Ausstellung der Bonner Bundeskunsthalle Goethe während der Französischen Revolution

Bonn · Mit einer Serie begleitet der GA die aktuelle Goethe-Ausstellung der Bonner Bundeskunsthalle. Diese Folge steht unter dem Motto „Welt im Umbruch“.

Der Mann in Bronze, dort vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar, ist beileibe kein Revolutionär. Sein Haar liegt in Fasson. Der Jabot, die Weste unter dem ausgestellten Gehrock, die Kniebundhosen, Strümpfe und Spangenschuhe? In der Tat eine ordentliche Tracht. Seine Augen sind geradeaus nach vorn gerichtet, das Kinn hat er leicht angehoben. Aber der, auf dessen Schulter seine linke Hand brüderlich-patronisierend ruht – der könnte vielleicht einer sein. Seine Frisur und der Sitz der Weste verraten Nachlässigkeit. Womöglich verbergen sich hinter der hohen Stirn und dem ins Weite schweifenden Blick umstürzlerische Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Vielleicht steht davon etwas auf dem zusammengerollten Stück Papier in seiner Linken? Der Griff nach dem Lorbeerkranz mit der Rechten wirkt da eher beiläufig. Oder sieht das nur so aus, weil sein Nebenmann ihn fester in der Hand hält?

Glück gehabt haben am Ende beide. Denn ursprünglich – so schreibt der Kieler Literaturwissenschaftler Nikolas Immer im Katalog zur Bonner Ausstellung – sollten Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich von Schiller Toga und Sandalen tragen. So jedenfalls sah es der Plan des Dresdner Bildhauers Christian Daniel Rauch vor. Dass ihre bronzenen Abbilder heute „anständig“ gekleidet sind, verdanken sie königlicher Intervention. Ludwig I. von Bayern setzte das als einer der Sponsoren durch und der jahrzehntelangen Denkmalsdebatte damit ein Ende. Worauf Rauch den Auftrag nach unten weiterreichte – an seinen Schüler Ernst Rietschel.

Am 4. September 1857, zum 100. Geburtstag von Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, wurde das Doppelstandbild feierlich eingeweiht. Dass den Weimarer Klassikern aus Frankfurt und Marbach am Neckar als „eingewanderten Wessis“ 1989 ein Schild mit der Aufschrift „Wir bleiben hier“ angehängt werden würde, hätte sich wohl keiner träumen lassen, der damals der mit Nationalstolz erfüllten Enthüllung beiwohnte.

Goethe: Steiniger Weg vom Sturm und Drang

Aber auch für Goethe war der Weg vom Sturm und Drang bis zu seinem an Harmonie und Balance ausgerichteten Kunst- und Menschheitsverständnis in bester apollinischer Tradition stellenweise recht steinig. Tatsache ist, dass er – im Gegensatz zu Schiller, der anfangs durchaus mit den Idealen der Französischen Revolution sympathisierte – genau daran von Anfang an nicht hat glauben wollen. Dass die Revolution ihre Kinder fraß, war für ihn wohl keine besondere Überraschung. Dass diejenigen, die selbst nie eine selbstbestimmte, menschenwürdige Existenz erfahren hatten, die Ideale der Tricolore der Guillotine zu Füßen legten, sicher auch nicht.

Der österreichisch-preußische Feldzug gegen die Revolutionsarmee, der mit der Kanonade von Valmy am 20. September 1792 endete, bereitete Goethe Verdruss. Und die verheißungsvollen Worte „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“ sprechen von einem gepflegten Anachronismus in eigener Sache. Ausgearbeitet wurden „Die Campagne in Frankreich“ und die „Belagerung von Mainz“ erst 30 Jahre später. Im Gespräch mit Eckermann formulierte Goethe es dann so: „Es ist wahr, ich konnte kein Freund der Französischen Revolution sein, denn ihre Greuel standen mir zu nahe und empörten mich täglich und stündlich.“ Die Hinrichtung König Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 beseitigte dann jeden Zweifel, den er eventuell noch gehabt haben könnte.

Napoleons Handschrift für Goethe besonders anziehend

Vielleicht war es auch ein entschiedenes Nein gegen das Aufrührerische, Faustische und zu radikalen Reaktionen Werther'schen Ausmaßes Fähige in der eigenen Person, das Goethe mit kategorischer Konsequenz nach dem Guten, Wahren und Schönen streben ließen, nach der Erziehung und Bildung des Menschen durch zeitlose Kunst nach klassischem Reglement. Tatsache ist auch, dass er schon vor Ausbruch der Französischen Revolution, in Italien 1788, die Antike als seine geistige Heimat definiert hatte. Schillers Einladung zur Mitarbeit an den von 1795 bis 1797 herausgegebenen „Horen“ als philosophischem, historischem und literarischen Journal lagen ganz auf dieser Linie.

Wenn auch nicht immer ganz so unpolitisch wie ursprünglich deklariert: Die „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ waren eine schallende Ohrfeige für jeden, der die Revolution in irgendeiner Weise meinte verteidigen, rechtfertigen oder gar befürworten zu müssen.

Es ist ebenso bezeichnend, dass der Staatsdiener in Fürstendienst 20 Jahre später ausgerechnet den Revolutionsgeneral bewunderte, der sämtlichen Hoffnungen auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit mit seiner Selbstkrönung 1804 eine endgültige Absage erteilt hatte. Goethe imitierte ambitioniert Napoleons Handschrift, um sich dadurch etwas von dessen „Größe“ anzueignen. Die Begegnung der beiden am 2. Oktober auf dem Erfurter Fürstenkongress hat den Dichterfürsten zutiefst beeindruckt, und den Orden der Ehrenlegion wollte er gar nicht wieder ablegen.

Auf Jacques-Louis Davids Gemälde „Bonaparte überquert den Großen St. Bernhard“ aus dem Jahr 1802 zieht Napoleon mit Hannibal gleich und bezwingt den Berg wie zuvor die Revolution. Dafür allein dürfte Goethe ihm von Herzen dankbar gewesen sein. Ein Leben in Klassik ist um so vieles leichter, wenn man den Rebellen in sich erst einmal zum Schweigen gebracht hat.

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