Thomas Rühmann im Gespräch Falsche Lieder

BONN · Der populäre Schauspieler Thomas Rühmann kann mehr als nur TV-Serie. In Köln präsentiert er demnächst eine musikalische Lesung, und tief im Osten betreibt er eine kleine, aber feine Theaterbühne.

 Thomas Rühmann: Schauspieler und Musiker

Thomas Rühmann: Schauspieler und Musiker

Foto: pa/obs/ARD Das Erste

Am 22. Juni 1998 begann eine neue Zeitrechnung im Leben des Schauspielers Thomas Rühmann: Er wurde zu Dr. Roland Heilmann – und ist es bis heute. Die ARD-Serie „In aller Freundschaft“, angesiedelt in der fiktiven Leipziger Sachsenklinik, läuft in der 19. Staffel, mehr als 750 Folgen wurden bislang ausgestrahlt. Dienstag für Dienstag sitzen fünf Millionen Fans vor dem Fernseher. Dr. Heilmann ist mittlerweile zum Klinikchef aufgestiegen, sein Darsteller Thomas Rühmann (60) geht trotz aller Serienverpflichtungen regelmäßig als Musiker auf Tour. Am 9. März gastiert er in der Kölner Volksbühne am Rudolfplatz. Seit 1998 betreibt er zudem das Theater am Rand im Dorf Zollbrücke im Oderbruch. Mit Thomas Rühmann sprach Heinz Dietl.

Rühmann, Rühmann – da war doch was! Sind Sie verwandt mit dem großen Schauspieler Heinz Rühmann?
Thomas Rühmann: Mein Vater hat ihn Anfang der Siebziger mal angeschrieben und bekam sogar eine Antwort. Man hat dabei festgestellt, dass es keine verwandtschaftlichen Verbindungen gibt. Ich bin auch froh darüber.

Warum froh?
Rühmann: Mitglied eines Clans zu sein, das liegt mir nicht.

Man kennt Sie aus der Serie „In aller Freundschaft“. Warum weiß man so wenig über Ihre sonstigen Aktivitäten?
Rühmann: Tja, was soll ich sagen, der Fokus liegt halt auf dem, was aus dem Fernseher kommt. Im Osten sind meine Projekte bekannter. Jetzt wollen wir den Westen erobern.

Sie spielen das Stück „Sugar Man“ in Köln. Worum geht es?
Rühmann: Um eine Mischung aus Erzählung und Musik. Grundlage ist der Dokumentarfilm „Searching For Sugar Man“, der 2013 den Oscar bekam. Es geht um die wahre Geschichte des Sängers Sixto Rodriguez aus Detroit, der Anfang der Siebziger zwei Alben herausgebracht hat, davon aber nur sechs Exemplare verkaufen konnte. Die Platten gelangten nach Südafrika und entfachten dort einen Hype. Rodriguez wusste davon nichts, 1998 wurde er aufgespürt und nach Südafrika eingeladen. Er gab ein sensationelles Konzert in Kapstadt.

Wie bringen Sie das Thema auf die Bühne?
Rühmann: Ich erzähle die Geschichte zwischen den Songs, aber ich versehe die Lieder von Rodriguez auch mit deutschen Texten. Ich halte das seit ein paar Jahren so und nenne das Stilmittel „Falsche Lieder“.

Wie entsteht ein falsches Lied?
Rühmann: Ich erfinde zum Beispiel einen Besuch von Rodriguez in Ostberlin. Jemand bringt ihn zu Wolf Biermann. Und er singt ihm „I'll slip away“ vor.

Wie reagiert Biermann?
Rühmann: Es heißt, er habe in dieser Nacht die Idee geboren zu „Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier“. Und ich bringe Biermanns Text und Rodriguez Refrain zusammen.

Und die Moral von der Geschichte?
Rühmann: Ist: Was Rodriguez während der Apartheid für Südafrika war, hätte er auch für uns in der DDR sein können. Deshalb habe ich seine Songs versetzt mit Texten von Wolf Biermann, Christoph Hein, Hans-Eckardt Wenzel und Peter Hacks.

Ein weiteres Projekt ist die Band mit Ihrem Bruder Martin.
Rühmann: Wir spielen zwei, drei Mal im Jahr zusammen. Und dann habe ich noch ein drittes Projekt, nämlich die Falschen Lieder mit fünfköpfiger Independent Rock Band und den Texten von Hans-Eckardt Wenzel. Die Musik ist von Lambchop, Mumford & Sons oder Calexico.

Sie betreiben tief im Osten ein Theater. Was hat Sie geritten?
Rühmann: Ich hatte von der Autorin Annie Proulx, die auch „Schiffsmeldungen“ und „Brokeback Mountain“ geschrieben hat, das Buch „Das grüne Akkordeon“ entdeckt. Mein Freund Tobias Morgenstern ist Akkordeonist, er lebt in Zoobrücke, einem Ort mit 19 Einwohnern im Oderbruch. Wir spielten das Stück bei ihm im Wohnzimmer, 32 Plätze.

Eine einsame Gegend, oder?
Rühmann: Eine tolle Gegend, flach und einsam, eineinhalb Stunden von Berlin entfernt. Wir haben das Stück immer wieder gespielt und uns nach sieben Jahren getraut, ein Theater zu bauen, für 200 Zuschauer, komplett aus Holz. Im Sommer kann man den Bau nach drei Seiten öffnen.

