Spekulationen zur Oscar-Vergabe Goldenes Licht am Ende des Tunnels

LOS ANGELES · Leonardo DiCaprio dürfte seinen ersten Oscar gewinnen – doch die 88. Gala in Los Angeles wird spannend.

 Endlich der erste Oscar? Leonardo DiCaprio in einer Szene aus „The Revenant“.

Endlich der erste Oscar? Leonardo DiCaprio in einer Szene aus „The Revenant“.

Foto: AP

Hollywood spannt seine Helden gern auf die Oscar-Folter. So ist Leonardo DiCaprio auf der „Titanic“ ertrunken, hat sich in den „Gangs of New York" geprügelt und als „The Wolf of Wall Street“ die Raffzähne gebleckt. Außerdem war er der exzentrische Milliardär Howard Hughes („Aviator“) oder der psychopathische FBI-Boss „J. Edgar“ (Hoover). Bisheriger Oscar-Lohn: null.

Selbst als sein ebenfalls jahrelang übergangener Lieblingsregisseur Martin Scorsese 2007 endlich einen Goldjungen für „Departed – Unter Feinden“ bekam, ging der brillante Hauptdarsteller DiCaprio leer aus.

Dabei war seine Leistung als innerlich zerrissener Undercover-Cop weitaus eindrucksvoller als die vollbärtig erlittenen Trapper-Torturen in „The Revenant“. Doch dieser masochistische Marathon wird ihm bei der 88. Oscar-Gala trotz namhafter Konkurrenz (Bryan Cranston, Matt Damon, Michael Fassbender und Eddie Redmayne) den ersehnten Sieg bringen.

Leiden lohnt sich wohl auch für seine Kollegin Brie Larson, die das Los des malträtierten Entführungsopfers in „Room“ physisch wie seelisch spürbar macht. So dürfte ihr die Trophäe als beste Hauptdarstellerin selbst von Cate Blanchett („Carol“) oder Jennifer Lawrence („Joy“) nicht zu nehmen sein.

Spannendste Frage des Abends: Wie viele Oscars bekommt der zwölf Mal nominierte Favorit „The Revenant“ letztlich? Immerhin wurde der mexikanische Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritu schon im letzten Jahr mit seinem rasanten Broadway-Kammerspiel „Birdman“ für Drehbuch, Regie und besten Film geehrt. Gut möglich also, dass man ihm für seine deftige Western-Schlachtplatte diesmal unter den Premiumpreisen „nur“ den für die Inszenierung geben könnte.

Zumal sich gleich zwei brisantere Werke als „Bester Film“ aufdrängen: „The Big Short“, Adam McKays intelligente Satire auf Amerikas geplatzte Immobilienblase, sowie vor allem Tom McCarthys „Spotlight“ über die vom „Boston Globe“ aufgedeckte Missbrauchsserie katholischer Priester. Dieses leise Bravourstück hätte die Krone am ehesten verdient, zumal es mit einem makellosen Ensemble auftrumpft.

Kein Wunder also, dass Rachel McAdams und Mark Ruffalo als „Spotlight“-Reporter Chancen auf Nebendarstellerpreise haben. Ruffalo steigt freilich mit Sylvester Stallone in den Ring, der als Boxtrainer in „Creed“ noch genügend Kraft für den entscheidenden Treffer haben dürfte. Mit diesem ersten Oscar seiner Karriere würde er dann auch die bisher zehn „Goldenen Himbeeren“ für mimische Minderleistungen vergessen machen.

Als ältester Altmeister des Abends wird wohl Ennio Morricone (87) eine Dankesrede halten müssen. Sein grandioser Soundtrack zu „The Hateful Eight'“ bleibt indes vermutlich die einzige Auszeichnung für das in die Jahre gekommene Wunderkind Quentin Tarantino.

Allerdings sind ja auch die Verliererlogen bei den Oscars stets glänzend besetzt, etwa mit Steven Spielberg, dessen altmeisterlicher Spionagethriller „Bridge of Spies“ selbst beim besten Originaldrehbuch gegen „Spotlight“ unterliegen sollte. Das würde auch die Babelsberger Studios schmerzen, die als Koproduzenten des Spielberg-Films natürlich „ihrem“ Regisseur die Daumen drücken.

In ähnlicher Position hofft die Kölner Produzentin Anja Uhland, dass der für Frankreich ins Auslands-Oscar-Rennen gehende „Mustang“ die Konkurrenz abhängt. Wobei jedoch das Auschwitz-Drama „Sauls Sohn“ hoher Favorit in dieser Sparte ist. Unterdessen hofft Patrick Vollrath, seinem Studenten-Oscar für den Kurzfilm „Alles wird gut“ nun die erwachsene Trophäe folgen zu lassen.

Doch geht es im Dolby Theatre von Los Angeles nicht nur um Preise, kühne Abendkleider und tränenreiche Dankesreden, sondern auch um Rassenpolitik. So darf man gespannt sein, wie bissig der farbige Moderator Chris Rock die „White Oscars“ kommentiert. Immerhin haben etliche afroamerikanische Stars schon den Boykott der Gala annonciert, bei der wieder keiner der ihren für einen Darstellerpreis nominiert ist.

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