Kultur in Deutschland Interview mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Düsseldorf · "Kultur der Muslime ist eine Bereicherung für Deutschland“, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Im Interview spricht sie über Rückgabe von Beutekunst, den Spatenstich fürs Einheitsdenkmal und die jüngsten Sarrazin-Thesen.

Wir haben den Eindruck, dass das Amt der Kulturstaatsministerin deutlich politischer geworden ist als je zuvor.

Monika Grütters: Das ist so. Allerdings ist nicht „das Amt“ allein politischer geworden, die Gesellschaft hat sich ebenfalls so verändert, dass die Kultur für unser Zusammenleben eine immer größere Bedeutung bekommt. Es geht dabei um die Anerkennung der Vielfalt - als Gewinn. Kultur ist für die Integration ein in jeder Hinsicht sehr taugliches und notwendiges Instrument. Auch deswegen muss man das Amt der Kulturstaatsministerin beim Bund inzwischen sehr politisch begreifen.

Ist das Amt auch durch Sie politischer geworden?

Grütters: Ich habe natürlich einen großen Ehrgeiz, genau diese Rolle auch zu kommunizieren und zu vertreten. Also: Einerseits hat sich die Gesellschaft stärker zur Kultur hin entwickelt; andererseits versuche ich, durch meine Aufgabenerfüllung den grundsätzlichen identitätsstiftenden Charakter der Kultur herauszustellen. Kultur ist eben keine Milieu-Frage mehr - sie wurde ja lange so begriffen, eher als eine Art bildungsbürgerliche Attitüde. Tatsächlich ist sie heute der Modus unseres Zusammenlebens. Deutschland als Kulturnation ist für unser Gemeinwesen mehr als nur ein Etikett.

Haben Sie eine Idee, wie die Kulturnation Deutschland vorangehen könnte?

Grütters: Das fängt schon damit an, dass wir in Europa den Wert des Urheberrechts verteidigen. Das klingt banal, aber das Recht auf geistiges Eigentum ist eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften der westlichen Welt. Menschen, die geistige Leistungen erbringen, müssen davon leben können. Verstärkte politische Bildung und Medienerziehung in den Familien und in der Schule sind ebenso notwendig.

Auch Künstler beteiligen sich an einer Verschiebung der Thesen und Provokationen nach rechts. Macht Ihnen das Sorge?

Grütters: Künstler haben immer auch provoziert. In Deutschland erreicht man mehr Aufmerksamkeit, wenn man nach rechts ausholt, als wenn man es links versucht. Aber gerade prominente und intellektuelle Protagonisten des kulturellen Lebens haben eine große Verantwortung, mit der Sprache und den Inhalten besonders pfleglich umzugehen. Sie sind Vorbilder und Türöffner, sie prägen Denkweisen und Begriffe. Deshalb ist es so fatal, mit Begriffen wie „Flüchtlingswelle“ oder „Asyltourismus“ gezielt oder auch einfach nur gedankenlos um sich zu werfen und zu suggerieren, es gebe hier einfache Lösungen. Gerade Intellektuelle sollten sich ihrer Verantwortung für differenzierte Auseinandersetzungen mehr denn je bewusst werden.

Für wie gefährlich halten Sie die anti-israelische BDS-Bewegung?

Grütters: Ganz abgesehen davon, dass ich hier weder das Ziel teile noch den Boykott als Instrument für tauglich halte. Der BDS-Organisation werfe ich vor allem vor, dass sie Künstler systematisch für ihre Ziele instrumentalisiert und Dialog unmöglich macht. Die Grenze zwischen der Kritik an Israel und einer antisemitischen Haltung ist fließend. Das ist ja die neue Gefahr: Dass man sich hinter der Israel-Kritik verschanzt und sich eine latent antisemitische Gesinnung gönnt. Ich betreibe hier keine Gesinnungszensur; und wir tun als Politiker auch gut daran, politische Überzeugungen von Künstlern nicht zu bewerten, wenn es um ihre Kunst geht. Denn die Autonomie der Kunst ist ein sehr hohes Gut. Aber ich erlaube mir Kritik, wenn solche Trends etwa Musikfestivals zerstören, indem zum Boykott von Konzerten mit israelischen Künstlern aufgerufen wird.

Der französische Staatspräsident Macron ließ aufhorchen, als er ankündigte, dass in den nächsten fünf Jahren alle unrechtmäßig erworbenen Kunstwerke aus den Kolonien an die Herkunftsländer zurückgegeben werden sollen.

Grütters: Moment! Richtig ist, dass er Vorschläge einfordert, wie man temporär oder dauerhaft Kulturgut aus kolonialen Kontexten an die entsprechenden Herkunftsstaaten und -gesellschaften zurückgeben kann.

