„The RCA & Arista Album Collection“ Neuauflagen von Lou Reeds Soloalben erschienen

Bonn · In der „The RCA & Arista Album Collection“ erscheinen 16 Soloalben von Lou Reed neu auf CD. Zudem erscheint eine Vinyl-Edition mit sechs LPs.

 Der legendäre Grantler konnte auch freundlich dreinschauen: Lou Reed 2007 in Sydney. FOTO: DPA

Der legendäre Grantler konnte auch freundlich dreinschauen: Lou Reed 2007 in Sydney. FOTO: DPA

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Die Bedeutung von Lou Reed (1942-2013) hat sein Freund und Kollege David Bowie 2013 auf eine prägnante Formel gebracht. „Er war ein Meister“, erklärte Bowie, der 1972 Reeds erstes Soloalbum „Transformer“ produziert hatte. Der Meister fand das auch. Dass Bowie der größere Star wurde, hat Reed irritiert. Rückblickend stellte er fest: „Warum haben die Leute soviel über Bowie geredet? Was hat er gemacht, das ich von ihm hätte lernen können?“

Lou Reed ist mit Hits wie „Walk On The Wild Side“ und „Perfect Day“ weltberühmt geworden. Gefürchtet war er für seine ohrenbetäubenden, rückkopplungsverliebten Klangexperimente und für seine, vorsichtig formuliert, raue Schale. Darunter verbarg sich möglicherweise ein sensibles Temperament – ganz sicher ist das allerdings nicht, auch wenn seine dritte Frau Laurie Anderson nicht müde wurde, diese Seite von ihm hervorzuheben.

Im Laufe seiner Karriere erzählte Reed von Strichern und Fixern, von Sadomasochismus, Nihilismus und Selbstmord. Danach vom schwierigen Beziehungsalltag, von individueller Desorientierung und der Liebe im Allgemeinen. Dabei ging es immer zur Sache. Faszinierend, dass unter all dem Psychoschutt, den Reed musikalisch ablud (zumal auf dem letzten, mit Metallica aufgenommenen Album „Lulu“) dann doch immer wieder Augenblicke von seltener Schönheit verborgen waren.

Lou Reed ist am 27. Oktober 2013 mit 71 Jahren an den Folgen einer Lebertransplantation gestorben. Im Juni und Juli des Jahres hat er im New Yorker Studio Masterdisk an der Übersetzung seiner 16 Soloalben für RCA und Arista Records in die zeitgemäßen Tonformate „hi-def“ und „Blu-ray Sound“ mitgearbeitet. Was Lou Reed und Kollegen geschafft haben, grenzt an Magie. Der Sound ist makellos.

„The RCA & Arista Album Collection“ umfasst 16 CDs, „The RCA & Arista Vinyl Collection, Vol 1“ sechs LPs. In der Vinyl-Box finden sich die Alben „Transformer” (1972), „Berlin” (1973), „Rock N Roll Animal” (1974), „Coney Island Baby” (1975), „Street Hassle” (1978) und „The Blue Mask” (1982).

Die musikalische Zeitreise im Studio ließ Reed nicht gleichgültig. Zwischen 1972 und 1986 hatte er für RCA und Arista Records Meilensteine der Popgeschichte geschaffen. Er brach bei der Arbeit an der Neuedition sofort in Tränen aus, wenn ihn die Schönheit einer Melodie oder Instrumentalpassage überwältigte, und zeigte seinem Produzenten und Freund Hal Willner sowie den Remastering-Gurus Vlado Meller und Rob Santos immer wieder seine Gänsehaut.

