Fringe-Ensemble Gelungene Premiere von "Flaneure London" im Ballsaal

Bonn · Das Bonner Fringe-Ensemble bringt „Flaneure London“ im Theater im Ballsaal auf die Bühne. Annika Leys Bühneninstallation ist ein visuelles Wunderwerk aus bewegten Bildern.

 Bettina Marugg in „Die Flaneure London“.

Bettina Marugg in „Die Flaneure London“.

Foto: Szokody/Ballsaal

Von der Wiege der Demokratie und des europäischen Theaters zur Hauptstadt des Geldes: „Die Flaneure“ des Bonner Fringe-Ensembles sind nach ihrer Erkundung Athens im vergangenen Jahr nun nach London gereist. Wieder unabhängig voneinander flanierend auf der Suche nach subjektiven Eindrücken von einer Metropole im Umbruch. Klar habe der Taxifahrer für den Brexit gestimmt, weil er gegen die vielen europäischen Regularien und die Einwanderung sei, berichtet die Schauspielerin Bettina Marugg. In der britischen Hauptstadt sei es anders als in Athen, sehr schwierig mit Menschen ins Gespräch zu kommen: „London riecht nach Anonymität.“

Die Zuschauer sind diesmal nicht zum Mitflanieren durch den Raum eingeladen, sondern zur distanzierten Beobachtung der von den Akteuren mitgebrachten Bilder, Töne und Beschreibungen. Ausstatterin Annika Ley ließ sich vom Sehen leiten. Ihre Bühneninstallation ist ein visuelles Wunderwerk aus bewegten Bildern. Ständig verschiebt sie an Seilen hängende weiße Plakatrückseiten, die sich mit Projektionen füllen. Architekturfragmente, Straßenszenen, abstrakte Lichtreflexe fügen sich überraschend zusammen, ergeben immer wieder raffinierte Blickwechsel zwischen Stillstand und Dynamik.

Herrlich schräger Diven-Auftritt

In den leisen Bildertanz mischt sich Marugg, die aus Dialogen mit einem jungen Jamaikaner englische Songs gestaltet hat. Einen herrlich schrägen Diven-Auftritt hat sie in Shorts und High-Heels mit langem Mantel, beleuchtetem roten Regenschirm und Videokoffer. Man kann halt rumlaufen, wie man will – niemand schert sich drum in diesem scheinbar megatoleranten, internationalen, bunten Biotop mit seinem charmanten bürgerlichen „Urban Gardening“. Der Schauspieler Andreas Meidinger hat ein Tagebuch geführt im Norden der Stadt, in der Nähe des Highgate Cemetery, wo Karl Marx 1883 seine letzte Ruhestätte fand. Bizarre (nicht ganz jugendfreie) Tipps aus der schwulen Szene kombiniert er mit einem historischen Exkurs zum Friedhofsgeschäft und Beobachtungen beim 200. Geburtstag des „Kapital“-Verfassers bis hin zu der goldenen Träne einer chinesischen Sonnenbrillenträgerin. Vorher hat Meidinger sich in einem ungemein witzigen Monolog geschminkt und befrackt, später wird er eine blutige Revolution beschwören, die im Handgranatenrausch die Verdammten dieser Erde zum Widerstand aufruft.

Musikalisch spannungsreich kommentiert wird die Reise von der Bühnenkollegin Justine Hauer, die nicht mit in London war. Regelmäßig mit dem dreiköpfigen Bonner Expeditionsteam telefoniert hat Harald Redmer vom koproduzierenden Theater phoenix5 in Münster, bevor Frank Heuel aus dem ganzen Material eine Inszenierung konstruierte, die in knapp zwei Stunden (inkl. Pause) durchaus unterhaltsam mit den Vorder- und Abgründen der Wahrnehmung spielt. Selbstverständlich jenseits aller touristischen Klischees, obwohl der ungemütliche Nieselregen bei der zweiten (gut besuchten) Vorstellung perfekt passte.

Nächste Aufführungen am 5./6./9./10. Oktober jeweils um 20.00 Uhr im Theater im Ballsaal. Weitere Infos unter www.fringe-ensemble.de.

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