Dennoch ist es ein Aufruf, das Problem von Raubkunst aus den Kolonien in der Gesamtheit zu betrachten und nicht nur über viele Einzelfälle in den einzelnen Sammlungen zu entscheiden wie hierzulande.

Grütters: Ich wundere mich über diese Wahrnehmung, weil Deutschland in diesem Punkt in einigen Bereichen bereits viel weiter ist als Frankreich! Frankreich hat natürlich auch mit seiner Kolonialgeschichte eine ganz andere Dimension als Deutschland in den Blick zu nehmen. Wir haben schon in den vergangenen zwei Jahren unter Federführung des Deutschen Museumsbundes einen Leitfaden zum Umgang mit diesen Kulturgütern erarbeiten lassen. Diese Handlungsempfehlungen sind auch ausdrücklich mit Blick auf und aus den Herkunftsstaaten und -gesellschaften zusammengestellt worden. Der Leitfaden ist ja kein Selbstzweck, sondern dient der Verständigung und gemeinsamen Forschung; es geht dabei auch um Respekt und um Anerkennung des Leids aus dieser Zeit. Man muss nun im Rahmen der Provenienzforschung prüfen, wie die Objekte in hiesige Sammlungen kamen. Es gab damals auch die klassischen Tauschgeschäfte, es gab Geschenke und Handel. In den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden sich zum Beispiel unzählige Speere, die gar niemand zurückhaben möchte.

Also ist die Rückgabe selbst von Raubkunst nicht immer richtig ...

Grütters: Ja. Raubkunst sollte grundsätzlich immer zurückgegeben werden. Manche Herkunftsländer sind aber auch stolz darauf, dass ihre Kulturgeschichte hier bei uns mit Respekt gezeigt und erzählt wird. Solche Fälle sollten die Museen mit den Gesellschaften vor Ort mit Respekt und auf Augenhöhe rücksichtsvoll besprechen.

Stichwort Humboldt Forum: Vor dem Schloss soll das Freiheits- und Einheitsdenkmal (FED) entstehen. Warum dauert das so lange?

Grütters: Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir nicht nur den Abgründen unserer jüngeren deutschen Geschichte Denkmäler widmen sollten, sondern auch angemessen an die Höhepunkte und unsere Freiheitstradition erinnern wollen. Ein Grund für die lange Verzögerung beim FED ist die Frage, ob eine große Waage das richtige Zeichen für die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung ist und ob der Standort neben dem Stadtschloss als der bestgeeignete erscheint. Nachdem der Deutsche Bundestag nun aber dreimal darüber abgestimmt hat, setzen wir alles daran, dass das Denkmal „Bürger in Bewegung“ nun endlich auch realisiert wird. Sonst wird daraus nichts mehr: Jetzt oder nie.

Bis wann könnte es stehen?

Grütters: Etwa 24 Monate nach dem ersten Spatenstich, nach Auskunft der Firma Milla & Partner. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls ist es also zu spät. Wenn wir es jetzt schnell hinbekommen, hätten wir das Denkmal aber zumindest zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Das ist mein Ziel. Zunächst muss jetzt aber der Haushaltsausschuss des Bundestags die Mittel für das Denkmal freigeben und das Land Berlin die Baugenehmigung verlängern. Die Finanzierung von der Unterzeichnung des Grundstücksvertrags abhängig zu machen – sie ist im Übrigen im August vollzogen worden –, wirkte seitens des Ausschusses auf mich vorgeschoben, um das Projekt auf den letzten Metern doch noch zu verhindern. Dann soll man das aber auch offen sagen und sich nicht immer neue Verzögerungen ausdenken. Wir sollten jetzt den ersten Spatenstich in diesem Herbst zügig vollziehen.

Thilo Sarrazin erregt Aufsehen mit seinem Islam-Buch. Gehört der Islam zur deutschen Kultur?

Grütters: Die hier lebenden Muslime gehören auch mit ihren kulturellen Bedürfnissen und Artikulationen zu Deutschland. Deshalb können sie hier auch Moscheen bauen, und deshalb beziehen wir sie in unsere gewachsene Kultur natürlich auch mit ein. Ich empfinde sie in weiten Teilen auch als Bereicherung. Dazu gehört dann aber auch, dass ich sehr selbstbewusst das Kreuz auf der Kuppel des Humboldt Forums verteidige und es begrüße, dass die einschlägigen muslimischen Verbände dies ebenfalls unterstützen. Wer sich seiner eigenen Identität sicher ist, kann dem Anderen, sogar dem Fremden, Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen. Diese Toleranz macht uns beide stärker und zeigt: Überall auf der Welt verbindet uns mehr, als uns trennt.

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