Wie läuft eine Vorstellung ab?
Rühmann: Der Rundhorizont öffnet sich. Die Zuschauer blicken in die Landschaft, wir Schauspieler erscheinen am Horizont. Wir spielen auch „Mitten in Amerika“, ebenfalls von Annie Proulx. Als Bühnenbild haben wir ein altes Rostschiff aus Eisenhüttenstadt angeschafft – die Oder hoch, 13 Tonnen schwer. Es kam sofort die Wasserschutzpolizei.

Warum das?
Rühmann: Man darf in Deutschland nicht an einer beliebigen Stelle des Flusses etwas entnehmen, denn es gibt offizielle Entnahmestellen. Jetzt steht das Schiff und sieht aus wie ein Ozeandampfer. Eine Fähre in die Unendlichkeit.

Kollidieren diese Aktivitäten nicht mit den Dreharbeiten für die Sachsenklinik?
Rühmann: Ich bin den Produzenten dankbar, dass sie uns solche Freiräume lassen. Gut, die müssen ihre Schauspieler bei Laune halten, schließlich läuft die Serie schon 18 Jahre.

Wie wird produziert?
Rühmann: Wir drehen 42 Folgen im Jahr, blockweise à drei Folgen. Meistens bin ich gefordert, aber unterschiedlich intensiv. Die Produzenten versuchen, meine Rolle im Januar und März etwas einzudampfen, weil ich dann auf Tournee bin. Dafür dürfen sie mich in den anderen Monaten voll beanspruchen.

Hendrikje Fitz, die Ihre Ehefrau Pia spielt, hat ihre reale Krebserkrankung zunächst in die Rolle eingebaut, seit Oktober nimmt sie eine Auszeit und weilt laut Drehbuch „im Italien-Urlaub“. Wie ist der Plan?
Rühmann: Die Produktionsfirma wird Hendrikje so lange beschäftigen, wie es irgend geht. Wenn es ihr schlechter geht, werden Teile im Drehbuch umgeschrieben. Geht es ihr besser, ist sie wieder für ein, zwei Tage am Set. Das finde ich richtig.

Das heißt, dass auch Ihre Rolle in der Defensive bleibt. Also kein Flirt mit der attraktiven neuen Ärztin Dr. Lea Peters?
Rühmann: Sie werden lachen: Es war, noch vor Hendrikjes Erkrankung, ein Erzählstrang in diese Richtung geplant: Dr. Heilmann und Dr. Peters nähern sich an. Mehr war noch nicht klar, aber es wurde heftig geflirtet.

Und wie hat sich dieser Erzählstrang entwickelt?
Rühmann: Wir haben morgens die Flirtszenen gespielt, in der Mittagspause wurden wir zum Produzenten gerufen, der uns mitteilte, dass wir dieses Thema aufgrund der neuen Situation abbrechen sollten. Die Szenen nach der Mittagspause haben wir komplett unterkühlt gespielt, völlig flirtfrei. Sehr grotesk.

Dabei haben Sie und Hendrikje Fitz stets ein Ehepaar gespielt, bei dem es noch knistert.
Rühmann: Das wird auch so bleiben. Man kann das zentrale Paar einer solchen Serie nicht einfach auseinandertreiben. Das wäre für die Zuschauer zu hart, erst recht vor dem Hintergrund einer lebensbedrohlichen Krankheit.

Liegt das Erfolgsgeheimnis dieser Serie in den Konstanten?
Rühmann: Ja, wobei man als Schauspieler eher die Überraschung liebt.

In dieser Hinsicht können Sie sich kaum beklagen: Die Verwaltungschefin der Sachsenklinik droht ständig mit Privatisierung. Ein Motiv aus dem echten Wirtschaftsleben, oder?
Rühmann: Da berühren Sie einen ganz wunden Punkt. Wir Schauspieler waren hellauf begeistert, als dieses Stück Wirklichkeit auch die Sachsenklinik erreichte. Wir haben das unheimlich gern gespielt, weil es alles durcheinander gewirbelt hat. Alle Beziehungen wurden hinterfragt, jede Figur musste sich neu definieren – und irgendwie retten.

Und wo lag das Problem?
Rühmann: Wir fanden die Entwicklung toll, Sie vielleicht auch, aber: die Zuschauer nicht. Ein Großteil der Zuschauer möchte die Sachsenklinik friedlicher.

Was ist die Konsequenz?
Rühmann: Wir haben die Konzeption verändert, die Privatisierung der Klinik wurde zurückgenommen.

Welche Rolle spielt die Serie in der Leipziger Öffentlichkeit?
Rühmann: Die Leipziger haben sich an uns gewöhnt, 18 Jahre sind eine lange Zeit.

Ist da nicht mehr Begeisterung?
Rühmann: Wenn wir für Dreharbeiten ganze Straßenzüge sperren, nicht immer. Sonst schon.

Wie zeigt sich das?
Rühmann: Bei einer Jubiläumsveranstaltung kamen die Fans zu Hunderten angereist – aus der gesamten Bundesrepublik, aus Holland und Belgien. Ich saß im Flur des Studiogeländes und habe alle mit Handschlag begrüßt.

Veranstaltungstipp: „Sugar Man“; Köln Volksbühne am Rudolfplatz 9. März, 20 Uhr
TV-Tipp: „In aller Freundschaft“ dienstags, 21 Uhr, ARD

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