Neue Krimi-Anthologie ehrt Gisbert Haefs Hotel zur schnellen Aufklärung

BONN · „Zimmer mit Mord“: 16 Krimiautoren gratulieren einem Meister ihres Metiers per Buch zum Geburtstag

   Durchs Gemäuer   spuken Geschichten: Äußerliches Vorbild des Luxushotels „Bellevue“, in dem die 16 Kurzkrimis spielen, ist das alte Oppenheim’sche Herrenhaus in Köln-Fühlingen.

Durchs Gemäuer spuken Geschichten: Äußerliches Vorbild des Luxushotels „Bellevue“, in dem die 16 Kurzkrimis spielen, ist das alte Oppenheim’sche Herrenhaus in Köln-Fühlingen.

Foto: gemeinfrei/mtesser

Dieser Mann ist ein Phänomen. Umfassend belesen, noch umfassender gebildet, geistreich und humorvoll, dabei aber nichts weniger als arrogant, sondern stets hilfsbereit zu all seinen Mitmenschen. Der kleine, distinguierte Herr mit seinem imposanten Schnauzbart ist ein Mann voll mediterraner Kultur. Und darum heißt er auch nicht teutonisch-brutal „Giiießbärrtt“, sondern französisch-locker „zhisbähr“.

Dieser Monsieur Gisbert ist der Concierge des vornehmen Hotels „Bellevue“ in Fühlingen bei Köln. Das Hotel ist sein Leben, und er ist das des Hotels. Stolze 56 Jahre lang, von 1913 bis 1969, löst er so manches Problem seiner Gäste und Mitarbeiter. Darunter ist auch das eine oder andere ... sagen wir: durchaus speziellere. Denn im Laufe der Jahre scheiden allerlei Menschen im „Bellevue“ auf unnatürliche Weise dahin, werden erwürgt oder von Blumentöpfen erschlagen, erschießen sich gegenseitig, sterben per Rasiermesser oder am Allergieschock durchs Gift hinterrücks losgelassener Bienen, trinken pures Strychnin oder erhängen sich am Heizkörper, um der Enttarnung als Naziverbrecher zu entgehen.

Im Zentrum all dieser Geschichten steht Monsieur Gisbert, durchschaut sie, erklärt sie, führt die Täter der gerechten Strafe zu. Oder auch nicht („Unser Hotel verfügt über ein geräumiges Transportfahrzeug und ein nahegelegenes Sumpfgebiet“). So erzählen es die Urheber von „Zimmer mit Mord“, einer ebenso lesens- wie liebenswerten Anthologie von Kriminalkurzgeschichten. Acht Autorinnen und acht Autoren ehren damit einen Meister ihres Metiers: den Bonner (längst nicht nur Krimi-) Autor Gisbert Haefs, der am 9. Januar sein 70. Lebensjahr vollendet hat.

Kenntnisse des Haefs’schen Werkes sind von Vorteil, um die vielen kleinen Anspielungen in den Texten zu erkennen (wenn etwa zwei Geisterbeschwörerinnen auftauchen, die „Madame Baltazár“ und „Fräulein Matzbach“ heißen). Aber auch die Krimiwelt als Ganze haben die 16 Autoren liebevoll mit ihrem gemeinsamen Thema verknüpft. Da erscheint im Jahr 1921 eine junge Engländerin im Hotel, wird dort Zeugin eines Giftmords durch Strychnin, hilft dem Concierge dabei, den Fall aufzuklären, ist auch dabei, als er alle Verdächtigen zum Schluss im Kaminzimmer zusammenruft – und entscheidet sich anschließend spontan dazu, ihren langgehegten Traum zu verwirklichen und Krimiautorin zu werden. Ihr erster Roman wird sich um einen Strychnin-Mord in einem imposanten Haus auf dem Land ranken; ihr Detektiv wird ein kleiner, distinguierter, geistreicher Herr mit imposantem Schnauzbart.

Oder der junge Jeremias (genannt „Jerry“), der im Jahr 1952 für seinen Boss aus einem Zimmer des „Bellevue“ einen mysteriösen Umschlag herbeischaffen soll. Stattdessen stößt er auf eine bewusstlose, kaum bekleidete Rothaarige und drei bewaffnete Männer. Durchaus beeindruckend, wie Klaus Stickelbroeck (Hauptberuf: Kriminalbeamter) hier souverän zwischen der sachlichen Perspektive des Monsieur Gisbert und dem typischen Duktus des stahlharten Revolvermanns wechselt, der sich der Angreifer erwehrt („Verdammt! Ich jagte meine Hand ins Jackett und wirbelte herum. Ich war schnell“). Der Concierge beseitigt die Leichen, lächelt in sich hinein – und hat eine Idee für eine neue Krimireihe um einen FBI-Agenten, die er einem bekannten Groschenheft-Verlag vorzulegen beschließt.

Ebenso abwechslungsreich gestalten sich auch die übrigen kleinen Geschichten. Volker Bleeck lässt einen falschen Hitler im Hotelkeller sterben (vielleicht war es auch der echte). Ralf Kramp analysiert die Schreibblockade eines Kolportage-Schmierers. Ingrid Noll erfüllt zwei „Bellevue“-Mitarbeiterinnen den Wunsch nach schönen Weihnachtsgeschenken. Brigitte Glaser erzählt von einem jungen Mädchen, das sich aus den Fängen ihrer altnazi-autoritären Großmutter zu befreien versucht. Gisa Klönne sorgt dafür, dass einen Vergewaltiger die tödliche Notwehr seines Opfers ereilt. Am Ende rankt sich eine Kriminalgeschichte sogar um den kurz vor seinem spektakulären Wahlsieg stehenden Willy Brandt – nicht etwa als Opfer, sondern ganz im Gegenteil –, um zwei amerikanische Astronauten, einen aufstrebenden Filmregisseur und einen Riesen-Fake.

Besonders einfühlsam gerät die titelgebende Erzählung von Mitherausgeber Andreas Izquierdo: In fünf Teilen verknüpft sie die Geschichte des Hauses mit der Gegenwart, indem sie den Besuch eines Immobilien-Investors an der verfallenen Ruine des „Bellevue“ beschreibt. Ein hilfreicher Makler führt den Interessenten über das Grundstück („ein freundlicher, kleiner, rundlicher Mann mit dichtem, grauem Schnauzer“), erzählt ihm all diese Geschichten – und der Investor beschließt, Gisberts Beispiel zu folgen: „Ich werde meinem Leben eine neue Geschichte hinzufügen.“ Kein Wunder: Dieses Haus voller Geschichten und sein Hüter sind dem Leser nach der Lektüre ans Herz gewachsen. All seine Geheimnisse sind noch längst nicht preisgegeben. Auch nach sieben und mehr Jahrzehnten nicht.

Andreas Izquierdo, Paul Schaffrath (Hgg.): Zimmer mit Mord. Kriminelle Hotelgeschichten. cmz, 254 S., 12,95 Euro

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