Eine lange Reise Neue CD des Wachtbergers André Krengel

Wachtberg · Auf André Krengels neuer CD sind ein sprechender Kakadu, mehr als 30 erstklassige Musiker aus aller Herren Länder und 17 Geschichten über das Leben zu hören.

 Ein Herz und eine Seele: Der aus Wachtberg-Berkum stammende Gitarrist André Krengel mit Kakadu Rocko vor der Kulisse der Klosterruine Heisterbach.

Ein Herz und eine Seele: Der aus Wachtberg-Berkum stammende Gitarrist André Krengel mit Kakadu Rocko vor der Kulisse der Klosterruine Heisterbach.

Foto: Frank Homann

Um die Ecke, im Keller eines Hauses in Heisterbacherrott, probt André Krengel für die UK-Tournee mit 18 Konzerten auf der britischen Insel. Da liegt es nahe, die Klosterruine Heisterbach als Kulisse fürs Foto-Shooting zu nutzen. Und weil sich die Herbstsonne für eine Weile von ihrer besten Seite zeigt, die hübsche Außenterrasse der „Klosterstube“ fürs anschließende Gespräch. Schöne Idee – wären wir zu zweit am Tisch.

Wir sind aber zu dritt. Im Minutenrhythmus erscheint ein neuer Gast an unseren Tisch, um höflich zu fragen: „Entschuldigung ... Ist das ein Kakadu?“ oder: „Wie heißt der denn?“ oder: „Spricht der auch?“ oder: „Darf ich den mal fotografieren?“

Also handeln wir das Thema schnell vorneweg ab: Rocko ist ein 15-jähriger, unglaublich verschmuster Gelbhaubenkakadu, der auch spricht, aber nicht mit jedem, ein vogelfreies Leben ohne Käfig führt, sich in die Lüfte schwingt, wenn ihm danach ist, mehr als 80 Jahre alt werden kann und seit fast drei Jahren sein Leben mit dem Gitarristen André Krengel teilt. Der hatte eine Zeitungsannonce gelesen: Ein alte Dame fühlte sich nicht mehr rüstig genug und wollte Rocko deshalb in gute Hände abgeben. Krengel: „Das war gegenseitige Liebe auf den ersten Blick.“

Hätten die Gäste der „Klosterstube“ gewusst, was Rockos Lebensgefährte mit der Gitarre anzustellen vermag, die still und verpackt neben dem Tisch ruht, dann hätten sie wahrscheinlich ihr Handy ein zweites Mal gezückt. Zu hören ist Krengels Kreativität und Virtuosität auf seiner soeben erschienenen zweiten CD „Beneath The Words“.

Kollaborationen mit Weltklasse-Musikern

Zwei Jahre lang hat er daran gearbeitet, mehr als 30 Musiker aus aller Herren Länder für das Mammut-Projekt ins Studio nach Hamburg gelockt. Weltklasse-Musiker wie der Bassist Carles Benavent und der Flötist Domingo Patricio, beide lange Jahre Mitglieder in Paco de Lucías Ensemble; Benavent arbeitete zudem mit Chick Corea, Miles Davis, Quincy Jones, Pat Metheny.

Auch Produzent Franz Plasa ist nicht irgendwer: Er schrieb für Falco, produzierte Udo Lindenberg, Nena, Selig, Rio Reiser. In seinem Studio im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel spielten Lauryn Hill, Depeche Mode, Eminem, Mariah Carey ihre Platten ein.

Krengels Einladung nach Eimsbüttel folgten Musiker aus Russland, Irak, Spanien, Indien, England, Italien, Kolumbien, ferner die Berliner Schauspielerin Katy Karrenbauer („Hinter Gittern“) mit ihrer prägnanten Stimme – und natürlich Rocko. Die 17 Titel des Albums erzählen 17 Geschichten über das Leben, über Liebe und Schmerz, über Freude und Furcht, Trauer und Tod.

