75 Jahre "Casablanca" Hollywoods Kampf gegen die Nazis

Vor 75 Jahren feierte „Casablanca“ Premiere. Ganz unamerikanisch wurden für das höchst politische Liebesdrama 16 der 20 größeren Rollen mit europäischen Schauspielern besetzt – in der Mehrzahl Emigranten, die vor Hitler geflohen waren. So ist „Casablanca“ auch ein Meisterwerk deutscher Schauspielkunst.

 Eine Liebe ohne Chance: Humphrey Bogart und Ingrid Bergman.

Eine Liebe ohne Chance: Humphrey Bogart und Ingrid Bergman.

Foto: picture alliance / dpa

Der Trick ist nicht neu, aber immer wieder amüsant. Der amerikanische Journalist Chuck Ross tippt 1982 fein säuberlich das Drehbuch eines Kinoklassikers ab und schickt es unter dem Titel „Everybody comes to Rick’s“ an die Agenturen im Lande. 85 davon antworten – 33 immerhin erkennen, womit sie hereingelegt werden sollen, aber 38 lehnen das Angebot rundweg ab.

Die Kommentare sind wenig schmeichelhaft: „Dünne Handlung. Zu viel Dialog. Zu wenig Höhen und Tiefen. Der Stoff ist generell uninteressant.“ Das Skript, das Ross zur Prüfung verschickt hatte, war das von „Casablanca“, 1944 mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Dazu gab’s weitere Oscars als bester Film und für die beste Regie.

Der Erfolg, das weiß man, hängt halt oft von Zufällen ab – und von der Terminierung. Am 8. Dezember 1941 geht bei der Filmgesellschaft Warner Brothers ein Drehbuch ein, das auf dem Theaterstück „Everybody comes to Rick’s“ von Murray Burnett und Joan Allison basiert. Keine Bühne wollte das Stück spielen, jetzt versucht es das Duo beim Film und findet in Studiolektor Stephen Karnot einen begeisterten Leser.

„Ausgezeichnetes Melodram“, notiert Karnot in seinem Exposé, „farbiger, hochaktueller Hintergrund, sentimental, aber raffiniert. Hat das Zeug zum Kassenschlager.“ Aus „Everybody comes to Rick’s“ wird unter Hilfe etlicher versierter Studio-Autoren das Drehbuch zu „Casablanca“.

180 Anti-Nazi-Filme aus Hollywood

Der 8. Dezember 1941 ist vor allem freilich der Tag, an dem die Vereinigten Staaten Japan nach dem verheerenden Angriff auf Pearl Harbor den Krieg erklären. Hitler antwortet drei Tage später mit der Kriegserklärung an die USA. Die Zeit des amerikanischen Isolationismus ist vorbei, die Hoffnung, sich aus dem europäisch-asiatischen Kriegsgeschehen heraushalten zu können, hat sich als trügerisch erwiesen.

Auch Hollywood will und muss seinen Beitrag zum Kampf gegen Nazi-Deutschland leisten: Bis 1945 werden an die 180 sogenannte Anti-Nazi-Filme gedreht, „Casablanca“ ist einer davon. Die Dialoge lassen keinen Zweifel an der Haltung aufkommen. „Mein lieber Rick“, sagt in einer Szene Signore Ferrari, der auf dem Schwarzmarkt mit Visa handelt, „wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist?“

Film und historische Wirklichkeit sind eng miteinander verwoben. Am 10. November 1942 besetzen amerikanische Soldaten die Stadt Casablanca, am 26. November 1942 wird im Hollywood Theatre von New York der Film „Casablanca“ uraufgeführt. Es ist ein Film, der so recht in keine Schublade passen will: Er ist Romanze, Melodram, Liebesfilm, Abenteuerfilm, Propagandafilm, Agentenfilm, in seinen pointierten Dialogen, die den Film aus jeder Kitsch-Ecke reißen, auch ein wenig Komödie.

Der italienische Schriftsteller und Philosoph Umberto Eco, der sich ausführlich mit „Casablanca“ beschäftigt hat, notiert: „Casablanca ist nicht ein Film, sondern viele Filme.“ In den Ranking-Listen des American Film Institute taucht „Casablanca“ in vielen Kategorien auf, unter anderem als bester Liebesfilm aller Zeiten, noch vor „Vom Winde verweht“ und der „West Side Story“.

