Neu im Kino: Clint Eastwoods "Sully" Punktlandung im Ungewissen

Bonn · Nach einer wahren Begebenheit: Clint Eastwoods Flugzeugdrama „Sully“ erzählt die Geschichte des Piloten Chesley Sullenberger.

 Entscheidende Sekunden: Sully (Tom Hanks, r.) und sein Copilot (Aaron Eckhart).

Entscheidende Sekunden: Sully (Tom Hanks, r.) und sein Copilot (Aaron Eckhart).

Foto: Courtesy of Warner Bros. Enterta

Es gibt kein Entrinnen. Mit qualmenden Triebwerken sinkt das Flugzeug in die Häuserschluchten von Manhattan, kann den ersten Wolkenkratzern gerade noch ausweichen. Und wenn es dann mit mächtigem Explosionsblitz in ein Gebäude kracht, wacht Chesley „Sully“ Sullenberger schweißnass aus diesem Albtraum auf.

Genau so, nämlich als verheerende 9/11-Variante, hätte der US-Airways-Flug 1549 am 15. Januar 2009 enden können. Drei Minuten nach dem Start fliegt der Jet in einen Schwarm kanadischer Wildgänse, beide Triebwerke fallen aus. Und Sully schafft das Unmögliche: eine weiche Notlandung auf dem eiskalten Hudson-River, die allen 155 Menschen an Bord das Leben rettet.

Kann uns dieses wahre Drama auch dann noch packen, wenn wir das Happy End kennen? Was also hat Clint Eastwoods Film „Sully“ über die Beinahe-Katastrophe hinaus zu erzählen? Eine Menge.

Vor allem in Kriegsfilmen wie „Letters from Iwo Jima“ und „American Sniper“ hat der nunmehr 86-jährige Regisseur die Fragwürdigkeit des Heldentums entlarvt, doch dies glückt nun auf zivilem Terrain fast noch intensiver. Denn für Sully gibt es nach der perfekten Notlandung zweierlei Rampenlicht: einerseits die bejubelten Auftritte bei David Letterman und in anderen Shows, andererseits das zuerst interne, dann öffentliche Verhör durch Amerikas Luftsicherheitsbehörde.

Letztere glaubt, per Computersimulation erkannt zu haben, dass Sully und sein Copilot (Aaron Eckhart) durchaus noch Zeit für eine sichere Rückkehr zum Flughafen LaGuardia gehabt hätten. Somit wäre ihr Hudson-Manöver ein unverantwortliches Hasardstück gewesen. Die Helden(?) werden inquisitorisch nach Alkohol- oder Eheproblemen gefragt und im bürokratischen Fegefeuer gegrillt.

Dass letztlich die Männer der Tat über die Theoretiker triumphieren, ahnt man zwar, aber es wird kein leichter Sieg. Tom Hanks' Sully, weißhaarig wie sein reales Vorbild, begegnet seinen Gespenstern. Was, wenn er wirklich falsch lag und 40 Jahre sichere Fliegerei in 209 fatalen Sekunden gelöscht wurden? Man sieht ihn in den Verhandlungspausen in New York so gehetzt joggen, als liefe er dem Selbstzweifel davon. Ein schlingernder, beinahe innerlich zerrütteter Mann auf dem schmalen Grat zwischen Denkmalwürde und öffentlicher Demontage. Den Abgrund darunter macht Eastwood fast physisch spürbar. Und Tom Hanks verströmt eine Aura von Einsamkeit, die auch die bangen Telefonate mit der Ehefrau (Laura Linney) an der Heimatfront nicht mildern können.

Mit diesem beklemmenden Psychogramm glückt dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller etwas Besonderes: eine Punktlandung im Ungewissen. Alles andere ist „nur“ perfektes Handwerk: die packenden Unglücksrückblenden aus diversen Perspektiven, die frostige Rettung in all ihren dramatischen Details, die wortkarge Kameradschaft mit dem Copiloten und Sullys Sieg im rhetorischen Showdown. Dass die Gegner dabei ein bisschen zu stark auf Schurken geschminkt werden – geschenkt.

„Wir haben einen guten Job gemacht“, darf sich der Flugkapitän schließlich sicher sein. Das gilt auch für Clint Eastwood und seine Crew.

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