Auch der Lebensalltag der versammelten Musiker während der Zeit der Produktion spiegelt das Leben: Der kolumbianische Percussionist Rodrigo Villalon wurde Vater, der Lebensgefährte der italienischen Sängerin Angela Caran starb, der englische Ukulele-Spieler Jonty Bankes erlitt einen Herzinfarkt. Und André Krengel kippte nach einem in Lichtgeschwindigkeit absolvierten Gitarren-Solo bewusstlos vom Stuhl.

Zum Sitar-Meister nach Indien

Um seine Pollenallergie in Grenzen zu halten, hatte er wohl etwas zu tief in die Medikamentenschachtel gegriffen, hinzu kam die völlige Erschöpfung. Denn neben der Plattenproduktion absolvierte Krengel noch Dutzende Konzerte in den USA, in Kanada, England, Deutschland, Bulgarien, Moldawien und folgte einer Einladung des Sarod- und Sitar-Meisters Pandit Ranajit Sengupta nach Indien.

„Der ist in seinem Heimatland ein Star, lebt aber in einfachsten Verhältnissen, zum Beispiel ohne fließendes Wasser. Ein Leben, dass sich nicht leisten kann, sich mit Nebensächlichkeiten und Versicherungsmentalität zu befassen.“ Und Krengel? Zwei Jahre lang einchecken, auschecken, Sound checken – das hat seinen Preis, der Körper präsentierte nach dem Solo im Studio die Rechnung, auch wenn der 42-Jährige von sich behauptet, er fühle sich wie „ein ewiger 29-Jähriger“.

Acht der 17 Stücke bilden eine musikalische Suite unter dem Rubrum „The Journey“. Begegnungen mit Kulturen, die zu einer überraschenden Synthese verschmelzen, musikalisch erzählte Erfahrungen einer langen Reise, die nicht erst vor zwei Jahren, sondern vor Jahrzehnten begann. André Krengel wuchs in Wachtberg-Berkum auf, am Achtmorgenweg, als Nachbar des späteren Jazz-Trompeters Till Brönner, und besuchte das Godesberger Amos-Comenius-Gymnasium.

Mit dem Begriff „Heimat“ tut er sich aber schwer. „Heimat, das sind Menschen, die mir am Herzen liegen ... überall auf der Welt. Wenn man viel gereist ist, erkennt man, wie ähnlich sich die Menschen in Wahrheit sind. Heimat, das ist meine Musik. Ich habe meine Heimat immer dabei.“

Ohne Gitarre fast schüchtern

Das klingt zwar praktisch, lässt aber mehr vermuten. Krengel war 15, als es zum Bruch der Kinder mit den Eltern kam, und zum abrupten Ende der Kindheit; die Eltern zogen weg, um ihre Lebensträume zu verwirklichen. André und seine jüngere Schwester erstritten vor Gericht, bleiben zu dürfen, die Schwester kam zu Pflegeeltern, der 15-jährige André bewohnte fortan mit Genehmigung und unter Vormundschaft des Jugendamtes eine eigene Bude und ging weiter zur Schule. „Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

Fast schüchtern wirkt der 42-Jährige ohne seine Gitarre, die ihn schützt und stützt und trägt und tröstet, seit seinem 15. Lebensjahr. Das Amos-Comenius-Gymnasium verlässt er vor dem Abitur und brennt mit seiner Gitarre nach Miami/Florida durch. „Die Schule war nicht nett zu mir. Die haben mich abgesägt. Das hatte wohl erzieherische Gründe.“

Seither lebt Krengel von seiner Musik. In Miami wird er Mitglied einer Rockband und lernt auf einer Party den britischen Musiker Sting kennen, der ihn tief beeindruckt, nicht nur wegen der musikalischen Bandbreite. Aber erst in Spanien fühlt er sich musikalisch angekommen, lernt von den Großmeistern des Flamenco, auch wenn es für ihn hinten und vorne nicht zum Leben reicht.