In "Rick’s Café Americain“ treffen sich alle

„Casablanca“ erzählt eine gefühlsreiche und politisch aufgeladene Dreiecksgeschichte in Zeiten des Krieges. Die von Franzosen besetzte und verwaltete Stadt in Marokko, in der die mit Hitler kollaborierende Vichy-Regierung das Sagen hat, ist Wartesaal und Hoffnungsort für all jene, die vor dem Nazi-Regime geflohen sind und nun darauf hoffen, ein Transit-Visum für den Flug nach Lissabon zu bekommen, um von dort aus Amerika zu erreichen. Im Nachtclub „Rick’s Café Americain“ treffen sich alle: die Geflüchteten und Gestrandeten, die kleinen Diebe und die großen Geschäftemacher, die Verzweifelten und die Hoffnungsvollen, die Unterdrücker und die Unterdrückten.

Clubbesitzer Rick Blaine, ein Amerikaner, der im Lauf der Zeit zum desillusionierten Zyniker geworden ist, wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert.Er begegnet seiner großen Liebe wieder, der schönen Ilsa Lund. Die ist mit ihrem Ehemann, dem tschechischen Widerstandskämpfer Victor Laszlo, auf der Flucht vor den Nazi-Schergen. Rick verfügt über die nötigen Verbindungen, um die nötigen Visa zu beschaffen. Die alte Leidenschaft zwischen Rick und Ilsa flammt wieder auf, am Ende freilich steht Entsagung: Rick schießt dem Ehepaar den Weg in die Rettung frei.

Das war ein Stoff, wie ihn Amerika brauchte. „Die Botschaft des Films war“, sagt Howard Koch, einer der Drehbuch-Autoren, „dass es sich lohnt, Opfer zu bringen.“ Hollywood findet für das Verzicht-Melodram mit Humphrey Bogart, Ingrid Bergman und Paul Henreid eine hinreißende Besetzung: Bogart, der harte Typ mit dem weichen Kern, Bergman, die Schöne mit dem unwiderstehlich sehnsuchtsvollen Blick, Henreid, der aufrechte Held des Widerstands. Dazu kommt der unvergleichliche Brite Claude Rains als Casablancas ebenso korrupter wie charmanter Polizeichef. Am Ende des Films befördert er eine Flasche Vichy-Mineralwasser symbolträchtig in den Papierkorb.

Regie führt Michael Curtiz, er gilt als unerbittlicher und äußerst präziser Fließbandarbeiter. „Casablanca“, sein 126. Film, wird sein Meisterwerk. Er hat es mit einem sehr speziellen Ensemble zu tun: 16 der 20 größeren Rollen sind mit europäischen Schauspielern besetzt, die meisten von ihnen sind vor dem Hitler-Regime in die USA geflohen. Paul Henreid gehört dazu, auch Peter Lorre, der Mörder aus dem deutschen Krimi-Klassiker „M“.

„Casablanca“ lebt von einer legendären Ensembleleistung

Jetzt spielen sie gleichsam ihr eigenes Schicksal, manchmal müssen sie – Ironie der Geschichte – die Rolle ihrer Henker annehmen. So wie der einstige Ufa-Star Conrad Veidt, der mit seiner jüdischen Frau über Großbritannien in die USA geht und in „Casablanca“ den schneidigen und bösartig eleganten Nazi-Major Strasser spielt.

Da gibt es die kleine, rührende Szene, in der ein altes Ehepaar in Ricks Bar Englisch übt für den Neustart weit weg von der Heimat. „Liebchen, äh, Sweetness-Heart, what watch?“, fragt er. „Ten watch“, sagt sie. „Such much?“, fragt er. Darüber könnte man lachen, aber es könnte sich auch Wehmut in dieses Lachen mischen. Die alte Dame – das ist Ilka Grüning, eine österreichische Schauspielerin, die vor der Emigration in Berlin eine eigene Schauspielschule betrieb; Lilli Palmer, Brigitte Horney und Inge Meysel waren ihre Schülerinnen.