Todkrank oder nicht, Reed arbeitete fieberhaft an dem Projekt. Seine Lebensenergie, erinnerte sich Willner, sei grenzenlos gewesen, den nahenden Tod habe er nicht akzeptiert: „He still never wanted the night to end.“ Im Booklet, das der Vinyl-Edition beiliegt, sind Reaktionen von Lou Reed auf die Wiederbegegnung mit seiner Musik dokumentiert. „I Wanna Be Black“ vom Album „Street Hassle“ quittiert er mit den Worten: „Isn't that amazing? I mean there it actually is. I can't believe it. I lived long enough to hear it right.“ Im Fall von „Coney Island Baby“ greift er auf eine populärsprachliche Wendung zurück: „Oh man! What the fuck!“

Alben wie „Transformer“ (1972) und „Berlin“ (1973) gelten heute als epochal. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung entging vielen Kritikern das Potenzial. Steve Davis watschte 1973 im Magazin „Rolling Stone“ Reeds „Berlin“ ab: Ein solches Desaster, dass man dessen Schöpfer am liebsten physisch abstrafen würde. Man könne das düstere Album nur mit dem hilflosen Akt eines Mannes entschuldigen, der seine Karriere offenbar um jeden Preis zerstören wolle.

„Berlin“ war 1973 eine Metapher für eine hinfällige, gewalttätige, hoffnungslose Welt. Die Platte erzählt die Liebes- und Hassgeschichte zweier Junkies, Jim und Caroline. „Berlin“ streift Themen wie Kindesmissbrauch, Prostitution, Tablettensucht und (Carolines) Selbstmord. Musikalisch war das Unternehmen ehrgeizig und anspruchsvoll. Michael und Randy Brecker spielten Saxofon respektive Trompete, Chor und Streicher kamen zum Einsatz. Ein bisschen Jazz, ein bisschen Kurt Weill, eine dicke Spur Siebziger-Glamrock und Reeds gnadenlos schraddelnde Gitarre und unsentimentale Leierstimme erzeugten gespenstisch anmutende Effekte. Die gruselige Pop-Oper „Berlin“ strapazierte die Hörgewohnheiten des Publikums. Damals war Reed 31 Jahre alt.

Mit 65 hat der Musiker „Berlin“ wiederbelebt, und zwar im großen Stil. Gemeinsam mit dem Maler und Filmemacher Julian Schnabel erarbeitete er eine Bühnenshow mit auf eine Leinwand projizierten Filmausschnitten. In Düsseldorf stellten Reed und Band das Ergebnis 2007 im Konzert vor: ein unvergessliches Erlebnis. Reed und der Gitarrist Steve Hunter, der 1973 schon dabei war, feuerten Soundsalven ab und ließen die Gitarren gleichsam brennen. Reed und Hunter führten vor Ohren, welche extremen Gefühle ihr Instrument ausdrücken kann: Zärtlichkeit und Agonie. Und Grausamkeit. Die Zeile „When you're looking through the eyes of hate“ aus „Oh Jim“ wurde physisch erfahrbar; der Hass, von dem in dem Song die Rede ist, kroch dem Zuhörer regelrecht unter die Haut.

In all den morbiden Szenen, die der Abend ausbreitete, wurde immer wieder ein Lichtstrahl sichtbar: ein paradoxes Glückserlebnis. Der New London Children's Choir, Bläser und Streicher und die Sängerin Sharon Jones investierten viel Gefühl, hier gewannen selbst die leisen Töne emotionale Wucht.

Lou Reeds Musik lebt von Extremen, die er in musikalischen Dramen, Kurzgeschichten und Gedichten ausdrückt: in den lyrischen Fantasien von „Perfect Day“ und in den abgründigen Bildern von „Heroin“. In dem Song heißt es: „Heroin, it's my wife and it's my life“: die Droge als Lebenspartner.

In Bonn ist Reed mehr als einmal zu Gast gewesen. Am 29. Juni 2012 eröffnete er die erste Kunst!Rasen-Saison. Den Klassiker „Walk On The Wild Side“ ließ Reed im federleichten Swing-Gewand auftreten; das „Do Dodoo Do Dodoo“ der Background-Sängerin war hinreißend. Damit kontrastierten Reeds Gitarre und die unsentimentale Stimme, die viel Lebenserfahrung transportierte.

Meistens stand der Musiker da wie eine Statue, nahezu unbeweglich, aber permanent unter Strom. Ihm verdanken wir Juwelen wie „Sweet Jane“, „Sad Song“ und „Beginning To See The Light“. Sie im Konzert zu hören, war wie ein Geschenk.

Lou Reed: The RCA & Arista Album Collection. 16 CDs. – The RCA & Arista Vinyl Collection, Vol 1, sechs LPs. Sony/Legacy.

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