Film "Der weite Weg der Hoffnung" Netflix: Angelina Jolie erzählt Geschichte einer Überlebenden

Im Netflix-Film "Der weite Weg der Hoffnung" erzählt Angelina Jolie als Regisseurin und Produzentin die wahre Geschichte einer Überlebenden des Pol-Pot-Terrors in Kambodscha. Ein hartes Werk, das erschüttert.

 Angelina Jolie, ihr Sohn Maddox Jolie-Pitt und die Menschenrechtsaktivistin Loung Ung stehen bei Dreharbeiten am Set.

Angelina Jolie, ihr Sohn Maddox Jolie-Pitt und die Menschenrechtsaktivistin Loung Ung stehen bei Dreharbeiten am Set.

Foto: picture alliance / -/Netflix/dpa

Eine Nacht im Jahr 1976, eine armselige Hütte in Kambodscha: "Ich habe etwas", flüstert Sem Im Ung, der Vater, und greift in seine Jackentasche. Er holt eine Grille hervor, röstet sie über der Flamme, um die seine Familie hockt und reicht sie der kleinen Loung. Gierig verschlingt die Sechsjährige das Insekt.

Als sich draußen ein Schatten bewegt, schrecken die Eltern und die vier Kinder zusammen. In den ausgemergelten Gesichtern: die nackte Angst. Angst vor den Wächtern des Arbeitslagers, den brutalen, verblendeten Schergen der Roten Khmer.

Hunger und tödliche Gewalt: Es ist eine Schlüsselszene des erschütternden Films "Der weite Weg der Hoffnung", den Hollywood-Star Angelina Jolie für den Streamingdienst Netflix gedreht hat. An diesem Freitag startet das Werk in Deutschland. Es basiert auf der Autobiografie von Loung Ung, die den Leidensweg ihrer Familie zwischen 1975 und 1979 unter dem Titel "First they killed my father" beschrieben hat.

Es waren die Terror-Jahre des Pol-Pot-Regimes. Die Steinzeit-Kommunisten wollten das eigene Volk in eine klassenlose Agrargesellschaft zwingen, die sich selbst versorgen sollte. Für die Roten Khmer waren Ärzte, Künstler, Beamte nichts als feindliche Subjekte. Rund 1,7 Millionen Kambodschaner starben; sie wurden ermordet, erlagen Krankheiten, Hunger, Erschöpfung bei der Zwangsarbeit.

Loungs Vater ist Hauptmann der Regierungstruppen. Der Film beginnt mit dem Einmarsch der Roten Khmer in die Hauptstadt Phnom Penh, wo die Familie ein gutes Leben in einer großen Wohnung führt. Anfangs winken die Menschen den schwarz gekleideten Kämpfern noch zu. Doch dann ordnen die Roten Khmer die Evakuierung an und behaupten, die Amerikaner wollten die Stadt bombardieren.

In drei Tagen könne man wieder heimkehren. Auch Loungs Familie reiht sich in den Treck ein, zuerst mit Koffern auf einem Pickup, nach einigen Tagen nur noch mit dem, was sie auf dem Leibe tragen. Längst hat der Vater den sieben Kindern eingeschärft, dass sie ihre wahre Identität niemals verraten dürfen.

Film macht die Alltäglichkeit des Grauens begreifbar

Sie werden in ein Dorf gebracht, in dem sie, die Stadtbewohner, zur Feldarbeit gezwungen werden, Hunger leiden, Schläge erdulden, ideologische Schulungen über sich ergehen lassen müssen. Die Mutter färbt die Kleidung der Familie mit Holzkohle schwarz ein; aus Lautsprechern im Dorf schnarren Parolen: "Angkar ist unbesiegbar." Angkar, "die Organisation", Pol Pots Partei.