Schließlich zieht er nach Düsseldorf um, mangels Geld bewältigt er den Umzug von Barcelona ins Rheinland per Anhalter – in fünf Touren. In Düsseldorf hat Krengel seither seinen offiziellen Wohnsitz. „Die Wohnung liegt verkehrsgünstig, ich bin ruckzuck am Hauptbahnhof und am Flughafen.“ Die Wohnung sieht ihren Bewohner selten.

Bach, Blues, Hardrock, Flamenco, Fado, Jazz, Latin Jazz, Weltmusik

Krengel tourt mit dem Flamenco-Gitarristen Rafael Cortes, als der ihn eines späten Abends im Hamburger Restaurant El Toro mit einem Überraschungsgast bekannt macht: Flamenco-Legende Paco de Lucía. Der Wirt ist so hingerissen von dem spontanen, improvisierten Konzert des weltberühmten, vor drei Jahren verstorbenen Andalusiers mit dem noch unbekannten Deutschen in seinem Laden, dass er an den folgenden Abenden ständig Krengels erste CD „Head, Heart & Hands“ auflegt.

Darauf enthalten ist auch die selbstbewusste achteinhalbminütige Interpretation von Oscar Petersons „Nigerian Marketplace“ und die spektakuläre Unplugged-Version von „Children“, dem von Techno-DJ Robert Miles komplett am Computer generierten Welthit. „Hören Sie sich das mal an, der Kerl spielt sogar das Echo auf seiner akustischen Gitarre“ wird der Wirt nicht müde, seinen Gästen vorzuschwärmen – unter ihnen eines Abends der Hamburger Musikproduzent Franz Plasa. Der Rest ist Geschichte.

Die musikalische Sozialisation des André Krengel in chronologischer Reihenfolge liest sich wie ein Parforceritt durch die Musikgeschichte: Bach, Blues, Hardrock, Flamenco, Fado, Jazz, Latin Jazz, Weltmusik. „Ich komme aus keiner Tradition“, sagt er. „Deshalb will ich keine Kultur nachäffen, sondern Neues schaffen durch die Beschäftigung mit Kontrasten. Ich will mit vielen Farben malen.“ Krengel passt in keine musikalische Schablone.

Ob vor oder in der Oper - Hauptsache berühren

Markttechnisch ist das vielleicht nicht besonders clever. „Ich weiß. Ist mir egal. Ich will berühren – egal ob in der Oper oder vor der Oper.“ Und was ihm an Disziplin fehlt, wie er selbstkritisch einräumt, macht er mit Leidenschaft wett. Wenn er zum Beispiel nachts mit einer im Schlaf entstandenen Idee aufwacht, springt er aus dem Bett, schnappt sich Gitarre und Smartphone und speichert die Idee.

Nur das letzte Stück der neuen CD stammt nicht aus seiner Feder. Vielleicht eine späte Erdung. „Ich bin wohl doch eine rheinische Frohnatur.“ Krengel fiel auf, dass „Mer losse dr Dom en Kölle“ von den Bläck Fööss dieselbe Harmoniestruktur wie Django Reinhardts „Tiger“ besitzt. Den Rest kann man sich denken. Aber Krengel wäre nicht Krengel, wenn in den 3:08 Minuten ultraschnellem Gypsie-Swing nicht auch noch ein bisschen Platz für Country und Bolero wäre. Und dann ist die CD immer noch nicht am Ende, dann gibt’s noch ein Outro zu hören: Die Musiker wechseln den Schauplatz, ziehen vom Studio in die nächste Eckkneipe.

Und? Zufrieden? „Ja“, sagt André Krengel ohne Zögern. „Ich bin zufrieden.“ Mit der CD sowieso, aber auch mit seinem Leben. Wer behauptet das schon heutzutage von sich?

Die neue CD „Beneath The Words“ kann man bei andre-krengel.com oder sonstwo im Internet bestellen, aber auch anfassen, kaufen und gleich mitnehmen bei Musik Baum an der Plittersdorfer Straße 11 in Bad Godesberg.

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