„The Irishman“ So ist Martin Scorseses neuer Film

Bonn · Martin Scorseses Mafiafilm „The Irishman“ ist ein episches und selbstkritisches Alterswerk. Robert De Niro spielt einen Auftragskiller, der desillusioniert auf sein Leben zurückblickt.

 Wie gemalt von Edward Hopper: Joe Pesci (links) als Russell Bufalino und Robert DeNiro als Frank Sheeran.

Wie gemalt von Edward Hopper: Joe Pesci (links) als Russell Bufalino und Robert DeNiro als Frank Sheeran.

Foto: dpa/-

Seit jeher ist das amerikanische Kino fasziniert vom organisierten Verbrechen, und Martin Scorsese hat mit „Mean Streets“ (1973) und „Goodfellas“ (1990) Meilensteine im Genre des Mafiafilms gesetzt. Nun fügt der 77-jährige Altmeister mit „The Irishman“ einen weiteren hinzu. Ganze dreieinhalb Stunden dauert das Werk, das von dem Streaming-Dienst Netflix produziert wurde. Man kann nicht behaupten, dass diese exorbitante Laufzeit im Flug vergeht.

Aber spätestens nach einer hal­ben Stunde groovt man sich ein auf das überraschend gelassene Tempo, in dem die abenteuerliche Karriere eines Auftragsmörders bis zum bitteren Ende im hohen Alter durchdekliniert wird. Der Mann heißt Frank Sheeran (Robert De Niro), und er ist der einzige Ire im italienischen Mafiakartell, das Philadelphia, Pittsburgh und Detroit kontrolliert. Der Weltkriegsveteran, der im Italienfeldzug das Töten gelernt hat, verdingt sich als Lastwagenfahrer und kutschiert Rinderhälften durch die Gegend, von denen er einen Großteil unter der Hand verschwinden lässt. Bei einer Panne lernt er an der Tankstelle den Mobsterboss Russell Bufalino (Joe Pesci) kennen, der schon bald Gefallen an der stoisch-kriminellen Entschlusskraft des Iren findet. Allmählich klettert Sheeran in der Hierarchie des Clans nach oben und wird zum Sonderbeauftragten, der die Ermordung unliebsamer Kunden und Konkurrenten schnell und diskret erledigt. Schließlich wird er an den legendären Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa (Al Pacino) als Leibwächter und Problemlöser vermittelt.

„The Irishman“ beschreibt die Zeitgeschichte der 1960er Jahre

Hoffa, so berichtet Franks Erzählerstimme aus dem Off, sei damals ein Star gewesen und nach dem Präsidenten der mächtigste Mann im Land. Und mit Hoffa wird auch „The Irishman“ in die wendungsreiche Zeitgeschichte der 1960er Jahre eingebettet. Denn die Mafia mischt auch im politischen Geschehen kräftig mit und befördert nach eigenem Bekunden John F. Kennedy an die Macht. Der neue Präsident, so die Abmachung, soll den Sozialisten Castro aus Kuba verjagen, damit die Mafia dort wieder ihre Casinos betreiben kann. Immer mit dabei, wie einst Woody Allens „Zelig“, ist Frank Sheeran, der einen Lastwagen voller Waffen nach Miami bringt, wo die Invasion in der Schweinebucht vorbereitet wird. Die misslungene Militäroperation ist der Mafia genauso ein Dorn im Auge wie die Politik des neuen Justizministers Bobby Kennedy, der gegen das organisierte Verbrechen vorgeht und schließlich auch Hoffa wegen Betrugsdelikten hinter Gitter bringt. Als Hoffa 1971 auf Bewährung entlassen wird, will er wieder auf den Gewerkschaftsthron. Die Mafia hat sich jedoch inzwischen mit seinem Nachfolger gut arrangiert. Aber Hoffa ist ein sturer Kerl und droht, unliebsame Geheimnisse preiszugeben.

Als enger Vertrauter des Gewerkschafters gerät Frank in Loyalitätskonflikt mit seinen eigentlichen Auftraggebern. Erzählt wird das Ganze in einer Rückblende. Wie einst „Goodfellas“ beginnt auch „The Irishman“ mit einer mehrminütigen Kamerafahrt. Aber hier geht es nicht durch die Küche in einem mondänen Nachtclub, sondern durch die Flure eines wenig glamourösen Altersheims, in dem schließlich Frank als Erzähler im Rollstuhl etabliert wird. Auf diese Zeitebene kehrt Scorsese im letzten Filmviertel zurück, und hier spielt sich nach all den abenteuerlichen Erzählungen das eigentliche Drama ab. Denn das, was dem Publikum als Legende vorgeführt wurde, ist aus der Perspektive eines Mannes, der dem natürlichen Tod ins Auge blickt, eigentlich nur ein verpfuschtes Leben.

„The Irishman“ läuft auf Kinoleinwand in der Brotfabrik in Bonn

Von all den Männern, denen Frank in enger Verbundenheit loyal gedient hat, ist keiner mehr übrig geblieben. Seine Tochter (Anna Paquin) spricht mit ihm seit dem „Verschwinden“ Hoffas kein Wort mehr, und als der Priester ihn fragt, ob er Reue empfinde, zuckt Frank nur ratlos mit den Schultern. Zu lange schon hat er sich und seine Taten von den eigenen Gefühlen abgekoppelt, um irgendeine moralische Empfindung generieren zu können. Mit subtiler Konsequenz dekonstruiert Scorsese die cinegenen Mafiamythen, an deren Herausbildung er selbst in seinem filmischen Werk mitgewirkt hat. Sein „Irishman“ ist ein ebenso episches wie selbstkritisches Alterswerk, vor dessen ruhiger, nachdenklicher Kraft man den Hut ziehen muss.

„The Irishman“ startet am 27. November bei Netflix. Das Privileg der großen Leinwand bieten das Kino in der Brotfabrik am 30. November sowie das Rex am 1. und 3. Dezember.

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