Premiere von "Massiver Kuss" in der Werkstatt Hirnhaftung ausgeschlossen

Bonn · Herausfordernde Uraufführung in der Werkstatt: Anja Hillings Künstlerbeziehungsdrama „Massiver Kuss“ ist keine leichte Sache fürs Publikum. Die emotionsarme, abstrakte Sprache geht wie auf hohen Stelzen – über die Köpfe der Zuschauer hinweg.

 Verbündete und Konkurrenten: Laura Sundermann und Bernd Braun. FOTO: THILO BEU

Verbündete und Konkurrenten: Laura Sundermann und Bernd Braun. FOTO: THILO BEU

Foto: Thilo Beu

Massiver Kuss“ von Anja Hilling ist ein Stück mit Prolog, Epilog und Abspann. Zu Beginn erklären „Sie“ (Laura Sundermann) und „Er“ (Bernd Braun) die Versuchsanordnung des 90-minütigen Abends in der Werkstatt. Im Folgenden werde die Beziehung zwischen dem Bildhauerpaar Camille Claudel (1864-1943) und Auguste Rodin (1840-1917) verhandelt. Das komplizierte, konfliktreiche Zusammenleben der beiden Künstler und ihre Diskussionen über Ästhetik, Schmerz und Form finden in Hillings Stück eine Spiegelung in der Gegenwart. Im Epilog baut Sundermann in einem überspannten zivilisations- und konsumkritischen Lamento eine Brücke zwischen den Jahrhunderten. Danach liefert die Inszenierung Fakten zu Claudels Martyrium im Irrenhaus. Das ist der Abspann.

Menschen, Rollen und Zeitebenen verschmelzen auf der Bühne, die – nach einer Idee von Ricarda Beilharz und Friederike Heller – von einer großen Stoffbahn dominiert wird, die Boden und hintere Wand bedeckt. Am Flügel sitzt Anaïs Durand-Mauptit, die den Abend musikalisch begleitet und auch als Claude Debussy einen stummen Part übernimmt. Mit dem Komponisten hatte Camille Claudel eine kurze Affäre.

Auguste Rodin ist berühmt für seinen brutal-egoistischen Umgang mit der selbstbewussten, genialen Camille. Er habe sie angezogen und schließlich wie ein Spielzeug zerbrochen, hat der Kritiker Werner Spies festgestellt. Rodin versprach ihr Liebe, Ehe und künstlerische Teilhabe. Geliefert hat er nicht. Camille Claudel nannte ihn einen Marder. Toller Stoff. Den hat die Autorin in eine emotionsarme, abstrakte Sprache übersetzt, die wie auf hohen Stelzen geht – über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Nach zehn Minuten, in denen Bernd Brauns Rodin sich in Tragödenpose als Künstlerübermensch und Lehrer stilisiert, hat das Stück seinen Adressaten fast schon verloren. Kaum etwas bleibt im Hirn haften. Die Frage „Was willst du vom Stein?“ gehört noch zu den leichteren Übungen. Wer verkopfte und verschwurbelte Prosa schätzt, wird von Anja Hilling bestens bedient. Selbstironische Pointen aus Camilles Mund – „Weißt du was, komm mal runter“ und „Ist gerade alles bisschen verkopft“ – ändern nichts am Befund. Für den gelegentlichen Einbruch von Alltagsprosa und gewitzten Formulierungen in die Bezirke des abgehobenen Diskurses ist man dankbar. Organisch verbindet sich das eine mit dem anderen jedoch nicht. Ein Glück, dass die Regisseurin Friederike Heller auf Darsteller bauen kann, die dem raschelnden Papier eine Seele einhauchen. Laura Sundermann und Bernd Braun verkörpern als Rodin und Claudel zwei Verbündete, die gleichzeitig Konkurrenten sind. Sie inspirieren einander, modellieren sich gleichsam gegenseitig, formen das Gegenüber wie eine Figur. Doch stärker als Inspiration wirken Konflikte und Konfrontationen. Eifersucht, Auflehnung und Unterdrückung finden einen plakativ physischen Ausdruck: zum Beispiel in einer Szene, in der Laura Sundermann den Boxer gibt und Bernd Braun den Trainer. Sie gehen sich auch an die Gurgel. Braun, der sich auch einmal einen Auguste-Rodin-Vollbart anlegt, baut eine alles verdrängende und hinwegredende Präsenz auf. Alle Aufbrüche und Ausbruchsversuche Camilles drohen an dieser mächtigen und selbstzufriedenen Präsenz zu scheitern.

Laura Sundermann fühlt sich als Camille wie eine Frau, die sich zeigt, aber nicht gesehen wird. „Ich will du sein“, sagt sie einmal. Sie möchte gehypt und danach geheiligt werden wie der große Rodin. Sundermann gelingt es, das Kämpferische ihrer Figur ebenso abzubilden wie die Selbstzweifel und die Angst vorm Alter. Dieser Camille nimmt man ab, dass für sie als Künstlerin „aus dem Schmerz die Form“ entsteht. Die historische Camille schrieb in einem Brief an ihren Bruder: „Ich habe nicht all das getan, was ich getan habe, um namenlos in einem Irrenhaus zu enden, ich habe Besseres verdient.“

Die nächsten Vorstellungen: 8., 26. und 28. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort