Frontmann von "Echt" als Regisseur Kim Franks grandioser Debütfilm "Wach" auf Youtube

Bonn · Zwischen Rausch und Wahnsinn: Der Youtube-Langfilm "Wach" begibt sich gemeinsam mit seinen Protagonistinnen auf eine holprige Suche nach Identität. Gedreht wurde er vom einstigen "Echt"-Frontmann Kim Frank.

 Tage und Nächte ohne Schlaf: Nike (Alli Neumann) und Carlotta (Jana McKinnon).

Tage und Nächte ohne Schlaf: Nike (Alli Neumann) und Carlotta (Jana McKinnon).

Foto: ZDF/Clara Nebeling

Unablässig wird über diese Generation geschrieben und geurteilt. Verloren sei sie im blinden Konsumrausch, abhängig von Social Media und stets auf der Suche nach Bestätigung. Es sind die immer gleichen Beschwörungen, die mit erhobenem Zeigefinger den drohenden Absturz der Jugend von heute vorausahnen. Doch nun gibt es da einen Film, der die Generation Z mit ihrer ganz eigenen Stimme sprechen lässt. Ein Film, der nicht von außen beurteilt, sondern mitten hineinzieht in das Gefühlschaos der jungen Erwachsenen: „Wach“ begibt sich gemeinsam mit seinen Protagonistinnen auf eine holprige Suche nach Identität.

Das Drama, das komplett auf Youtube zu sehen ist, handelt von zwei jungen Frauen, Nike und Carlotta, die aus ihrem Alltag ausbrechen wollen, indem sie so lange wie nur irgend möglich wach bleiben. Es ist ein Wettkampf gegen die Zeit, den die beiden 17-Jährigen mit ihrer Digitalkamera festhalten. Beginnen sie ihre Rebellion gegen den Schlaf zunächst im lieblos eingerichteten Zimmer von Nike, so zieht es sie irgendwann hinaus in die regnerische Nacht zwischen Pornokino, Technoclub und Strand am Meer, wo sich ihr Experiment unweigerlich zum wahnsinnigen Rausch wandelt – und das, obwohl die Freundinnen bewusst auf Drogen und Alkohol verzichten.

Bereits hundertausendfach angesehen

Gedreht wurde dieser Film von Regisseur Kim Frank, einst Frontsänger der Teenieband „Echt“, die in den 1990er Jahren ihre Erfolge feierte. Nach einer Karriere als Schülerstar drehte Frank mehr als 90 Musikvideos, bis er sich im September 2016 dazu entschied, einen Langfilm für Youtube zu entwickeln. Das Drehbuch soll der 36-Jährige, passend zur Thematik, selbst innerhalb von fünf schlaflosen Nächten geschrieben haben. Unterstützt wurde die Produktion von „funk“, dem audiovisuellen Onlineangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Seit knapp zwei Wochen steht „Wach“ nun auf Youtube und wurde bereits hundertausendfach angesehen. Bemerkenswert ist dieser Film geworden, Milieustudie und Coming-of-Age-Drama zugleich. Die Sprache, die Frank seine Antiheldinnen dabei inmitten von trostlosen Plattenbauten verwenden lässt, ist derbe. Da wird geflucht, verbal verletzt und keine Rücksicht auf Verluste genommen. Es bleibt nicht der geringste Zweifel daran, dass hier zwei junge Frauen einem Alltag entfliehen, in dem sie ohnehin nicht mehr viel zu verlieren haben.

Als Nike (Alli Neumann) und Carlotta (Jana McKinnon) zum ersten Mal nach dem Sinn ihres selbstverordneten Schlafentzugs gefragt werden, lautet die simple Antwort: „Weil wir es können. Weil uns niemand davon abhalten kann“. Es geht um Selbstermächtigung, darum, sich abzugrenzen. Sie wollen aufwachen, fühlen sich taub – und das, obwohl diese Welt vor blinkenden, quäkenden und surrenden Angeboten doch beinahe überzuquellen scheint. „Ich will irgendwas fühlen. Irgendwas. Nur nicht nichts“, sagt Carlotta gleich zu Beginn des Films.

Eine verstörende Reizüberflutung

Durchaus verstörend überträgt sich diese gefühlte Reizüberflutung unmittelbar auf den Zuschauer. In schneller Montage rasen die Bildschnipsel vorbei, zeigen mal die jungen Frauen, mal Fundstücke aus den sozialen Netzwerken, mal die bedrohliche Nachtwelt einer anonymen Großstadt. Es ist eine ungewohnte, gar unangenehme Filmästhetik, welche die Botschaft des Werkes jedoch nicht besser transportieren könnte.

Doch wer ist verantwortlich für den überheblichen Ausbruch der Freundinnen, wer für ihre Einsamkeit? Der Vater, der nie zuhause ist? Die Mutter, die lediglich Geldscheine auf dem Couchtisch im Wohnzimmer hinterlegt? Oder gar die Gesellschaft, der in diesem Film verdorbene Werte vorgehalten werden? „Wach“ wirft unbequeme Fragen auf, ohne deren Antworten geben zu wollen, skizziert Probleme ohne Lösungen, schlichtweg: eine Rebellion ohne Ausweg.

Die Stimme der Generation Z ist laut in diesem Film, getragen wird sie von dem außergewöhnlichen Schauspiel der Hauptdarstellerinnen. Geraten deren Dialoge anfänglich mitunter noch recht dünn, so gelingen ihnen später mitreißende Gefühlsausbrüche. Äußerst intensiv verkörpern sie die Intimität der rebellischen Freundinnen, die inmitten des Chaos pausieren, sich verzweifelten Halt geben und versichern, dass sie, wenn sie doch sonst nichts im Leben haben, wenigstens noch das Eine besitzen: ihre bedingungslose Freundschaft. Und für die lohnt es sich, wach zu bleiben.

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