Walter Ullrich mit letzter Premiere Keine Tränen bei "Monsieur Henri" im Kleinen Theater

Bonn · Mit „Frühstück bei Monsieur Henri“ hat Walter Ullrich seine letzte Premiere im Kleinen Theater Bad Godesberg absolviert. Natürlich erfolgreich.

 Der alte Mann und das Gör: Walter Ullrich und Eva Wiedemann.

Der alte Mann und das Gör: Walter Ullrich und Eva Wiedemann.

Foto: Friedhelm Schulz

Tränen sind nicht geflossen, weder auf der Bühne noch im Parkett. Aber ein Gefühl der kollektiven Rührung war hier wie dort spürbar, als Walter Ullrich, seine Schauspielerkollegen und das Team der Inszenierung von „Frühstück bei Monsieur Henri“ zum Schlussapplaus gemeinsam auf der Bühne des Kleinen Theaters standen. Das Publikum feierte die geglückte „Henri“-Inszenierung in dem Bewusstsein, Zeuge einer Zäsur geworden zu sein. Walter Ullrich, Regisseur und Hauptdarsteller, hatte seine letzte Premiere im Kleinen Theater absolviert. Man merkte ihm an, dass dies kein erster Abend war wie alle anderen. Aber mehr als eine Ahnung seines Seelenzustands ließ der Bühnenprofi Ullrich nicht zu.

Ivan Calbéracs Stück „L'Étudiante et Monsieur Henri“ – so der Originaltitel – ist durch die Verfilmung mit Claude Brasseur und Noémie Schmidt berühmt geworden. Das Drama erzählt keine originelle, aber eine effektvolle Geschichte. Es variiert das Thema „Der alte Mann und das Gör“ am Beispiel zweier ganz unterschiedlicher Persönlichkeiten.

Schwiegervater gegen Schwiegertochter

Der Witwer Henri nimmt die Studentin Constance (Eva Wiedemann) als Untermieterin auf. Weil er seine Schwiegertochter Valérie (Isabella Nagy) nicht ausstehen kann und seinen Sohn verachtet („Mein Sohn ist ein Idiot“), will er Constance motivieren, Valérie ihren Paul (Wolf-Guido Grasenick) auszuspannen; dafür muss sie sechs Monate keine Miete zahlen. Constance lässt sich auf den Deal ein. Sie ist, anders als der Vorname nahelegt, alles andere als standhaft und in sich ruhend. Eine junge Frau auf der Suche, die in Prüfungen regelmäßig versagt.

Auf Anita Rask-Nielsens Bühne, die Henris Lebens- und Grantlmittelpunkt mit Esstisch, Bücherregal und Klavier möbliert, tritt Constance gleich in einen riesigen Fettnapf: Sie erinnert Henri an seine verstorbene Frau. Ihr Tod ist ein bis in die Gegenwart nachwirkendes Trauma. Ullrich schnappt nach seiner Untermieterin wie ein aggressiver Hund. Doch Wiedemann, die als Constance frischen Wind ins Leben des alten, kranken Mannes bringt, bietet ihm Paroli.

Der Theaterabend lebt von Kontrasten und Konflikten zwischen einem Mann am Ende des Lebens und einer Frau mit Zukunft. Den komödiantisch verpackten Antagonismen wohnt dabei ein ernster Kern inne. Ullrich verkörpert den latent lebensmüden Intriganten Henri mit minimalistischen Mitteln, fast lakonisch. „Immer noch nicht tot, tut mir leid“, vermeldet er giftig, als die Schwiegertochter zu Besuch erscheint. Umso wirkungsvoller seine Verwandlung in den Mann, der seine zarten, großväterlichen Gefühle für Constance nur mit viel Selbstdisziplin unterdrücken kann.

Selbstzweifel und Zukunftsangst

Eva Wiedemann offenbart alle Facetten ihrer Figur: mädchenhafte Unbekümmertheit und Wagemut ebenso wie Selbstzweifel und Zukunftsangst.

Zur Dynamik des Bühnenpersonals tragen Isabella Nagy und Wolf-Guido Grasenick bei. Valérie erscheint zunächst als Verklemmtheit auf zwei Beinen, die Sätze sagt wie „Ich liebe Humor, vor allem, wenn er komisch ist“ und afrikanische Einsichten reproduziert: „Langsam biegt sich die Banane.“ Doch sie nimmt wie Paul unverwechselbare Züge an, als ihrer beider Ehe auf dem Spiel steht. Grasenick emanzipiert sich vom naiven Blödmann, der sich gern von der provokant gekleideten Constance (Kostüme: Sylvia Rüger) einwickeln lässt, zu einem Mann mit Haltung und Prinzipien.

Am Ende, das happy und unhappy zugleich ist, gehen die großen Themen, die das Stück vor allem spielerisch behandelt hat, dem Publikum richtig nahe. Die Schlussszene, in der Ullrichs Henri nur mehr als Stimme gegenwärtig ist, erreicht auch hartgesottene Gemüter.

Danach feiert das Publikum die Produktion und ihre Protagonisten – gerührt, aber ohne Tränen. Das hat Zeit bis Juni 2019, wenn Walter Ullrich zum letzten Mal auf der Bühne seines Kleinen Theaters stehen wird.

Weitere Vorstellungen: Bis 21. Oktober im Kleinen Theater, Koblenzer Straße 78. Karten: 02 28/36 28 39

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