Nimptsch sieht da keinen Zusammenhang: „2007 habe ich hier den Teufel gespielt – und bin trotzdem zum Oberbürgermeister gewählt worden.“

Regisseur Wenzel hört genüsslich zu, die Sache mit dem Bonner OB war schließlich seine Idee. Den größten Kraftakt sieht er in der dramaturgischen Ausrichtung der Musik. Die Bergischen Symphoniker versorgen das Stück mit Klassik, die Band Westwood Slickers deckt alle gängigen Genres der Unterhaltungsmusik ab. „Es ist alles dabei“, sagt Wenzel. „Oper, Musical, Operette, Pop, Filmmusik und kölsche Musik“.

Der Pianist bittet um mehr Ruhe am Nachbartisch. Nimptsch schwenkt in den Flüsterton: „Aus Bonner Sicht wäre zu sagen: Beethoven kommt mindestens zweimal vor, aber in dramaturgisch entscheidenden Momenten“, sagt Nimptsch , als habe er diese Entscheidung als Stadtoberhaupt angeordnet. „Wenn das Desaster in der Manege entdeckt wird, singen wir: Do es e Loch, die Fünfte also. Und am Schluss, bei der großen Jubelarie auf die Vaterstadt Köln, kommt die Neunte zum Zuge.“

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