"Pardon wird nicht gegeben" feiert Premiere in Köln

Köln · Als finstere Verheißung hängt der Titel über diesem Drama: „Pardon wird nicht gegeben“ nannte Alfred Döblin seinen autobiografisch getönten Roman von 1934, dessen Theaterfassung Rafael Sanchez nun als Uraufführung am Schauspiel Köln inszenierte.

 Szene mit Simon Kirsch (l.), Ines Marie Westernströer und Nikolaus Benda. FOTO: KRAFFT ANGERER

Szene mit Simon Kirsch (l.), Ines Marie Westernströer und Nikolaus Benda. FOTO: KRAFFT ANGERER

Foto: Krafft Angerer

Die gnadenlose Parole „Pardon wird nicht gegeben“ gibt Wilhelm II. dem Ostasiatischen Expeditionskorps am 27. Juli 1900 für dessen China-Mission mit – und Martin Reinke setzt den Kaiser als faselnden Pickelhaubenpopanz ins Glashaus.

Döblins Held heißt Karl (Simon Kirsch), den es mit seiner schnöde verlassenen Mutter und den Geschwistern Erich und Mariechen nach Berlin verschlägt. Dort warten die Härten der Weimarer Republik: Arbeitslosigkeit, Raubtierkapitalismus, Aufruhr im Untergrund. Kein Pardon, für Niemanden.

Thomas Dreißigackers karg-raffinierte Bühne bietet im Depot 1 genug Raum für jene Schwarzweißprojektionen, die das Zeitkolorit einfangen: qualmende Schlote und die Heere der Hungerleider, klingelnde Kassen und ins Bodenlose fallende Börsenkurse. Live-Videos zoomen die existenzielle Not heran: etwa die lebensmüde Miene der Mutter (Lola Klamroth), bevor sie den Gashahn öffnet.

Eberhard Petschinka hat Döblins Prosa äußerst geschickt dramatisiert: Innere Monologe fließen nahtlos in die Zwiegespräche, unausgesprochene Zweifel werden so auch für jene hörbar, denen sie gelten. Vor allem steuert Rafael Sanchez die Tonlage des Abends geschickt zwischen Schreien und Flüstern aus. Das Drama wird nie von der Bleidecke des Fatalismus zerdrückt, sondern bricht sich kraftvoll Bahn.

Karls erste Begegnung mit dem gewaltbereiten Umstürzler Paul (Nikolaus Benda) ist hier politisches wie erotisches Erweckungserlebnis. Simon Kirsch pumpt athletische Energie und nervöse Intensität in den Protagonisten: ein Zerrissener, der dann doch die Anpassung dem Aufstand vorzieht. Er baut die Möbelfirma des Onkels zu seiner ersten und die mit Julie gegründete Familie zur zweiten Festung aus.

Beide werden sturmreif geschossen, von den Zeitläuften wie von den Gefühlen. Denn auch zwischen Karl und Julie (Ines Marie Westernströer) brennt die Luft, zuerst vor Verlangen, dann vor Hass. Allerdings war Döblin (1878 -1957) kein Strindberg: Die Beziehungskrise wirkt psychologisch pauschal, sodass auch die Inszenierung in diesen Passagen ein wenig auf der Stelle tritt.

Doch ansonsten ist hier im wahrsten Sinne des Wortes Musik drin: Den Ehebruch bahnen Julie und der eitle Attaché José (ebenfalls Benda) per schmalzigem Schlagerduett an, während Martin Reinke das Geschehen am Klavier brillant kommentiert oder konterkariert. Überhaupt hat der Veteran des Ensembles einen großen Abend: als scheinbar gütiger, aber knallharter Onkel („Das Geschäftsleben kann von der Humanität nicht unter Druck genommen werden“), als unerbittlicher Erzähler, Anwalt und offensiver Bettler. Doch neben ihm und dem überragenden Simon Kirsch reüssieren alle: Lola Klamroth, die von der armen Mutter zur ondulierten Dame mutiert und dann auch noch die laszive Hure Ilse verkörpert, Justus Maier, der den bangen Bruder Erich zum strammen Klassenkämpfer macht, Benda in seiner Doppelrolle als flammender Rhetoriker und Verführer. Und nicht zuletzt Ines Marie Westernströer, da sie Julies furienhafte Rache mit Selbstzweifeln sprenkelt.

Wie Sanchez dann im Finale alle Festungen krachend zertrümmert, Karl eine Art Liebestod für Paul stirbt und mit dem längst zuvor verblichenen Mariechen sacht im Jenseits landet: Das ist allerbestes Theater. Langer, starker Beifall.

Drei Stunden, eine Pause. Nächste Termine: 7., 12., 14., 18. Juni, je 19.30 Uhr, Depot 1.

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