Eines Tages stehen zwei Soldaten vor der Hütte und fordern den Vater auf, sie zu begleiten. "Angkar braucht deine Hilfe, um eine Brücke zu reparieren", sagen sie. Einer hat einen Hammer am Gürtel stecken. Zehntausende ihrer Opfer haben die Roten Khmer an verborgenen Orten umgebracht, meist erschlagen, um Munition zu sparen. Auch Loungs Vater, ein gütiger, stiller Mann, weiß genau, dass er seine Familie nicht wiedersehen wird. "Zeig' ein mutiges Gesicht für die Kinder", raunt er seiner Frau zum Abschied zu.

Und die Tropensonne scheint auf smaragdgrüne Reisfelder und üppige Palmen herunter, als wäre nichts geschehen.

Es ist die Stärke des Films, dass er die Alltäglichkeit des Grauens begreifbar macht. Es gibt kaum Dialoge; fast dokumentarisch zeigt er die Ereignisse aus der Perspektive des kleinen Mädchens Loung, gespielt von Sreymoch Sareum, die Jolie in einem kambodschanischen Armenviertel gecastet hat.

Loung landet allein in einem Ausbildungscamp für Kindersoldaten der Roten Khmer, doch sie überlebt. Als die Vietnamesen das Land befreien, findet sie ihre Geschwister wieder. Die Eltern aber bleiben für immer verschwunden. Verwandte holen Loung in die USA, wo die Menschenrechtsaktivistin noch heute lebt.

Sie kennt Angelina Jolie seit Jahren. Die Schauspielerin, engagiert als Botschafterin des UN-Flüchtlingskommissars, besitzt ein Anwesen in Kambodscha. Ihr Adoptivsohn Maddox stammt aus dem Land. Das Drehbuch zum Film haben Jolie und Ung gemeinsam geschrieben. "Es ist Angelinas Geschenk an das Land", sagte die Autorin in einem Interview.

Die Regisseurin selbst nennt das Werk einen "Liebesbrief" an die Kambodschaner. "Wenn du nichts über Kambodscha weißt und siehst diesen Film, wirst du sagen: Das sind wirklich interessante Menschen, ihre Kultur, ihre Wurzeln, ihre Persönlichkeiten, ihr Humor."

Dreharbeiten halfen bei der Verarbeitung des Traumas

Jolie hat "Der weite Weg der Hoffnung" in der Landessprache Khmer gedreht. Er könnte vielen Überlebenden helfen, das unbewältigte Trauma endlich zu verarbeiten. Tief sitzende Ängste, mit denen Kambodschas Regierungschef Hun Sen geschickt zu spielen versteht. Der Autokrat ist seit drei Jahrzehnten an der Macht und droht offen, "Umsturzversuche" mit militärischer Gewalt zu unterbinden. Nächstes Jahr stehen Wahlen an.

Ein großer Teil Menschen leide noch immer körperlich und seelisch unter den Folgen der Terror-Jahre, sagte Youk Chhang, der Leiter des Documentation Center of Cambodia, dem GA. Er hat mit seinen Unterstützern Zehntausende von Verbrechen recherchiert und archiviert.

Mit diesen Akten arbeitet auch das internationale Tribunal in Phnom Penh, das seit Jahren über frühere Top-Kader der Roten Khmer zu Gericht sitzt, aber erst drei verurteilt hat. Der Film sei eine "große Leinwand für das große Desaster der Roten Khmer", findet Chhang. "Er ist auch ein Dialog-Angebot an die ganze Welt."

In einer Szene am Ende des Films schlägt ein aufgebrachter Mob auf einen gefangenen Roten Khmer ein. Unter den Statisten, so erzählte es Jolie nach den Dreharbeiten, waren auch überlebende Opfer. Man habe ihnen gestattet, in dieser Szene ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Für den Schauspieler Sophy Hun, der den Roten Khmer gab, war das hart. "Ich wollte diese Story weder hören noch wissen", sagte er später. "Aber wir müssen uns erinnern und dürfen dieses Regime niemals vergessen."

Mehr Informationen über Loung Ung: www.loungung.com

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