Auch ihr Film-Ehemann ist emigrierter Österreicher: Ludwig Stössel, erfolgreich an den Reinhardt-Bühnen und der Teufel im Salzburger „Jedermann“. „Casablanca“ lebt nicht zuletzt von eindringlicher europäischer Schauspielkunst, von einer in der Filmgeschichte legendären Ensembleleistung. „Bei so vielen guten Schauspielern musste einfach ein guter Film herauskommen“, hat Ingrid Bergman später gesagt.

Eine andere Szene aus „Casablanca“ hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Leonid Kinskey, im Film der Barkeeper Sascha, nennt sie „die bewegendste patriotische Szene, die jemals in einem Film gespielt wurde“. Eine siegestrunkene Nazi-Gesellschaft singt, das Champagner-Glas in der Hand, in Ricks Bar die „Wacht am Rhein“. Auf Laszlos Aufforderung und mit Ricks Zustimmung setzt die Kapelle des Hauses zur Marseillaise an, wer nicht deutsch ist, stimmt ein, mit bebender und immer kräftigerer Stimme. Das Gesicht eines jungen Mädchens ist in Großaufnahme zu sehen, Tränen in den Augen, Glut im Gesang. Am Ende ruft sie „Vive la France“. Die Wehrmachtsoffiziere sind schon längst niedergesungen.

Das abstruseste Kapitel spielt in Deutschland

Das verzweifelte und zugleich mutige Mädchengesicht ist das der französischen Filmschauspielerin Madeleine Lebeau. Zusammen mit ihrem jüdischen Ehemann Marcel Dalio, im Film der Croupier Emil, ist sie aus Paris vor den Nazis geflohen. Lebeau starb im vergangenen Jahr 92-jährig im spanischen Estepona, sie galt als das letzte noch lebende Ensemblemitglied des Filmklassikers. „Sie wird für immer das Gesicht des französischen Widerstands sein“, sagte Frankreichs damalige Kulturministerin Audrey Azoulay.

Die Filmmusik stammt von Max Steiner, einem der erfolgreichsten Komponisten Hollywoods. Die bekannteste Melodie des Films freilich ist ausgeliehen: „As Time Goes By“ wurde zehn Jahre zuvor für das Musical „Everybody’s Welcome“ von Herman Hupfeld komponiert. Steiner mochte das Lied nicht sonderlich, er hätte es gern noch nach Drehschluss durch ein eigenes ersetzt. Der Plan funktionierte zum Glück nicht, denn Ingrid Bergman stand für Nach-Aufnahmen nicht mehr zur Verfügung. Sie hatte sich für ihre nächste Rolle, die Maria in „Wem die Stunde schlägt“ nach dem gleichnamigen Roman von Ernest Hemingway, schon die Haare ganz kurz schneiden lassen.

Das abstruseste Kapitel um „Casablanca“ spielt in Deutschland. Als der Film 1952 in die bundesdeutschen Kinos kommt, will der Verleih die Zuschauer nicht mit Bildern des „hässlichen Deutschen“ verstören. In der deutschen „Neufassung“ ist alles, was mit Nationalsozialismus zu tun hat, aus dem Film säuberlich herauspräpariert, selbst die Marseillaise-Szene fehlt. Aus dem Widerstandskämpfer Victor Laszlo wird ein norwegischer Atomphysiker, der ebenso geheimnisvolle wie gefährliche Delta-Strahlen entdeckt hat. Erst 1975 ist nach dieser Kino-Verstümmelung des Originals im Fernsehen eine ungekürzte, von der ARD neu synchronisierte Fassung zu sehen.

In dieser Fassung, in der unvergleichlichen Mischung von Heroismus, Patriotismus und Sentimentalität, kennen und lieben wir den Film heute – und alle seine Zitate, egal, ob sie richtig, freizügig oder einfach auch falsch übersetzt wurden: „Play it, Sam“ (Spiel’s noch einmal, Sam), „Here’s looking at you, kid“ (Schau mir in die Augen, Kleines, oder: Ich seh‘ dir in die Augen, Kleines), „Round up the usual suspects“ (Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen), „We’ll always have Paris“ (Uns bleibt immer Paris) und vor allem: „I think this is the beginning of a beautiful friendship“ (Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft).

„Casablanca“, so hat der amerikanische Filmkritiker Carry Rickey geschrieben, „ist vielleicht nicht der beste Film aller Zeiten, aber von allen amerikanischen Filmen ist er unser bester Freund.“

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