Klassiker und Kontraste Evanescence und Bad Religion in Köln

Köln · Gleich zwei Kölner Popkonzerte lockten am Wochenende die Massen: Evanescence setzte im Palladium auf Kontraste, Bad Religion spielte Klassiker im E-Werk.

 Großartige Momente: Evanescence-Sängerin Amy Hartzler (rechts).

Großartige Momente: Evanescence-Sängerin Amy Hartzler (rechts).

Foto: Thomas Brill

Die Bandbreite ist enorm: Hier wuchtige, druckvolle, energiegeladene Metalhymnen, die automatisch zum rhythmischen Nicken verleiten, dort zarte, feingliedrige Balladen. Mitunter auch alles in einem Song vereint. Im ausverkauften Palladium bejubelt das Publikum jeden einzelnen Ton, jeden Funken Emotion und jeden donnernden Akkord von Evanescence, die zum Abschluss ihrer Europatournee in der Domstadt ihr einziges Deutschland-Konzert geben und dabei noch einmal alles raushauen.

Krachende Riffs und hämmernde Drums, dazu der elegische Gesang von Amy Hartzler, die sich immer wieder in neue Höhen schwingt und von Trauer und Verzweiflung, Dunkelheit und Freiheitsstreben singt. Ein gut anderthalbstündiges Pathos-Magnum, das zwar nicht wirklich neu ist, seine Wirkung allerdings nicht verfehlt.

Schon vor dem Auftritt von Evanescence ist die Stimmung hervorragend. Die deutsche Formation Revolution Eve setzt im Vorprogramm starke Akzente und wird für ihr melodisches Powermetal begeistert gefeiert. Ein Bühnenmitarbeiter, der noch einmal mit einer Art Staubsauger über die Bühne geht und dabei zu „I Want To Break Free“ fröhlich die Hüften schwingt, ist ebenfalls ganz großes Theater.

Dennoch ist das noch nichts gegen die Euphorie, die bei den ersten Klängen von „Everybody's Fool“ ausbricht. Lichter zucken, dann legt Hartzler los. Ihre lange schwarze Mähne schwingt auf und ab, ebenso wie die Perlenschnüre um ihre Schultern, während die 35-Jährige sich austobt, nur um zwischendurch am Flügel wieder zur Ruhe zu kommen. Von dort aus singt sie auch „My Immortal“, jene Goth-Pop-Ballade, die Evanescence auch über Genregrenzen hinweg populär machte. Der gesamte Saal singt mit, fühlt sich verbunden, und Hartzler gibt den Fans denn auch ein wenig Raum und ein paar einzelnen Verse.

Ein großartiger Moment. Und doch sind es an diesem Abend weniger die ruhigen Songs, die wirklich zu überzeugen vermögen, als vielmehr die kraftvollen Stücke, in denen Hartzler nicht ganz so gekünstelt phrasiert, sondern viel klarer ist, stringenter und direkter.

Davon abgesehen hat dann auch die Band mehr zu tun, allen voran Drummer Will Hunt und die deutsche Gitarristin Jen Majura, die das Publikum herrlich aufpeitschen und auf den Höhepunkt vorbereiten.

Als Evanescence schließlich auf „Bring Me To Life“ zusteuert, gibt es kein Halten mehr: Die Halle tobt. Ein exzellentes Finale, für das Publikum ebenso wie für die Band, die nun wieder ins Studio geht und am orchestral gestützten Album „Synthesis“ arbeitet, das im Herbst erscheinen soll.

Keine Klimaanlage bei Bad Religion

Das Bandlogo mit dem Kreuz als Verbotsschild lässt keinen Zweifel zu. Die ursprünglich 1980 in Los Angeles gegründete Band Bad Religion hält nichts vom christlichen Glauben. Doch so ganz ohne Glauben scheinen Frontmann Greg Graffin und seine gut 2000 Fans im restlos ausverkauften Kölner E-Werk auch nicht leben zu wollen. So feiern die US-Punk-Ikonen und ihre ergebene Anhängerschaft die gemeinsame Überzeugung an ein ewiges Punkleben und unterstreichen die rund anderthalbstündige punk-rhythmische Andacht mit zahlreichen Klassikern der Bandhistorie.

Stimmung und orthodoxe Glaubenshaltung sind dabei durchaus mit denen der Kirche vergleichbar. Neues wird nicht verkündet, Graffins Ansage zu Konzertbeginn, ausschließlich Klassiker zu spielen, wird dagegen frenetisch bejubelt.

„American Jesus“ sorgt gleich für Hochstimmung. Das unverwässerte Punkrezept aus schneller Rhythmik, geschrammelten Riffs und eingängiger Melodik, häufig verstärkt durch mehrstimmigen Gesang, beherrscht Bad Religion perfekt.

Vielfach reichen die klassischen zweieinhalb Minuten für die bissige Gesellschaftskritik aus, um zu sagen, was gesagt werden muss. Der 52-jährige Graffin ähnelt mit schwarz umrandeter Brille und belehrender Gestik eher einem Unidozenten, der er als promovierter Ethnobiologe auch ist.

Doch nicht nur Gesellschaftskritisches wird von der Bühne aus verlautbart, auch im direkten Umfeld der Konzerthalle wird Kritik geäußert, etwa an der grenzwertigen Hitze im E-Werk. Da die Klimaanlage, oder was auch immer das darstellen soll, nicht funktioniert, heißt das hier für alle leiden, kündigt Graffin den Song „Suffer“ an. Die Fans jubeln, ebenso wie bei den weiteren musikalischen Reliquien wie „Sorrow“, „21st Century (Digital Boy)“, „Punk Rock Song“ und „Fuck Armageddon“, bei denen natürlich mitgesungen wird, was die ständig bierbefeuchteten Kehlen noch hergeben. Was die Spielfreude anbetrifft, so gibt Bad Religion sicherlich sein Bestes. Dennoch bleibt der Eindruck, dass hier nur noch Punknostalgie zelebriert wird. Natürlich können gegen alte Politik auch noch alte Protestsongs ausreichen. Als Statement gegen aktuelle politische Tendenzen wirkt das St. Pauli-T-Shirt von Bassist Jay Bentley doch etwas mager.

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